KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

KURZ UND BÜNDIG: BLICK EINES INSIDERS

Dreevs Moskauer System und Anti-Moskauer Gambit

von IM Erik Zude

Dreev Moscow Variation Cover

Alexey Dreev
The Moscow and the Anti-Moscow Variations
An Insider’s View
Chess Stars 2010,
212 S., Paperback,
24,95 €

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Mit Alexey Dreev hat der Chess Stars Verlag den wohl profiliertesten Autor für ein Eröffnungsbuch über das Moskauer System sowie das Anti-Moskauer Gambit gewonnen. Dreev spielt diese beiden Systeme seit mehr als 20 Jahren, und das auf höchstem Niveau. Im Unterschied zu manch anderem Top-GM hat Dreev ein eher enges Eröffnungsrepertoire, das mit Schwarz gegen 1.d4 wesentlich auf Halb-Slawisch basiert.

Nach 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 kann der Nachziehende, anstatt mit 4…dxc4 Slawisch zu spielen, mit 4….e6 in Halb-Slawisch überlenken. Weiß hat jetzt seinerseits die Wahl, mit 5.Lg5 oder 5.e3 fortzusetzen. Letzteres mündet nach 5…Sbd7 6.Ld3 in die Meraner Variante, ebenfalls eine Eröffnung, für die Alexey Dreev als einer der größten Spezialisten gilt. Dieses sehr komplexe System ist jedoch nicht Gegenstand des Buches, Dreev behandelt ausschließlich die Läuferentwicklung nach g5.

Das Moskauer System entsteht nun nach 5…h6 6.Lxf6 Dxf6, was im ersten der beiden ungefähr gleich großen Teile des Buches untersucht wird. Nach dem Aufgeben des Läuferpaares versucht Weiß, seinen Raumvorteil im Zentrum auszubauen (e3-e4) und Schwarz nach Möglichkeit an den Befreiungsversuchen e6-e5 und c6-c5 zu hindern. Das Spiel hat hier meist zunächst eher ruhigen Charakter, frühe taktische Verwicklungen sind die Ausnahme.

Im zweiten Teil erklärt der Top-GM dann das Anti-Moskauer Gambit, das nach 5… h6 6.Lh4 dxc4 7.e4 g5 8.Lg3 b5 entsteht. Weiß opfert einen Bauern, erhält dafür aber ein mobiles zentrales Bauernduo, Entwicklungsvorsprung und die Möglichkeit, die Stellung entweder mit den Hebeln a2-a4 oder h2-h4 an den Flanken öffnen zu können, oder bei Gelegenheit im Zentrum vorzustoßen, d4-d5, manchmal auch e4-e5 mit Spiel auf den schwarzen Feldern. Diese Variante galt früher als sehr gewagt für Weiß, nach ersten Experimenten von Spassky und Kasparov zu Beginn der 80er Jahre hat sich dieses System aber zu einer modernen Hauptvariante entwickelt, die von fast allen Top-GMs, die 1.d4 spielen, mindestens gelegentlich angewendet wird.

Dreev schlägt nicht einfach ein Schwarzrepertoire vor, sondern behandelt stets alle wichtigen Fortsetzungen für Weiß und für Schwarz. Seine Kommentare sind kurz und knapp, nur selten erläutert er etwas ausführlicher, welche Pläne beide Seiten verfolgen. Er konzentriert sich insgesamt auf das Wesentliche, das er sehr komprimiert darstellt. So ist es auch möglich, dass die beiden durchaus umfangreichen Systeme auf nur 200 Seiten ausführlich behandelt werden. Die Analysen sind völlig ausreichend für den Einsatz in der Turnierpraxis und sollten auch für Großmeister sehr wertvoll sein.

Angesichts der gegenwärtigen Erfolge der „Grandmaster Repertoire“ – Bücher des Quality Chess Verlages, in denen auf sehr viel mehr Raum und mit sehr ausführlichen Erklärungen jeweils das Repertoire eines Großmeisters ausgebreitet wird, drängt sich da natürlich die Frage auf, ob eine so knappe Darstellung heute noch gefragt ist. Ich meine: ja. Natürlich bietet z.B. die 3-bändige Serie von Mihail Marin über sein Englisch-Repertoire dem Leser weit mehr an Schach. Neben dem gewünschten Repertoire erfährt er viel über wichtige typische Bauernstrukturen und die Gedankengänge des Großmeisters bei der Analyse von Mittelspielstellungen, denen sehr viel Platz gegeben wird. Auf der anderen Seite muss der Leser eben auch mehr als 1000 Buchseiten bewältigen. Hier hat Dreevs Band einen großen Vorteil: Er ist überschaubar und bietet nur das, was zunächst gebraucht wird. Als Leser bekommt man viel schneller den Überblick und einen praktischen Einstieg. Dass zusätzlich alle Varianten behandelt werden, ist natürlich ein weiterer Vorteil.

Und auch an eigenständigen Analysen des Autors mangelt es nicht. Dreev präsentiert viele Neuerungen und hält mit seiner persönlichen Meinung über den Stellenwert und die Zukunftsaussichten der verschiedenen Varianten nicht hinter den Berg.

FAZIT

Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch, das für alle, die das Moskauer System oder das Anti-Moskauer Gambit mit Weiß oder Schwarz spielen oder in ihr Repertoire aufnehmen wollen, zur Pflichtlektüre gehört.
Es bleibt zu hoffen, dass Alexey Dreev auch seine Analysen zur Meraner Variante in ähnlicher Form veröffentlichen wird.

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Inhalt

008 Preface

Moscow Variation

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Nf3 Nf6 4.Nc3 e6 5.Bg5 h6 6.Bxf6 Qxf6

015 7.e4 dxe4 8.Nxe4 Bb4+

018 7.a3

024 7.Qb3

034 7.Qc2

042 7.g3 Nd7 8.Bg2 dxc4

046 7.e3 Nd7 8.a3

054 7.e3 Nd7 8.Bd3 dxc4 9.Bxc4 Bd6

073 7.e3 Nd7 8.Bd3 dxc4 9.Bxc4 g6

099 7.e3 g6

Anti-Moscow Variation

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Nf3 Nf6 4.Nc3 e6 5.Bg5 h6 6.Bh4 dxc4 7.e4 g5 8.Bg3 b5

103 9.Ne5

112 9.Be2 Bb4; 9…b4; 9…Nbd7

124 9.Be2 Bb7 10.e5

142 9.Be2 Bb7 10.h4 b4

145 9.Be2 Bb7 10.h4 g4 11.Ne5 h5

173 9.Be2 Bb7 10.h4 g4 11.Ne5 Rg8; 11…Nbd7

185 9.Be2 Bb7 10.0-0 Nbd7 11.Ne5