KOLUMNE
Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.
DIE SCHÖNSTE PARTIE ALLER ZEITEN:
EINE FAHNDUNGSGESCHICHTE
TEIL 3: „TUE GUTES UND SPRICH DARÜBER“
Von FM Johannes Fischer
Diesen Rat moderner Marketing-Experten nahm sich Aaron Nimzowitsch, Systematiker und frühe Ich-AG in Sachen Schach, zu Herzen. Ihm war etwas Gutes gelungen – die „Unsterbliche Zugzwangpartie“:
SÄMISCH – NIMZOWITSCH
Kopenhagen 1923
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.g3 Lb7 5.Lg2 Le7 6.Sc3 0-0 7.0-0 d5 8.Se5 c6 9.cxd5 Das weiße Spiel wirkt planlos. Durch den frühen Abtausch auf d5 wird er Probleme haben, später e4 zu spielen, da der Bd4 danach stets zum Isolani wird. Aber ohne den Vorstoß e4 fehlt Weiß der Schwung. 9…cxd5 10.Lf4 a6 11.Tc1 b5 12.Db3 Sc6 13.Sxc6 Lxc6 14.h3
Weiß hat keine Idee, wie er fortfahren soll und wählt mit h3 einen reinen Verlegenheitszug. 14…Dd7 15.Kh2 Sh5 16.Ld2 f5 17.Dd1 Sämisch möchte den Randspringer h5 ausnutzen und doch noch e4 spielen. 17…b4 18.Sb1 Lb5 19.Tg1 Ld6
Ein kreatives Figurenopfer. Nimzowitsch erklärt: „Dieses sonst ganz überraschend wirkende Opfer ist gegeben durch nüchterne Kalkulation: zwei Bauern und 7. Reihe und gegnerischer unentwirrbarer Damenflügel – alles das für bloß eine Figur!“ (A. Nimzowitsch, Mein System, Berlin: Siegfried Engelhardt Verlag, 1973, 1925, S.79.) 20.e4 fxe4 21.Dxh5 Txf2 22.Dg5 Weiß kann den Turm nicht vertreiben: 22.Le3 Le2 23.Dh4 Tf5 und die Dame ist gefangen. 22…Taf8 23.Kh1 T8f5 24.De3 Ld3 Wie so oft führt der schwächere Zug in Glanzpartien zu einem schönen Finale. Prosaisch gewann 24…Te2 25.Db3 La4 und die weiße Dame hat keine Fluchtfelder mehr. Der Versuch 26.Tc8+ hilft nach 26…Tf8 27.Txf8+ Lxf8 auch nicht. 25.Tce1 h6
Nimzowitsch: „Ein glänzender Zug, der den Zugzwang deklariert.“ (Mein System, S.79). Tatsächlich – was soll Weiß ziehen? 26.Tc1 verliert nach Te2 die Dame, 26.Lc1 lässt den Springer b1 ungedeckt, 26.g4 scheitert an T5f3 27.Lxf3 Th2# nicht, nach 26.a3 hält Schwarz den Status Quo mit a5 aufrecht und nach 26.h4 wartet Schwarz mit 26….Kh8 einfach ab, bis Weiß ihm ins Messer rennen muss. Weiß gab auf.
Aber wie der Schachhistoriker Edward Winter weiß, interessierte die Partie damals niemanden so recht: „[Sie] fehlt in beinah allen bedeutenden Schachzeitschriften von 1923 (z.B. Deutsche Schachzeitung, Wiener Schachzeitung, BCM, American Chess Bulletin und Tijdschrift van den Nederlandschen Schaakbond). Auch wird sie weder in dem 25-Seiten langen Abschnitt ‚Games of 1923‘ in Chess-of-To-day von Alfred Emery (London 1924) aufgeführt noch in Ludwig Bachmanns Schachjahrbuch 1923 (…), das beinahe 180 Partien enthielt.“ (E. Winter, Kings, Commoners and Knaves: Further Chess Explorations, S.243)
Diese Ignoranz ließ Nimzowitsch nicht ruhen. Er begann einen, wie Winter es nennt, „Propaganda-Blitz“. In der Wiener Schachzeitung vom Februar 1925 beruft er sich auf Hemmer Hansen, einen dänischen „Amateur“ und Meisterspieler und verkündet, dass die Nimzowitsch-Partie in dänischen Schachkreisen als die „Unsterbliche Zugwang-Partie“ bekannt sei. (vgl. Winter, S.243) Kurz darauf erhöht Nimzowitsch in seinen Büchern dann das Tempo und in der 1925 veröffentlichten Schrift Die Blockade lädt er bereits gewichtigere Zeugen als Hemmer Hansen. Er schreibt: „Dieser ungewöhnlich glänzende Zugzwangsapparat stempelt die Partie, die Dr. Lasker in einem holländischen Blatt als prachtvolle Leistung bezeichnet hat, zu einem Seitenstück der ‚Unsterblichen Partie‘.“ (A. Nimzowisch, Die Blockade: Neue Gesichtspunkte, Berlin: Kagan 1925, S.49) Der immer skeptische Winter merkt jedoch an: „Der Lasker-Artikel (in einem holländischen Blatt?) muss noch gefunden werden.“ (Winter, S.244)
Und in Mein System spricht Nimzowitsch schließlich von „einer kurzen Partie, die unter dem Namen die ‚unsterbliche Zugzwangpartie‘ weit und breit bekannt ist.“ (Mein System, S.79).
Es war ein erfolgreicher Werbefeldzug. Heute ist diese Partie bekannt und geschätzt. In der ChessBase Umfrage der schönsten Partien aller Zeiten rangiert sie im Moment auf Platz 6 und auch die Anthologie The World’s Greatest Chess Games von John Nunn, Graham Burgess und John Emms, führt sie. Wie geschickt Nimzowitschs Andeutungen waren und wie suggestiv Laskers Name wirkt, beweist John Emms dort in seiner Einleitung zur Partie. In Verkennung der verzwickten Quellenlage erklärt er: „Emanuel Lasker bezeichnete sie als ‚Unsterbliche Zugzwang-Partie'“.
Allerdings ist der Vergleich zur „Unsterblichen“ von Anderssen gar nicht so verkehrt. Wie in der Besprechung des amüsanten Buchs Da kann man nichts machen von Ingomar von Kieseritzky berichtet, verdankt auch Anderssens Schmuckstück ihren Ruhm flankierenden Werbemaßnahmen. Vor dem Vergessen bewahrte die Partie der Verlierer: Kieseritzky veröffentlichte sie nach seiner Rückkehr vom Londoner Turnier 1851 in seiner Schachzeitung La Régence. Dort wurde sie von Ernst Falkbeer entdeckt, der ihr 1855 in der Wiener Schachzeitung den Beinamen „Die Unsterbliche“ verlieh. Der Name blieb und sicherte die Aufnahme in zahllose Anthologien. Die Benennung zur Unsterblichen machte diese Partie tatsächlich unsterblich.
Aber was bedeutet das für die Schönheit und die Qualität der Nimzowitsch-Partie? Ist die Partie plötzlich weniger faszinierend und schön, weil das Lob der Autoritäten sich als unsicher erweist? Ist die Schachwelt einem geschickten Betrüger auf den Leim gegangen, der uns eine Mogelpackung verkauft hat? Oder müssen wir im Gegenteil Nimzowitsch dankbar sein, weil er im Wettbewerb um den historischen Schönheitspreis mit Nachdruck auf seinen Beitrag verwiesen hat, der sonst vielleicht in den Tiefen der Datenbanken verschwunden wäre?
Diese Geschichte zeigt, wie das Empfinden, was schöne Partien sind, von äußeren Faktoren abhängt: Wie bekannt sind die Partien, wer hat sie gespielt, in welchem Turnier, wer hat sie gelobt und wo, waren sie wichtig oder historisch bedeutsam, wurden sie oft veröffentlicht usw. Und im Gegenzug könnte man fragen, wie viele schöne Partien nie bekannt werden, weil sie weder von einem berühmten Schachspieler, noch in einem bedeutenden Turnier gespielt worden sind und keine Zeitschrift sie veröffentlicht hat.
Zum Ausgleich folgen deshalb zwei unbekannte Schönheitspartien. An beiden war Bernd Röschlau beteiligt, ein alter Freund von mir, den ich schon seit frühen Jugendzeiten kenne. Bernds, vorsichtig formuliert, rauer offensiver Charme und sein Drang, über seine Partien, sein Schachtalent und seine zukünftigen und vergangenen Erfolge so zu sprechen wie Muhammad Ali über seine Boxkämpfe, machen es nicht immer leicht, seine Qualitäten zu schätzen.
Bernd Röschlau
Aber tatsächlich ist sein Schachtalent enorm und hat ihm in der Jugend etliche Erfolge beschert. Mehrfach war er Hessischer Jugendmeister und 1979 gewann er die (West-) Deutsche Meisterschaft der B-Jugend. Mittlerweile ist er hart arbeitender Vater von vier Söhnen und hat weniger Zeit für Schach. Allerdings wurde er 2002 trotz Doppelbelastung Hessischer Meister. Die folgende Partie ist ein eindrucksvolles Beispiel für Bernds phantastisches taktisches Gespür:
RÖSCHLAU – SZALANCZY
Bad Orb 1989
1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 e6 4.Sc3 exd5 5.cxd5 d6 6.Sf3 g6 7.Sd2 Lg7 8.e4 0-0 9.Le2 Sa6 10.0-0 Se8 11.Sc4 f5 12.exf5 Lxf5 13.Ld2 Kh8 14.Db3 Tb8 15.Sb5 Sac7 16.Sxa7 Sxd5 17.Tad1 Le6 18.Sb5 Sec7 Schwarz scheint das Schlimmste überstanden zu haben. Wird der Springer abgetauscht, verliert Weiß viel von seinem Druck, weicht er zurück, geschieht b5. 19.Scxd6!?
19…Sc3 Hierauf hatte sich Schwarz verlassen. Aber Weiß wartet mit einer Überraschung auf: 20.Dxc3! Eigentlich ist dieser Zug erzwungen – sobald sich Weiß einmal auf die Komplikationen mit Scxd6 eingelassen hat, kann er gar nicht anders spielen. Trotzdem ist es bemerkenswert, wenn sich die Dame mutig einem Läufer entgegen stellt. 20…Lxc3 21.Lxc3+ Weiß spielt auf Gewinn. Nach 21.Sf7+ Txf7 22.Lxc3+ Kg8 23.Txd8+ Txd8 24.La5 Sxb5 25.Lxd8 Sd4 26.Ld1 Lxa2 verfügt er zwar über das Läuferpaar, aber das sollte angesichts des starken Springers auf d4 und der schwarzen Mehrheit am Damenflügel nicht ins Gewicht fallen. 21…Kg8 22.Tfe1 Dies ist die wirkliche Überraschung. Nach seinem Damenopfer aktiviert Weiß in Ruhe seine letzte noch untätig stehende Figur. 22…Sxb5 23.Lxb5 Lxa2 24.g3 Dg5 25.Se4
25…Df5 Die aktiven weißen Figuren machen es Schwarz nicht leicht, die richtige Verteidigung zu finden. Hier war es besser, das Feld g7 unter Kontrolle zu nehmen, z.B. 25…Dh6 26.Sf6+ Txf6 27.Lxf6 Lf7 28.Td7 mit Kompensation für Weiß. Nach der Partiefortsetzung verliert Schwarz Material. 26.Td7 Tf7 27.Txf7 Lxf7 28.Sf6+ Kg7 29.Sd7+ Kh6 30.Sxb8 Weiß ist materiell im Plus und steht auf Gewinn. Zwei Dinge muss er allerdings noch tun: die Drohungen gegen seinen König abwehren und die Zeitkontrolle schaffen. 30…Ld5 31.f4 c4 32.Ld7 Df8 33.Te5 Lf7 34.g4 Typisch für Bernd, der hier vermutlich bereits nur noch Sekunden auf der Uhr hatte: Er setzt das Spiel gegen den schwarzen König fort. 34…Dxb8 35.g5+ Kh5 36.h3 Da7+ 37.Kg2 Ld5+ Anders lässt sich die Drohung 38.Lg4+ Kh4 39.Le1+ nicht parieren. 38.Txd5 De3 39.Te5 Dxf4 40.Lg4+ Kh4 41.Le1+ Schwarz gab auf.
Nicht immer sind phantasievolle Angreifer zähe Verteidiger. Glanzvolle Opfer blenden leicht und wie viel leichter ist es, sich brillante Varianten auszudenken, die den gegnerischen König zur Strecke bringen, als mühsam alle Drohungen des Gegners zu erkennen und zu entschärfen. So wird Wagemut oft belohnt und viele zweischneidige Opfer erweisen sich als erfolgreich. So wurde Bernd in der nun folgenden Partie Opfer eines brillanten taktischen Feuerwerks. Sein Gegner war Horst Alber, mein langjähriger Mannschaftskollege bei den Schachfreunden Schöneck. Hier war und ist es Tradition, nach den Mannschaftskämpfen gemeinsam essen zu gehen und die gespielten Partien zu analysieren – wenn man das so nennen kann. Je länger der Abend dauerte, um so lustiger wurde die Stimmung und je leichter gingen die Figuren in wilden Opferreigen vom Brett – die nüchtern betrachtet, selten korrekt waren.
Durch diese gemeinsamen Analysen kam ich in den Genuss so manch schöner Partie von Horst. Genau wie Bernd gehört Horst seit Jahren zu den besten hessischen Spielern und Ende der achtziger Jahre war er mit einer Elo-Zahl von 2360 dem IM-Titel nicht gar so fern. Regelmäßig vorn landet er auch bei den Hessischen Meisterschaften und 2001 wurde er endlich Meister. Seine besten Partien verbinden gut durchdachte, originelle Pläne mit tiefsinnigen Opfern. Die folgende Partie ist typisch für sein kreatives Spiel.
Horst Alber
RÖSCHLAU – ALBER
Hessenmeisterschaft 2003
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Sf3 0-0 6.Le2 e5 7.0-0 Sc6 8.d5 Se7 9.Sd2 c5 Schwarz weicht den modernen Theorievarianten aus und besinnt sich auf einen alten Fischer-Zug, den der Amerikaner mit Erfolg in seiner 2. Wettkampfpartie gegen Larsen 1971 mit Erfolg angewandt hat. Später haben u.a. Schirow und Smirin damit experimentiert. 10.Tb1 Se8 11.b4 b6 12.bxc5 bxc5 13.Sb3 f5 14.Lg5 Lf6 15.Ld2 Tf7 16.Dc1 Das typische Manöver, um die weiße Dame zum Damenflügel zu bringen. 16…f4 17.Da3 g5 18.Da5 Sc7 19.Sb5 Sg6 20.Sxa7 Wie in der Partie gegen Scalanczy spielt Bernd sehr direkt und beschwört haarsträubende Verwicklungen herauf. Wenn der schwarze Königsangriff nicht durchschlägt, steht Weiß auf Gewinn. 20…g4 21.f3 g3 22.Db6
Auf den ersten Blick macht die schwarze Stellung keinen guten Eindruck: Weiß droht, den wichtigen Läufer c8 abzutauschen und die Fesselung des Sc7 mit La5 nebst Sb5 auszunutzen. Aber Schwarz verfügt über einen typischen Konter: 22…Lh3! Das königsindische Läuferopfer auf h3 rechtfertigt die schwarze Strategie. Annehmen kann Weiß das Opfer nicht: 23.gxh3 Dd7 24.hxg3 Dxh3 25.Tf2 fxg3 26.Tbf1 Sh4 und Schwarz droht vernichtend g2 nebst Dh1#. Also setzt Weiß auf Gegenangriff. 23.Sb5 Ta6 24.Db7
24…Lxg2! Der Läufer will unbedingt als Märtyrer sterben. Aber wieder ist er tabu: 25.Kxg2 Sh4+ 26.Kg1 Dd7 27.hxg3 Dh3 28.Db8+ (Auch 28.Tf2 hilft nicht: fxg3 29.Db8+ Tf8 30.Dxc7 g2 31.Tff1 gxf1D+ 32.Lxf1 Dg3+ 33.Kh1 Sxf3) 28…Tf8 29.Dxf8+ Kxf8 30.gxh4 Sxb5 31.cxb5 Ta7 und Weiß wird Matt gesetzt. Das Beste war, den Springer auf c7 zu nehmen. Nach 25.Sxc7 Lxf1 26.Dxa6 Lxe2 27.Se6 Db8 28.hxg3 fxg3 steht Weiß schlechter, kann aber noch Widerstand leisten. 25.hxg3 Lxf1 26.Lxf1 Txa2 27.La5 Vermutlich hatte sich Weiß auf diesen Zug verlassen, als er sich gegen 25.Sxc7 entschied. Aber sein König steht einfach zu gefährdet. 27…fxg3 28.Lxc7
28…Sh4! Mit der brutalen Drohung 29…Sxf3+ 30.Kh1 Th2#. Auf 29.Lh3 folgt Sxf3+ 30.Kf1 Tf2#. 29.Sd2 Txd2 30.Tb3 Dd7 Zu guter Letzt kommt die Dame doch noch über d7 zum weißen Königsflügel. Weiß hat Material weniger und Schwarz starken Angriff. Weiß steht auf Verlust. 31.Da8+ Kg7 32.Sxd6 g2 33.Se8+ Kh6 34.f4 Dg4 Weiß gab auf.
Manchmal gewinnt man und manchmal verliert man eben brillant. Das Schicksal Bernds in diesen beiden Partien ist beileibe kein Einzelfall. Auch Nimzowitsch fiel einmal einem Zugzwang auf vollem Brett zum Opfer.
ALJECHIN – NIMZOWITSCH
San Remo 1930
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.Ld2 Se7 6.Sb5 Lxd2+ 7.Dxd2 0-0 8.c3 b6? Schwarz möchte seinen „schlechten“ Läufer abtauschen, aber wie die Partie zeigt, ist dies nicht die richtige Methode. In einer späteren Partie versuchte es Nimzowitsch mit 8…Sf5 und bekam Ausgleich. 9.f4 La6 10.Sf3 Dd7 11.a4 Sbc6 12.b4 Weiß hindert den Springer daran, nach a5 zu gelangen und Schwarz hat Probleme, Gegenspiel zu bekommen. 12…cxb4 13.cxb4 Lb7 14.Sd6 f5?!
Jetzt wird Schwarz völlig eingeschnürt. Aljechin nennt dies den entscheidenden strategischen Fehler und empfiehlt 14…a5. 15.a5 Sc8 Schwarz wird den Springer auf d6 los, aber seine Figuren stehen unkoordiniert und die weißen Felder bleiben schwach. 16.Sxb7 Dxb7 17.a6! Df7 Auf 17…De7 plante Aljechin 18.Lb5, da 18…Sxb4 an 19.Tb1 scheitert. 18.Lb5! S8e7 19.0-0 h6 Natürlich hat Schwarz Angst vor dem Springerausfall Sg5. Aber jetzt bekommt er die c-Linie nicht mehr unter Kontrolle. 20.Tfc1 Tfc8 21.Tc2 De8 21…Sd8 hilft nicht: 22.Tac1 Txc2 23.Txc2 Tc8 24.Txc8 Sxc8 25.Dc3 mit Gewinnstellung für Weiß. 22.Tac1 Vielleicht der einzige Schönheitsfehler in dieser Partie. Wie Aljechin angibt, war 22.Ta3! genauer, da Weiß seine Schwerfiguren so einen Zug schneller auf die c-Linie bringen kann. 22…Tc7 23.Tac3 Tac8 24.Dc1. 22…Tab8 23.De3 Tc7 24.Tc3 Dd7 25.T1c2 Kf8 26.Dc1 Tbc8 27.La4! Mit der simplen Drohung b5. Schwarz muss einen Bauern geben, ohne sich jedoch befreien zu können. 27…b5 28.Lxb5 Ke8 29.La4 Erneuert die Drohung. 29…Kd8 Deckt den schwarzen Turm, hilft aber nicht. 30.h4!
Schwarz ist im Zugzwang. Wenn ihm die Bauernzüge ausgehen, muss er Material geben. 30…h5 31.Kh2 g6 32.g3 Schwarz gab auf.
Mir gefällt diese Partie besser, als der Zugzwang-Branchenführer weiter oben. Während Nimzowitsch in seiner Partie gegen Sämisch vom planlosen Spiel des Weißen profitiert, das Opfer des Springers auf h5 nur mit Hilfe des Weißen zustande kommt und Schwarz kurz vor Ende der Partie einen schnelleren Gewinn auslässt, wirkt die Aljechin Partie vom Spielfluss her überzeugender. Durch kraftvolles und logisches Spiel demonstriert Aljechin, wie Nimzowitsch in der Eröffnung eine strategische Fehleinschätzung unterlaufen ist und drängt Schwarz anschließend immer weiter in die Enge. Das weiße Spiel gipfelt in einem originellen Aufmarsch der Schwerfiguren auf der c-Linie, der Schwarz vollkommen paralysiert und schließlich zum Zugzwang führt.
Aber was auch immer man über die Qualität der beiden Partien denken mag – die bessere Werbung hat Nimzowitsch betrieben. Die Aljechin-Partie fehlt (noch) in der ChessBase Umfrage, in The World’s Greatest Chess Games ist sie ebenfalls nicht aufgeführt und auch in dem Buch The 100 Best Chess Games of the 20th Century von A. Soltis findet sie keine Gnade.
Ein warnendes Beispiel. Und wenn schon eine Aljechin-Partie durch fehlende Werbung verkannt wird, wie viel mehr trifft dieses Schicksal dann all die unbekannten Schönheitspartien weniger großer Namen. Aber vielleicht liegt die mangelnde Popularität der Aljechin-Partie auch an der Reputation des russischen Meisters? Mehr darüber in ein paar Tagen.
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