KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

CAMBRIDGE SPRINGS II:

EINE THEORETISCHE DEBATTE

Von FM Joachim Wintzer

The Cambridge Springs Cover

Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk
The Cambridge Springs,
Including a repertoire for Black when White avoids the Cambridge Springs.
Gambit Publications Ltd. 2002,
Sprache: Englisch,
Paperback, 192 S.,
21,85 Euro

​(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Auf Joachim Wintzers mit einigen Varianten versehene Besprechung des Buches The Cambridge Springs von Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk vom 31.03.03 schickten die beiden Autoren einen Leserbrief, der zu einer kleinen theoretischen Debatte über die Cambridge-Springs Verteidigung führte, die im folgenden dokumentiert wird. Abgedruckt sind jeweils der Leserbrief Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuks sowie die Reaktion J. Wintzers.

Um die Varianten übersichtlicher zu gestalten, wurden an entscheidenden Stellen gelegentlich Diagramme eingefügt. (Anm. d. Red.)

Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk

Ein paar Anmerkungen zur Rezension Joachim Wintzers. Selten genug enthalten Rezensionen konkrete, durch Analysen untermauerte Einwände gegen besprochene Bücher. Deshalb glauben wir, dass eine solche Besprechung eine Antwort verdient.

Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass das, was der Leser schließlich in Händen hält, nur die Spitze eines Bergs von Analysen einer Eröffnung ist, die im Laufe etlicher Monate (in diesem Fall acht) entstanden sind. Es ist unmöglich, alle interessanten Varianten aufzuführen, besonders wenn es sich um Nebenvarianten handelt, die zu einem komplizierten Endspiel führen…

Ganz gewiss möchten wir nicht behaupten, das Buch sei fehlerfrei, aber dennoch haben wir nicht das Gefühl, dass Joachim Wintzer wirkliche Fehler in unseren Analysen entdeckt hat. Kommen wir jetzt zu den konkreten Einwänden:

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Sbd7 5.e3 c6 6.Sf3 Da5 7.Sd2 dxc4 8.Lxf6 Sxf6 9.Sxc4 Dc7 10.Le2 Le7 11.0–0 0–0 12.Tc1 Td8 13.Dc2 Ld7


Die Variante mit 14.Se4

14…Sxe4 15.Dxe4 c5 16.dxc5 Lc6 Der von J. Wintzer vorgeschlagene Zug verdient leider kein Ausrufezeichen. Dies ist ganz einfach ein ernster Fehler, durch den Schwarz eine schlechte Stellung erhält. Nach 16…Lxc5 17.Se5 kann Schwarz nicht 17…Db6 spielen, da Weiß mit 18.Sxf7 Kxf7 19.Dxh7 gewinnt.

Obwohl der vorgeschlagene Zug 18.Lf3 etwas schlechter als 18.Sxf7 ist, führt er nach 18…Lc6 (18…Tab8 19.Sxf7!+-) 19.Sxc6 ebenfalls zu großem weißem Vorteil. Deshalb hat Schwarz nichts anderes als 17…f5 18.Df4 Db6 19.Lc4 mit Gewinnstellung für Weiß.

17.De5 Dxe5 18.Sxe5 Td2 19.Lf3 Ebenfalls interessant ist 19.Lh5, obwohl Schwarz auch hier Ausgleich erzielt, z.B. 19…g6 20.Lf3 (20.Sxc6 bxc6 21.Lf3 Txb2 22.a4 Tc8 23.Tfd1 Tc7 24.Tb1 Ta2=; 20.Sc4!? Td5 21.Lf3 Txc5 22.b4 Tb5 23.Lxc6 bxc6 24.Sa5 Lxb4 25.Sxc6=) 20…Lxf3 21.gxf3 Txb2 22.Tb1 Txb1 23.Txb1 b6 24.cxb6 axb6= 19…Lxf3 20.gxf3 Txb2 21.Tb1

Jetzt sollte Schwarz nicht 21…Txb1 spielen, sondern 21…Txa2 22.Txb7 Lxc5 23.Sxf7 Ta6 24.Tfb1 Tb6 25.T1xb6 Lxb6 26.Sg5 und dies Endspiel dürfte Remis sein. Schwarz hat die Wahl: er kann seinem a-Freibauern sofort Gewicht verschaffen – 26…e5 27.Kf1 h6 28.Sf7 a5

mit Gegenspiel; oder er kann versuchen, den e-Bauern mit 26…Te8 zu verteidigen. Auch dieser Zug sollte langfristigen Ausgleich garantieren; hier kann Schwarz den e-Bauern natürlich ebenfalls jederzeit opfern. Wie auch immer, diese Stellung werden wir vielleicht in einem eigenständigen Artikel untersuchen.

Kommentar von Joachim Wintzer

Aus Sicht des Rezensenten ist es erfreulich, wenn seine Besprechungen wahrgenommen werden. Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk haben sich mit meinen Kommentaren kritisch auseinandergesetzt.

In der Variante 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Sbd7 5.Sf3 c6 6.e3 Da5 7.Sd2 dxc4 8.Lxf6 Sxf6 9.Sxc4 Dc7 10.Le2 Le7 11.0-0 0-0 12.Tc1 Td8 13.Dc2 Ld7 14.Se4 Sxe4 15.Dxe4 c5 16.dxc5 widerlegen sie meinen Vorschlag 16…Lxc5.

In der Analyse übersah ich die Möglichkeit Se5xf7.

Ich hatte nach einer Verbesserung Ausschau gehalten, weil Schwarz in der erwähnten Partie Kasparow–Am. Rodriguez, Moskau IZ 1982 das Endspiel (scheinbar chancenlos) verlor. Ihr Verbesserungsvorschlag 21…Ta2 (nach 16…Lc6 17.De5 Dxe5 18.Sxe5 Td2 19.Lf3 Lxf3 20.gxf3 Txb2 21.Tb1)

verdient Beachtung. Eine direkte Widerlegung habe ich nicht gefunden. Ich will gern glauben, dass Schwarz das Endspiel bei bestem Spiel Remis hält. Gewinnchancen hat er keine.

Kasparow schien auch davon überzeugt zu sein, dass Schwarz ausgleichen kann, da er im Kandidatenwettkampf gegen Smyslow das schärfere 7.cd: wählte. Vielleicht werden die Autoren wie angekündigt diesem Abspiel einen eigenen Theorieartikel – vielleicht im NIC–Jahrbuch – widmen.

Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk

Die Variante 14.Se5 c5

Tatsächlich scheint das Abspiel 14…c5 15.Sxd7 Dxd7 16.Tfd1

auf den ersten Blick vorteilhaft für Weiß zu sein. Aber eine genauere Betrachtung verrät, dass seine Initiative (wie in vielen anderen Stellungen dieses Systems) nicht von Dauer ist und es Weiß sehr schwer fällt, langfristige Vorteile daraus zu ziehen. Schwarz verfügt über mindestens zwei befriedigende Fortsetzungen:

16…Dd6 17.Sb5 (17.Lf3 cxd4 18.Txd4 [18.Lxb7 Tab8 19.Txd4 Db6 20.Txd8+ Lxd8 21.Le4 Dxb2=] 18…Db6 und wir sehen nicht, wie Weiß seine Initiative in Vorteil verwandeln kann.) 17…Db6 18.dxc5 Txd1+ 19.Dxd1 Lxc5 20.Dc2 Lf8 21.Dc7 Dxc7 22.Txc7 a6 23.Sc3 (23.Sd4 Tb8 24.h3 Ld6=) 23…b5 mit Ausgleich.

oder 16…cxd4 17.Txd4 De8 (17…Dc7 18.Tc4 [18.Sd5 Sxd5 19.Dxc7 Sxc7 20.Txc7 Txd4 21.exd4 Lf6 22.d5 exd5 23.Txb7=] 18…De5 19.Db3 Tab8 20.Sb5 a6 21.Sd4 Sd5=) 18.Sb5 (18.Ta4 a6 19.Lf3 Td7 20.Td4 Tc8 21.Tcd1 Txd4 22.Txd4 b5=) 18…Txd4 19.Sxd4 Tb8 20.Db3 Dd7 (20…Dd8 21.Lf3 [21.a3 Tc8 22.Tc4 Dd7=] 21…Tc8 22.Txc8 Dxc8=) 21.Sc6!? (21.f4 Tc8 22.Td1 Dc7 23.Lf3 Td8 24.Dxb7 Dxb7 25.Lxb7 Sg4=) 21…Dc7 22.Sxe7+ Dxe7 23.Da4 b6 24.Df4 e5 25.Df5 Td8=

 

Joachim Wintzer

Zum Abspiel 14.Se5 c5: Zu meinem Vorschlag 15.Sxd7 geben Panczyk/Ilczuk einige Varianten beginnend mit 15…Dxd7 an, die sie zum Ausgleich analysieren. Ich stimme den Autoren auch hier zu, dass Schwarz bei bestem Spiel den weißen Druck neutralisieren können müsste. Immerhin hat Weiß in der von ihnen vorgeschlagenen Hauptvariante nach 22.Sxe7 den Endspielvorteil von Läufer gegen Springer bei Bauern auf beiden Flügeln.


Krzysztof Panczyk und Jacek Ilczuk

Die Variante 17…a5

14.Se5 .Le8 15.a3 Tac8 16.b4 Ld6 17.f4 a5

Warum 17….a5 und nicht 17….De7? Unserer Ansicht nach ist dieser Zug besser, da Weiß auf seinen schwachen Bauern b4 aufpassen muss und Schwarz die a-Linie mit seinen Türmen besetzen kann. Nach 17…De7 verfügt Schwarz über keinerlei Gegenspiel; Weiß hat Initiative. Obwohl der weiße Vorteil hier nur gering ist, halten wir die Stellung nach 17…a5 18.Db3 axb4 19.Sb5 De7 20.Sxd6 Dxd6 21.axb4 Sd5 für vollkommen ausgeglichen.

Joachim Wintzer

Bei ihrem Kommentar zu 14.Se5 Le8 15.a3 Tac8 16.b4 Ld6 17.f4 a5 haben mich die Autoren missverstanden. Sie behaupten in ihrem Buch, dass Weiß nach 14.Se5 Tac8 15.Se4 Le8 16.Sxf6+ Lxf6 17.f4 leichten Vorteil hat.

Warum folgt Weiß nach 14…Le8 nicht demselben Spielplan Se4-f6: nebst f4 – so meine offensichtliche Frage?