KOLUMNE
Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.
BESONDERS WERTVOLL GEGEN NEBENVARIANTEN
von IM Erik Zude
Boris Avrukh
„1.d4 Volume Two, Grandmaster Repertoire“
Quality Chess 2010,
614 Seiten, Paperback,
29,99 €
(Das Belegexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)
Der zweite Band von Boris Avrukhs Eröffnungsrepertoire für Weiß ist mit einiger Verspätung erschienen. Der Grund dafür scheint schon auf den ersten Blick offensichtlich: Der womöglich perfektionistisch veranlagte israelische Großmeister hat, was Schärfegrad und Detailtiefe seines Repertoires angeht, auch im noch dickeren zweiten Teil keinerlei Abstriche machen wollen.
Schon im ersten Band hatte Avrukh eine Fülle sehr aufwendig analysierter und starker Varianten präsentiert, wobei seine Erklärungen eher knapp gehalten sind. Diesem Stil ist er auch im zweiten Teil treu geblieben. Da der Autor in den meisten Fällen sehr prinzipielle Systeme ausgewählt hat und diese bis zu den gegenwärtigen Grenzen der Eröffnungstheorie untersucht, ergibt sich auch hier eine Materialfülle, die sehr beeindruckend ist.
Ähnlich wie im ersten Band schlägt Avrukh bei einigen Eröffnungen eine etwas ruhigere Gangart ein. Da sein Repertoire gegen Systeme mit e7-e6 auf Katalanisch (1d4 d5 2c4 e6 3Sf3 Sf6 4g3) basiert, wählt er auch gegen Benoni (notgedrungen) sowie Königs-Indisch (um die im klassischen System typischen schwarzen Königsangriffe zu vermeiden) und als Folge davon auch gegen Grünfeld-Indisch jeweils die Fianchetto-Variante. Im Falle von Grünfeld-Indisch ist diese nicht die schärfste Spielweise, was dem Repertoire im Ganzen aber nicht schadet.
Die Schlussfolgerungen der Rezension von Band 1 gelten auch hier: Sehr empfehlenswert für Schachfreunde, die gerne ehrgeizige Eröffnungsvarianten spielen und dafür auch etwas Studienzeit investieren wollen. Avrukh hat, was Tiefe und Qualität der Analysen angeht, mit seinen beiden Bänden einen neuen Standard gesetzt.
Trotz des großen Umfangs gelingt dem Quality Chess Verlag eine sehr übersichtliche Darstellung. Der Leser kann gut den Überblick behalten und gesuchte Varianten leicht finden.
Wer es allerdings nicht ganz so genau wissen will oder von dem Überangebot an (sehr gutem) Material eher abgeschreckt wird, sollte überlegen, zu einem im „Starting-Out“-Format verfassten Repertoire-Buch zu greifen.
An dieser Stelle sei lediglich noch ein weiterer Aspekt gestreift: Wie steht es eigentlich mit den leidigen Nebenvarianten?
Viele Repertoirebuchautoren behandeln schon Eröffnungen wie das Budapester Gambit, Holländisch oder Bogoljubow-Indisch eher am Rande und versuchen, mit möglichst einfach gehaltenen Systemen auszukommen. Ganz zu schweigen von den noch seltener anzutreffenden Alt-Benoni, English Defence, Black Knight’s Tango oder ähnlichem.
Nicht so Boris Avrukh. Er geht jede dieser Eröffnungen mit sehr prinzipiellen Spielweisen an, ohne Rücksicht auf Analyseaufwand oder Dicke des Buches. Der Autor erklärt zum Beispiel kurz, dass gegen das Benkö-Gambit seiner Meinung nach die Annahme des Opfers der einzige ernsthafte Versuch ist, Eröffnungsvorteil zu erzielen, und analysiert dann auf gut 20 Seiten das von der Theorie empfohlene 10. Tb1. Wie immer präsentiert er dabei eine Fülle eigener Analysen und Neuerungen.
Dieser Umgang mit den oft eher stiefmütterlich behandelten Nebenvarianten hebt Avrukhs Werk deutlich von anderen Repertoire-Büchern ab.
FAZIT
Beide Bände sind auch für Turnierspieler interessant, die nicht allen von Avrukhs Hauptvarianten folgen wollen, sich aber für anspruchsvolle Analysen zahlreicher Nebenvarianten interessieren. Auch dafür ist das Preis-Leistungs-Verhältnis mit knapp 30,- Euro für 600 Seiten erstklassiger Analysen gut genug.
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Inhalt
006 Key to symbols used & Bibliography
007 Foreword by Grandmaster Boris Gelfand
008 Bibliography
009 Foreword by the Author
The Bogo-Indian Defence
013 4…c5
019 4…Bxd2+
030 4…a5
036 4…Qe7
The Budapest Gambit
059 Farajowicz Variation
066 Classical Variation
Benoni Systems
092 Catalan Benoni
102 Snake Benoni
108 Benoni without …Nf6
113 Reluctant Benoni
126 Czech Benoni
144 Old Benoni
164 Modern Benoni
201 Benko Gambit
The Dutch Defence
221 Stonewall Variation
243 Classical Variation
262 Leningrad Variation
289 St Petersburg Variation
The Grünfeld Defence
297 Dynamic Variation
337 Solid Variation
The King’s Indian Defence
367 6…Bg4
370 6…Nc6 & 7…Bg4
379 6…Nc6 & 7…Bf5
387 6…Nc6 & 7…e5
400 6…Nc6 & 7…a6
414 6…Nc6 & 7…Rb8
426 6…c6
460 6…Nbd7
491 9..Qb6
The Modern Defence
501 Wade Defence
521 The Modern Defence
Minor Systems
538 2…b6
542 b-pawn Systems
556 English Defence
572 Black Knights Tango
578 Old Indian
587 Queen’s Indian Attempt
593 Odd ideas
601 Index of Variations