KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

UNTERHALTSAM GESCHRIEBEN,
ABER NICHT GANZ ÜBERZEUGEND

Von FM Joachim Wintzer

Ward The Nimzo-Indian Cover

Chris Ward,
Starting Out: The Nimzo-Indian
Everyman Publishers, 2002
Sprache: Englisch
Paperback, 176 S.,
20,50 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

ÜBER DEN AUTOR

Der britische Großmeister Chris Ward (Elo um 2500) gehört zu den britischen Spielern, die schon zahlreiche Bücher geschrieben haben. Seine Oeuvre reicht von Anfängerbüchern und Testbüchern wie Improve Your Opening Play, It’s Your Move, Think Like a Chess Master: Opening Play (1994) über Eröffnungsbücher wie Winning with the Dragon, The Queen’s Gambit Accepted (1999), Unusual Queen’s Gambit Declined (2002) bis hin zu dem Endspielbuch Modern Practical Endings. Bishop versus Bishop (1993).

DIE NEUE REIHE „STARTING OUT“

Everyman möchte mit der neuen Reihe „Starting Out“ den aufstrebenden Spieler (improving player) ansprechen, der bereits Grundkenntnisse hat und sich die Grundideen einer Eröffnung erst einmal aneignen will. Wenn Wards Buch typisch für diese Reihe ist, so unterscheidet sich die Starting Out-Reihe von der „Wie spielt man“-Literatur dadurch, dass sie viele allgemein gehaltene Hinweise und Tipps enthält, die man eher in einem Anfängerbuch als in einer Monographie über eine bestimmte Eröffnung erwarten würde. Das Buchformat der neuen Reihe ist zwar dasselbe wie bei den Everyman-Eröffnungsbüchern, das Layout ist jedoch ganz anders gestaltet. Die Buchstaben und Diagramme sind wesentlich größer, der Satz einspaltig. Bei gleicher Seitenzahl enthält „Starting Out“ also wesentlich weniger Inhalt, ist aber angenehmer zu lesen.

GLIEDERUNG

Ein Blick auf die Gliederung verrät, dass die Hauptsysteme alle kurz vorgestellt werden:

Bibliography (1 S)
Introduction (4 S)
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4
Rubinstein Variation: 4.e3 b6 (16 S)
Rubinstein Variation: 4.e3 0-0 (18 S)
Rubinstein Variation: 4.e3 c5 (12 S)
Classical Variation: 4.Dc2 d5 (12 S)
Classical Variation: 4.Dc2 0-0 5 a3 Lxc3+ 6 Dxc3 (15 S)
Classical Variation: 4.Dc2 c5 5 dxc5 (16 S)
4.Sf3 b6 (14.S)
4.Sf3 0-0 (11 S)
4.Sf3 c5 (13 S)
Sämisch Variation: 4.a3 (14 S)
Leningrad Variation: 4.Lg5 (12 S)
Odds and Ends (9 S)
Solutions to Exercises (4.S)

EINFÜHRUNGEN IN NIMZO-INDISCH

Nimzo-Indisch gehört zwar zu den populärsten Eröffnungen, doch sind in den letzten Jahren nur wenige Werke darüber erschienen. Als eine der solidesten Verteidigungen gegen 1.d4 erfreut es sich bei Amateuren wie Großmeistern gleichermaßen Beliebtheit. Im Unterschied zu Eröffnungen wie Königsindisch oder Holländisch steht diese Eröffnung nicht unter dem Generalverdacht, positionell fragwürdig zu sein.

Eine neuere Gesamtdarstellung (in 2 oder 3 Bänden) fehlt. Immerhin gibt es einige Monographien zu einzelnen Systemen. Aber an dieser Stelle interessieren jetzt nur die Bücher, die anhand von vollständig wiedergegebenen Partien in die strategischen Prinzipien von Nimzo-Indisch einführen wollen. Wie spielt man Nimzo-Indisch von Keene/Taulbut war eine brauchbare Einführung, ist aber schon lange vergriffen. Neueren Datums ist Kostens Mastering the Nimzo-Indian with the play and read method (1998), eines der schwächeren Bücher dieser Reihe. Svetozar Gligorics Klassiker Play the Nimzo-Indian Defence (1985) setzt im Vergleich zu Ward sehr viel mehr Schachwissen voraus. Der Leser lernte sehr viel über die Unterschiede und Feinheiten der Hauptsysteme. Für den fortgeschrittenen Klubspieler ist dieses Buch noch immer von Interesse. Emms Easy Guide to the Nimzo-Indian (1998) ist ein Repertoirebuch aus schwarzer Sicht. Last but not least ist Rippergers Chessbase-CD Wie spielt man Nimzo-Indisch zu erwähnen, die ich aber nicht selbst in Augenschein genommen habe und mich daher mit einem Urteil zurückhalte. Gemeinsam ist den erwähnten Werken, dass sie sich als Einführungsbücher in die Eröffnung und nicht noch gleichzeitig als ein allgemeines Lehrbuch begreifen.

PRÄSENTATION DES MATERIALS

Ward führt in jede Variante mit einer mehrseitigen Einführung ein, in welcher die Standardpläne erläutert werden. Anschließend folgen einige ausführlich kommentierte Partien. Die Diagramme zu den Partien sind nicht an der Stelle eingesetzt, an welcher die entsprechende Zugnotation abgedruckt ist, sondern zwei Diagramme sind häufig nebeneinander abgedruckt. Wahrscheinlich sollte die Platzverschwendung aufgrund des einspaltigen Satzes nicht übertrieben werden. Die Diagramme sind mit Hinweisen versehen wie „a busy c-pawn“, „crazy stuff“, „No castling!“ und „a king on the ropes“. Der gesamte Text ist mit Warnungen (durch ein Totenkopfzeichen gekennzeichnet), Tips (Glühbirne) und Notizen (Klemmbrett) durchzogen. Einige Beispiele:

Tip: „Knights often dislike open spaces.“
Tip: „Put your pawns in the centre.“
Tip: „If stuck for a plan either eliminate one of your opponent’s well placed pieces or improve the positioning of one of your own.“
Tip: „Patience is a virtue.“
Warnung: „One must guard against concentrating on some pieces to the detriment of others.“
Warnung: „When it is no longer pinned, beware the knight moving away.“
Notiz: „A bishop-for knight advantage isn’t usually as great as two bishops vs. Bishop and knight advantage.“
Notiz: „A loss isn’t a good thing.“

Ich habe den Eindruck, dass Ward bei seinen Hinweisen assoziativ vorgegangen ist. Manche Hinweise sind sehr speziell, andere sehr allgemein, geradezu trivial. Eine dahinter stehende Systematik ist nicht erkennbar. Die groben Verallgemeinerungen widersprechen sich natürlich häufig. Es wirkt komisch, dass in einem Buch über Nimzo-Indisch die Empfehlung gegeben wird, das Zentrum mit Bauern zu besetzen. Gerade darauf verzichtet Schwarz in vielen Varianten, z.B. der Sämisch-Variante.

Es ist ferner bezeichnend, dass erst der letzte Satz des Buches den Begriff des Doppelbauern erklärt, obwohl dieser Begriff natürlich die ganze Zeit vorher bereits verwandt wurde. Für einen Anfänger, welcher die entsprechenden Begriffe noch nicht kennt, ist eine derartige Aufbereitung des Materials unbefriedigend. Hilfreich ist hingegen der hohe Wortanteil bei Wards kommentierten Partien. Der Leser wird nicht mit Varianten erschlagen.

Aber wie sieht es mit der Darstellung der Eröffnung selbst aus? Generell finde ich es begrüßenswert, wenn Autoren neues Material präsentieren. Da viele Partien von Ward oder englischen Schachspielern gespielt worden sind, war mir ein Großteil des Materials unbekannt. Weil ich mit Nimzowitschs Mein System und Die Praxis meines Systems (schachlich gesehen) aufgewachsen bin, bedaure ich jedoch, dass Ward einige grundlegende Partien und Ideen des Erfinders dieser Eröffnung außer Acht gelassen hat. Nimzowitschs Blockadepartie gegen Johner mit den entsprechenden Kommentaren versehen wäre sicher eine Bereicherung gewesen. Auch vermisse ich eine Partie, in welcher Weiß wie in der berühmten Partie Botwinnik-Capablanca, AVRO 1938 sein Übergewicht auf dem Königsflügel in ähnlich eindrucksvoller Weise zur Geltung brachte.

Wards Schreibstil ist unterhaltsam, so dass es dem Leser mit Englisch-Grundkenntnissen leicht fällt, den Erklärungen des Großmeisters zu folgen. Nützlich sind seine ausführlichen Erläuterungen der typischen Pläne beider Seiten, die jedem Kapitel vorangehen. Weniger überzeugt haben mich die insgesamt (nur) 13 Übungsaufgaben, die mir mehr der Unterhaltung als der Anwendung des angelesenen Wissens zu dienen scheinen.

FAZIT

Das Urteil über Starting Out. The Nimzo-Indian fällt nicht einfach. Die Mischung von Anfängerbuch und Einführung in eine der strategisch anspruchsvollsten Eröffnungen überzeugt nicht ganz. Es bleibt abzuwarten, ob die anderen Bücher dieser Reihe das Konzept besser umsetzen. Sieht man von den methodischen Schwächen ab, bleibt eine unterhaltsam geschriebene Einführung in Nimzo-Indisch für Spieler bis etwa DWZ 1800. Wer Keene/Taulbut oder Kosten besitzt, wird auf Wards „Starting Out“ verzichten können.