KOLUMNE
Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.
MARSHALL-ANGRIFF FÜR ALLE
von IM Erik Zude
David Vigorito
Understanding the Marshall Attack
A Layman’s guide to the supergrandmasters‘ favourite gambit
Gambit 2010,
Paperback, 192 Seiten,
23,95 €
Milos Pavlovic
Fighting the Ruy Lopez
Everyman Chess 2009,
Paperback, 174 Seiten,
17,90€
(Das Belegexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)
Der Marshall-Angriff ist schon immer eine „Hass-Liebe“ vieler Klub-Spieler gewesen. Einerseits ist es sehr reizvoll, auch mit Schwarz einen Bauern zu opfern und selbst auf Angriff zu spielen, anstatt dem Gegner zu erlauben, den typischen spanischen Druck aufzubauen. Andererseits ist die dazugehörige Eröffnungstheorie seit Jahrzehnten derart angewachsen, dass man schon einigen Mut braucht, um die teilweise sehr verwickelten und forcierten Varianten im Turniersaal zu spielen.
Dies gilt aber auch für den Weiß-Spieler, wenn er denn gerne den Gambitbauern gewinnen und festhalten möchte. Die Befürchtung, der Gegner könnte seine Hausaufgaben besser gemacht und die konkreten Abspiele gründlicher studiert haben, lässt so manchen dem Beispiel vieler Großmeister folgen und in den „Anti-Marshall“-Varianten ohne großes Risiko einen meist nur mikroskopischen Eröffnungsvorteil anstreben.
Für die potentiellen Anhänger und Widersacher des Marshall-Angriffs gibt es jedoch zwei aktuelle Eröffnungsbücher, die dazu ermuntern, sich der Herausforderung zu stellen. Milos Pavlovic hat ein recht schlankes, aber umfassendes Repertoire für Schwarz vorgelegt, in dem auch alle spanischen Nebenvarianten behandelt werden. David Vigorito untersucht dagegen in seiner Monographie sowohl für Weiß als auch für Schwarz alle wichtigen Varianten des Marshall-Gambits.
Understanding the Marshall von David Vigorito
Vigorito hat seinen Band in drei Teile gegliedert. In Teil 1, mit 72 Seiten der größte, analysiert er die Hauptvarianten, in denen Weiß den Mehrbauern zu behaupten versucht. Im zweiten Teil (44 Seiten) folgen moderne Abspiele nach der Annahme des Opfers, im letzten Teil (53 Seiten) behandelt er die „Anti-Marshall“- Systeme, in denen Weiß mit dem schwarzen Bauernopfer ausweicht.
Vigorito startet mit der Grundstellung nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0-0.
In einer knappen, aber gut verständlichen Einleitung von 15 Seiten erklärt Vigorito, wie der schwarze Angriff am Königsflügel funktioniert, wenn Weiß das Gambit annimmt. Er zeigt hier immer wiederkehrende Motive, wie den Vorstoß des schwarzen f-Bauern, die Turmschwenks auf der 6. Reihe sowie typische Figurenopfer auf f4, die zu heftigem Königsangriff für Schwarz führen können. Vigorito geht aber auch auf häufig anzutreffende Motive in Endspielen ein, in denen Schwarz mit seinem Läuferpaar meist gute Kompensation für den Gambitbauern hat.
In den theoretischen Kapiteln liefert Vigorito dann das Variantengerüst für die oft sehr forcierten Abspiele des Marshall-Angriffs. Trotz der Fülle an Varianten ist die Darstellung übersichtlich. Der Autor geht sorgsam auf Zugfolgenprobleme ein. Die Analysen aus Pavlovic’s Repertoire-Buch, das ein Jahr früher erschien, berücksichtigt er dabei durchgehend. Genau wie Pavlovic wartet auch er mit zahlreichen eigenen Analysen auf, was den Band auch für theoretisch versierte Turnier- oder Fernschachspieler interessant macht.
Vigorito liefert nach dem einleitenden Kapitel relativ wenig längere Erklärungen. Anhand der Zeichensetzungen ist seine Bewertung der einzelnen Abspiele jedoch immer leicht zu erkennen. Das zitierte Partienmaterial ist aktuell. Vigorito bemüht sich, die Wendepunkte der Partien aufzuzeigen und führt oft mögliche Verbesserungen für beide Seiten an.
FAZIT
Ein solides Theoriebuch, das sowohl für arbeitswillige Einsteiger, die sich einen Überblick verschaffen wollen, als auch für erfahrene Marshall-Praktiker, die auf den neuesten Stand kommen möchten, viel zu bieten hat.
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Fighting the Ruy Lopez von Milos Pavlovic
Gleiches Thema, anderer Ansatz.
Der serbische Großmeister Milos Pavlovic hat seinen Band für Turnierspieler geschrieben, die den Marshall-Angriff mit Schwarz in der Praxis anweden möchten. Im Unterschied zu Vigorito strebt er offensichtlich an, Schwarzspielern ein Spanisch-Repertoire auf den Weg zu geben, das sie mit möglichst wenig Aufwand und Zeiteinsatz erlernen können. Er beschränkt seine Darstellung auf das Notwendigste und legt mehr Wert auf Erklärungen.
Im ersten, 60 Seiten umfassenden Teil seines Buches behandelt Pavlovic die Annahme des Gambits. Er orientiert sich dabei an den von den heutigen Spitzenspielern angewandten Varianten. Obwohl die gezeigten Zugfolgen naturgemäß sehr lang sind, ist dem Verlag eine sehr übersichtliche Darstellung gelungen. Manche Verzweigung beginnt erst jenseits des 20. Zuges. Trotzdem ist ein gelegentliches „b21“ schon die größtmögliche Aufspaltung der Varianten, so dass der Band immer sehr leicht lesbar ist.
Pavlovic empfiehlt an einigen Stellen mehr als eine Variante, bisweilen auch seltener gespielte Fortsetzungen, wenn die am häufigsten vorkommende nicht seinen Geschmack trifft. An einigen Stellen bietet er auch eigene Analysen an. Jedes der recht kurz gehaltenen Kapitel beginnt mit ausführlichen Erläuterungen zu den Ideen der Variante. Aber auch im folgenden Theoriteil finden sich noch weitere Erklärungen.
Im zweiten Teil geht der Autor auf 54 Seiten auf die Systeme ein, mit denen Weiß das Gambit ablehnt. Auch hier findetn sich besonders in den recht umfangreichen Einleitungen zu den verschiedenen Abspielen viele typische Strukturen und Spielpläne für beide Seiten, sodass der Leser sein Repertoire typischer spanischer Ideen erweitern kann.
Im letzten Teil (37 Seiten) schlägt Pavlovic dann noch Varianten gegen die spanischen Nebenvarianten vor: Worall-Angriff, verzögerte Abtauschvariante, Systeme mit frühem d2-d4 oder Sc3 sowie die Abtauschvariante. Auch hier hat der serbische Großmeister ausschließlich zuverlässige und in der Turnierpraxis bewährte Varianten ausgesucht und gut erklärt.
FAZIT
Ein besonders durch die Beschränkung auf das Wesentliche bestechendes Buch zum Marshall-Angriff.
Sehr gut geeignet für alle, die mit wenig Zeitaufwand ein interessantes und solides Schwarz-Repertoire lernen wollen.
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Abschließend noch die beiden Inhaltsangaben:
David Vigorito, Understanding the Marshall Attack
004 Symbols
004 Dedication
004 Acknowledgements
004 Bibliography
005 Introduction
010 Recommendations
012 Typical Ideas in the Marshall Attack
1 e4 e5 2 Nf3 Nc6 3 Bb5 a6 4 Ba4 Nf6 5 0-0 Be7 6 Re1 b5 7 Bb3 0-0
Part 1: Main Lines with 8 c3 d5 9 exd5 Nxd5 10 Nxe5 11 Rxe5 c6 12 d4 Bd6 13 Re1 Qh4 14 g3 Qh3
020 1 Spassky Variation
031 2 Old Main Line: 18…f5/18…bxa4
051 3 15 Be3: Other Lines
074 4 Modern Variation: 15 Re4
Part 2: Other Lines after 8 c3 d5 9 exd5 10 Nxe5 Nxe5 11 Rxe5 c6
092 5 Refined Rook-Lift: 12 d3
108 6 Elite Equalizer: 12 d3 Bd6 13 Re1 Bf5
120 7 Early Deviations
Part 3: Anti-Marshall
137 8 Anti-Marshall: 8 a4
155 9 Anti-Marshall: 8 h3
170 10 Other Anti-Marshall Lines
190 Index of Variations
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Milos Pavlovic, Fighting the Ruy Lopez
005 Preface
007 Introduction: The Ideas Behind the Marshall Attack
Part One: Gambit Lines
015 1 – The Main Line
026 2 – The Modern Rook Shuffle: 15 Re4
040 3 – The Mysterious Retreat: 13 Re2
045 4 – The Kevitz Variation: 12 Bxd5 cxd5 13 d4
049 5 – The Dangerous 12 d3
064 6 – The Tricky 12 g3
069 7 – Declining the Marshall
Part Two: Anti-Marshall Lines
075 8 – The 8 h3 Anti-Marshall
096 9 – The 8 a4 Anti-Marshall
107 10 – The 8 d4 Anti-Marshall
119 11 – The Steinitz Variation: 8 d3
Part Three: Other Lines
130 12 – The Worrall Attack
137 13 – The Delayed Exchange Variation
144 14 – Early d4 and Nc3 Variations
156 15 – The Exchange Variation
168 Index of Variations