KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

INTERESSANTE ERÖFFNUNGSIDEEN IM DAMENGAMBIT

von IM Erik Zude

Play the Semi-Slav Cover

Richard Palliser, Glenn Flear, Chris Ward,
Dangerous Weapons: The Queen’s Gambit,
Dazzle Your Opponent!
Everyman Chess, 2008,
239 S., Paperback,
21,95 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

„Dangerous for whom?“ fragt John Emms provokant in seinem Vorwort. Er beantwortet seine Frage folgendermaßen: Die Autoren können nicht für jede vorgestellte Variante garantieren, dass sie zu 100 Prozent korrekt ist. Sie ist also gefährlich für beide Seiten. Emms geht aber davon aus, dass ein überraschter Gegner mehr Probleme zu bewältigen hat, als man selber.

Ähnlich wie in der SOS-Reihe des New in Chess-Verlages werden in jedem Band der Dangerous Weapons-Serie etwa 15 Eröffnungsvarianten präsentiert. Anders als bei der Konkurrenz konzentrieren sich die Autoren des Gambit-Verlages aber auf eine Eröffnung, hier das Damengambit, was in diesem Band auch Slawisch, angenommenes Damengambit und die Tarrasch-Verteidigung einschließt.

Die Autoren GM Glenn Flear, GM Chris Ward und IM Richard Palliser haben bereits zahlreiche Eröffnungsbücher veröffentlicht und sind bekannt für solide Arbeit. Bei der Mehrzahl der Varianten handelt es sich um eine Empfehlung für Weiß (10 von 14).

Gegen die solide slawische Verteidigung empfehlen die Autoren mehrere scharfe Varianten. Ohne alles genau geprüft zu haben, drängt sich mir aber der Verdacht auf, dass diese oft gefährlicher für Weiß sind. Ein Beispiel:

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 dxc4 5.a4 Lf5 6.Se5 e6 7.f3 Lb4 8.g4 Sd5

[8…Lg6 9.h4 (9.Sxg6 hxg6 10.e4 Da5 (10…b5 11.Le3 Sbd7 12.Kf2 a6 13.Dc2 mit Kompensation) 11.Ld2 Db6 12.Le3 La5 13.Dc2 Db4 14.Kf2 mit Kompensation.

Hier kann man streiten, wer mehr Probleme hat und ob Weiß wirklich so spielen sollte, angesichts zahlreicher guter Alternativen vorher.) 9…Sd5 (9…h5) 10.Ld2 Le7!

 

wird von Palliser erwähnt, der ein paar Züge später auch leise Zweifel an der Kompensation für den (bzw. die!) scharzen Mehrbauern andeutet. Mir fällt kein guter Grund ein, eine solche Variante für meinen Gegner vorzubereiten. Probleme und Gefahren gibt es hier viele, die meisten davon für Weiß.]

9.Dd2 Dh4+ 10.Kd1

analysiert er noch etwas weiter, mit gutem Spiel für Weiß

Es ist sicher empfehlenswerter, sich mit den positionell interessanten und nachhaltigen slawischen Hauptvarianten auseinanderzusetzen und die wichtigsten Mittelspielstrukturen zu vertehen, als sich durch diese forcierten Varianten zu quälen. Vermutlich legt man die eh nach dem dritten „Praxistest“ zur Seite. Palliser ist aber zugute zu halten, dass er in seiner Analyse recht objektiv bleibt und nichts verheimlicht.

Sehr gut gefallen mir dagegen die Empfehlungen gegen die Botwinnik-Variante (Kapitel 7, siehe Inhaltsverzeichnis unten), die Wiener Variante (Kapitel 12) und das Albin-Gambit sowie die Tschigorin-Verteidigung (Kapitel 14).

All diese Eröffnungen haben gemeinsam, dass Schwarz seinen Gegner in zweischneidige Strukturen und forcierte Zugfolgen lockt, in denen eine Seite Kompensation für materielle Defizite hat. Besonders das notorische Botwinnik-System zeichnet sich dadurch aus, dass Schwarz über eine Fülle von verschiedenen Varianten verfügt. Viele davon sind zwar sehr riskant; wer mit Weiß dagegen bestehen will, muss diese aber gut studiert haben. Hier empfiehlt Chris Ward ein System, in dem Weiß mit einem Bauernopfer frühzeitig vom Hauptweg abzweigt. Als Kompensation erhält er einen Entwicklungsvorsprung und langfristige Angriffschancen gegen die auf beiden Flügeln geschwächte schwarze Stellung.

Auch in der Wiener Variante gibt es eine Fülle langer forcierter Theorievarianten, die Richard Palliser mit einem eleganten Bauernopfer im 6. Zug umgeht.

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 dxc4 5.e4 Lb4 6.Lxc4!?

Kapitel 12 von Richard Palliser. Weiß weicht den Hauptvarianten nach 6. Lg5 aus und spielt im Gambit-Stil. 6…Sxe4 7.0–0 Sxc3

[7…Lxc3? gab Weiß einen schönen Angriff 8.bxc3 Sxc3 9.Db3 Sd5 10.La3 Sc6 11.Tfe1 Sce7 (11…Sa5 12.Da4+ Sc6 13.Db5 Sb6 14.d5! a6 15.Dc5 Dd6 16.Dxb6 Dxa3 17.Dxc7 De7 18.Dg3 Sa5 19.Ld3 g6 20.Tac1+-) 12.Lxe7! Sxe7 13.d5 exd5 14.Lxd5 0–0 15.Lxf7+ Txf7 16.Tad1 Df8 17.Sg5 Lg4 18.f3 Lh5 19.Se6 (19.Td7? S. Pedersen – P.H. Nielsen, Faaborg (blindfold) 2007 0–1(23) ) 19…Txf3 20.gxf3 Df6 21.Td7 Kh8 22.Sxc7 Dg5+ 23.Kh1+-]

8.bxc3 Le7!

[8…Lxc3 9.Tb1 c5 10.Lg5 f6 11.Db3 Scherbakov (11.Le3 Palliser ) ]

9.Se5 0–0 10.Dg4 Kh8 11.Dh3 De8 12.Ld3 f5 13.Te1 Sc6

Weiß hat gute Kompensation und Angriffschancen. Kasimdshanov – Gelfand, can m Elista (7)

Selbst wenn diese Variante den „Test der Zeit“ am Ende nicht unversehrt bestehen sollte: Die Beschäftigung mit natürlichen Entwicklungszügen, einer Standard-Zentrumsstruktur und einem geradlinigen Opfer für Entwicklungsvorsprung kann viel Spaß machen und einen schachlich weiterbringen. Von dem einen oder anderen überraschten und überrumpelten Gegner einmal ganz abgesehen.

FAZIT

Palliser, Flear und Ward stellen in einem ordentlichen Band 14 interessante Eröffnungsideen vor. Sicherlich sind nicht alle zu 100 Prozent korrekt, bei der einen oder anderen könnte der Untertitel auch gut „Dazzle yourself!“, „Blende Dich selbst!“ heißen. Die meisten sind aber ok, und es sollte für jeden Geschmack etwas passendes dabei sein.

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Inhalt

005 Preface

006 Series Introduction

009 1 Playing …b5 with Confidence
(1 d4 d5 2 c4 dxc4 3 e4 b5)

031 2 Having Fun Against the …a6 Slav
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 a6 5 c5 Nbd7 6 Bf4 Nh5 7 Bg5)

045 3 Exciting Byways in the Main Line Slav: Part One
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 dxc4 5 a4 Bf5 6 Ne5 e6 7 f3)

060 4 Exciting Byways in the Main Line Slav: Part Two
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 dxc4 5 a4 Bf5 6 Ne5 Nbd7 7 Nxc4)

078 5 The a-pawn Cramp
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 dxc4 5 a4 Bf5 6 e3 e6 7 a5)

095 6 The Hodgson-Smallbone Variation
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 dxc4 5 a4 Bg4 6 Ne5 Nbd7)

115 7 The a-pawn Abstention
(1 d4 d5 2c4c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 e6 5 Bg5 dxc4 6 e4 b5 7 e5 h6 8 Bh4 25 9 exf6 gxh4 10 Ne5 Qxf6 11 g3)

135 8 Going Long in the Moscow
(1 d4 d5 2c4 c6 3 Nf3 Nf6 4 Nc3 e6 5 Bg5 h6 6 Bxf6 Qxf6 7 Qb3 dxc4 8 Qxc4 Nd7 9 0-0-0)

152 9 Livening up the Exchange Variation: Part One
(1 d4 d5 2c4 e6 3 Nc3 Nf6 4 cxd5 exd5 5 Bg5 Be7 6 e3 c6 7 Bd3 Bg4)

164 10 Livening up the Exchange Variation: Part Two
(1 d4 d5 2c4 e6 3 Nc3 Nf6 4 cxd5 exd5 5 Bg5 Bb4)

175 11 Shocking the OGD
(1 d4 d5 2c4 e6 3 Nc3 Nf6 4 Nf3 Be7 5 g4)

186 12 The Anti-Vienna Gambit
(1 d4 d5 2c4 e6 3 Nc3 Nf6 4 Nf3 dxc4 5 e4 Bb4 6 Bxc4)

207 13 Tricking the Tarrasch
(1 d4 d5 2c4 e6 3 Nc3 c5 4 cxd5 exd5 5 Nf3 Nc6 6 Bf4)

225 14 Taking the Fun out of the Albin and Chigorin
(1 d4 d5 2c4 e5 3 dxe5 d4 4 a3 Nc6 5 e3)