KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

ANSPRUCHSLOS UND UNPSYCHOLOGISCH

Angus Dunningtons Chess Psychology

Von FM Johannes Fischer

Dunnington Chess Psychology Cover

Angus Dunnington,
Chess Psychology:
Approaching the Psychological Battle both on and off the Board,
London: Everyman 2003, 128 Seiten,
23,40 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Obwohl enttäuschend, enthält das neue Buch Chess Psychology des englischen Internationalen Meisters und Schachtrainers Angus Dunnington nette Dinge: Z.B. Zitate berühmter Sportler, wie das Bekenntnis Virginia Wades, Wimbledonsiegerin von 1977: „I don’t seem to use my intelligence intelligently“ oder Michael Jordans Ausspruch „You have to expect things of yourself before you can do them“.

Die Frage liegt nahe, was Dunnington von sich und dem Buch erwartete, bevor er die ersten Zeilen schrieb. Der Titel erweckt den Eindruck, es ginge ihm um Schachpsychologie. Im Buch selbst merkt man davon allerdings wenig. Diese bedauerliche Diskrepanz könnte an Dunningtons Unwillen liegen, sich der Mühe zu unterziehen, genauer zu klären und zu erklären, was er unter Schachpsychologie versteht.

Nachdem Dunnington seine Leser netterweise gleich zu Beginn des Buches vor dessen Inhaltslosigkeit warnt und Walter Scott mit dem Ausspruch „Chess is a sad waste of brains“ zitiert, versucht er sich an einer Definition der Psychologie und schreibt: „Psychologie ist die wissenschaftliche Untersuchung des Verhaltens und geistiger Prozesse“ (S.7). Dann fügt er ergänzend hinzu: „Natürlich ist das Gebiet der Psychologie groß, und umfasst Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, Denkprozesse, Erinnerungen und so weiter, die alle einen entscheidenden Einfluss darauf haben, wie und mit welchem Erfolg wir Schach spielen.“

Mit dieser selbst erteilten Lizenz, alles Psychologie zu nennen, was mit Schach zu tun hat, philosophiert Dunnington in den folgenden drei Kapiteln munter drauflos. Ohne kaum je wirklich etwas zu sagen und ohne sein Material weiter zu strukturieren, lässt er sich über Ernährung, Gedächtnis, ausreichend Schlaf, das Spiel in vorteilhaften Stellungen, Raumvorteil, Eröffnungsstudium, Gefühl für Gefahren, Tunnelvision usw., usw aus. All das gipfelt in einer belanglosen Betrachtung über die Vorzüge des Fischer-Random-Schachs.

Dabei gelingt Dunnington das Kunststück, psychologische Überlegungen sogar dann zu vermeiden, wenn sie sich aufdrängen. So zählt er im ersten Kapitel unter dem Punkt „Innerer Frieden“ eine Reihe von Faktoren auf, die sich störend auf das Schachspiel auswirken können: „Frauen, Mütter, Brüder, Arbeit, Schule, Flugzeuge, Züge und Autos, Freundinnen, Geld, Schlaf, Erkältung, Ehemänner, Fußballergebnisse, Rückenschmerzen, das Wetter, Freunde…“ Wie man mit solchen Störungen umgehen kann, um tatsächlich inneren Frieden zu erreichen und sich auf das Schach zu konzentrieren, verrät Dunnington nicht.

Und Basisfragen der Schachpsychologie, wie das Spiel in wichtigen Partien, der Umgang mit Niederlagen, die richtige Balance zwischen zu großem Erfolgsdruck und mangelnder Motivation, das Finden der richtigen Einstellung zur die Partie, dem Spiel gegen Angstgegner, um nur einige zu nennen, streift er nicht einmal.

Verblüffend ist auch Dunningtons Ignoranz gegenüber seinen Vorgängern. Er ist schließlich nicht der Erste, der sich mit Schachpsychologie beschäftigt. Zwar erwähnt er de Groots Thought and Choice in Chess, den Klassiker des Genres, aber Werke wie Krogius‘ Psychology in Chess, Munzerts Schachpsychologie, Hartstons und Wasons The Psychology of Chess oder, Fines The Psychology of the Chess Player scheint er nicht zu kennen. Auch stärker praktisch orientierte Bücher, wie Nunns Secrets of Practical Chess oder Rowsons Seven Deadly Chess Sins, die sich beide mit Aspekten der Schachpsychologie befassen, scheinen ihm nicht vertraut zu sein.

Insgesamt gesehen ist Chess Psychology so nichtssagend, dass man den Eindruck gewinnt, Dunnington ging es nur darum, irgendwie 128 Seiten voll zu schreiben, die man als Buch verkaufen kann. Was er schreibt, scheint ihm egal gewesen zu sein. Mit Schach sollte es zu tun haben und ab und zu muss das Wort Psychologie erwähnt werden. Mit etwas höheren Erwartungen an sich hätte Dunnington seine Intelligenz zweifellos intelligenter einsetzen können – und vielleicht wäre ja ein substantieller Beitrag zum Thema dabei herausgekommen. Aber so bleibt dem Leser nur eine Wahl: Auf Dunningtons Chess Psychology zu verzichten, um Geld und Zeit für die Bücher zu sparen, die sich diesem Thema mit mehr Sorgfalt widmen.