KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

HATTRICK MIT ANSAGE

von FM Jan Peter Schmidt

Marin Englische Eröffnung Bd. 2 Cover

Mihail Marin
Englische Eröffnung, Bd. 2,
GM Repertoire 4,

Antworten auf 1.c4 außer 1..e5 u. 1..c5
439 Seiten,
gebunden 27,99 Euro

Marin English Opening, Bd. 2 Cover

Mihail Marin
The English Opening,
Vol. 2,

GM Repertoire 4,
480 Seiten,
gebunden, 35,99 Euro,
kartoniert 27,99 Euro

Marin English Opening, Bd. 3 Cover

Mihail Marin
The English Opening, Vol. 3,
GM Repertoire 5,
320 Seiten,
gebunden 32,99 Euro,
kartoniert 24,99 Euro

(Die  Belegexemplare wurden  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Die Serie „Grandmaster Repertoire“ von Quality Chess hat schon mit dem Auftaktwerk „1. d4“ von Boris Avrukh neue Maßstäbe in Sachen Eröffnungsliteratur gesetzt. Dementsprechend groß waren die Erwartungen bei Mihail Marins Debüt in dieser Reihe, zählt der Rumäne doch längst zu den renommiertesten Schachautoren der Gegenwart. Die Fans wurden nicht enttäuscht: Schon die Besprechungen zum voluminösen Band 1 der „English Opening“ (1. c4 e5) waren geradezu hymnisch (siehe beispielhaft die Rezensionen von Erik Zude  und Georgios Souleidis), und mit den nun vorliegenden, deutlich schmaleren Bänden 2 und 3 knüpft Marin nahtlos an den gesetzten Standard an. Gründlichkeit, Vollständigkeit und Tiefe verbinden sich in gewohnter Art und Weise mit Klarheit, Übersichtlichkeit und Leidenschaft.

Der Inhalt im Überblick: Band 3 der Serie ist praktisch das Gegenstück zu Band 1 und untersucht alle sich nach 1…c5 ergebenen Abspiele, während Band 2 das keineswegs kleine Feld der „sonstigen Abspiele“ beackert. Hierzu gehören insbesondere die Varianten mit 1…c6/e6 und 2…d5, Anti-Grünfeld, Anti-Königsindisch und Anti-Holländisch. Gerade in diesem Band zeigt sich Marins eiserne Konsequenz bei der Suche nach einem in sich geschlossenen „1.c4“-Repertoire. Er verhehlt nicht die Mühen und Zweifel, die ihn hierbei oft begleiteten (siehe z. B. Band 2, S. 16), ebenso wie die Versuchung, dem Leser einfach den Übergang in eine 1.d4-Hauptvariante zu empfehlen (umso mehr, als dies guten Gewissens mittels eines Verweises auf das Werk von Avrukh hätte geschehen können). In jedem Fall haben sich die Anstrengungen, den Aufbau 1.c4, 2.g3 auch gegen 1…c6/e6, 2…d5 „zum Laufen bringen“, gelohnt; der betreffende Abschnitt zählt zu den originellsten in der gesamten Dreierserie und bietet dem Weißen frische Ideen insbesondere zur Bekämpfung des soliden Slawen.

Der begrenzte Raum lässt es natürlich nicht zu, das komplette Repertoire hier in Einzelheiten zu beschreiben. Erwähnung verdient aber z. B., dass Marin gegen einen königsindischen Aufbau wie schon in Band 1 das Botwinnik-System empfiehlt, also das Bauerndreieck mit c4, e4, d3. Wer wie der Rezensent dachte, dass Schwarz nicht zuletzt mit der Aufstellung d6, c5 leicht zum Ausgleich kommt, wird schnell eines Besseren belehrt. Grund zur Sorge besteht sodann auch für die Igel-Fraktion, denn durch sein 2.g3 hindert Marin den Schwarzen an seinem Standardaufbau und stellt ihn so vor neue Herausforderungen. Oft folgt der Autor aber auch einfach der klassischen Spielweise und begnügt sich mit deren Verfeinerung. Frucht seiner Analysen sind unzählige Neuerungen, die er zum Teil auch schon im Selbstversuch getestet hat. Der große Erfolg hat ihn selbst überrascht. Zu seinen prominenten Opfern zählte etwa Jan Gustafsson (Bd. 2, S. 154), der übrigens eine stark gestiegene Popularität der Englischen Eröffnung seit dem Erscheinen von Marins Werk beobachtet hat (siehe seinen Partienkommentar). Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass die Schwarzspieler inzwischen an einigen Stellen nachgebessert haben, wie z. B. Adams in seiner wichtigen Partie gegen McShane am gerade vergangenen Bundesligawochenende.

Die Tiefe der Darstellung ist beeindruckend: Sie dringt bis weit ins Mittelspiel und oftmals sogar ins Endspiel vor. „En passant“ vermittelt Marin dem Leser hierbei auch viel nützliches Wissen über die typischen Pläne und Strukturen. Die entstehenden Stellungen sind entgegen verbreiteter Vorurteile gegen die Englische Eröffnung keineswegs trocken oder langweilig. Marins Credo sind schnelle Entwicklung, harmonisches Figurenspiel und Initiative, und oft nimmt er hierfür auch geringe Materialopfer in Form eines Bauern oder der Qualität in Kauf. Das Druckspiel, das er anstrebt, richtet sich meist gegen den schwarzen Damenflügel, zuweilen aber auch unmittelbar gegen den gegnerischen König. Dass am Ende der Variante oft „nur“ ein += steht, ist Ausweis der großen Objektivität des Autors .

Erfreulich ist schließlich, dass Marin seiner Vorliebe für Ausflüge in die Schachgeschichte auch in einem Eröffnungsbuch treu geblieben ist. So erläutert er etwa das mit groß em Erfolg von Bobby Fischer gespielte System mit c5, Sc6, g6, Lg7, e6 anhand der berühmten Partie Petrosian – Fischer aus dem Wettkampf „UdSSR gegen den Rest der Welt“ (1970) und macht sie zum Ausgangspunkt für die Suche nach der Verbesserung des weißen Spiels (Band 2, S. 80 ff.). Ebenso zeigt er eine Verstärkung in dem Klassiker Fischer – Polugajewski (Interzonenturnier Palma de Mallorca 1970), die bislang auf Grundlage von Polugajewskis Kommentaren immer als „perfektes Remis“ galt (Bd. 2, S. 105 f.).

FAZIT

Für Englischspieler und solche, die es werden wollen, ist die Marin-Trilogie ein absolutes Muss. Doch eigentlich ist jeder ambitionierte Spieler gut beraten, wenigstens einmal Blick in das Werk zu werfen, denn aufgrund des universellen Ansatzes des Autors gilt: Vor dem Marin-Repertoire gibt es kein Entkommen!