KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

DIE SCHÖNSTE PARTIE ALLER ZEITEN:
EINE FAHNDUNGSGESCHICHTE

TEIL 2: DIE WUNDERBARE WELT DER WIDERSPRÜCHE

Von FM Johannes Fischer

Nigel Short lächelt oft. Mittlerweile hat das einstige Wunderkind auch wieder Grund dazu. Dabei liefen die Dinge nach Shorts WM-Kampf gegen Kasparow 1993 eine Weile gar nicht gut. Bekanntlich hatte der englische Großmeister im Vorfeld des Wettkampfs zusammen mit dem vorher viel geschmähten Kasparow einen Zwei-Mann-Weltverband – die sogenannte Professional Chess Association, kurz PCA – gegründet, um nicht mehr an die FIDE gebunden zu sein. Noch heute leidet die Schachwelt unter dieser Spaltung. So brachte dieses Manöver dem englischen Großmeister zwar Geld, kostete ihn aber Freunde und Sympathien. Und nach Shorts klarer Niederlage gegen Kasparow bekam die Karriere des englischen Großmeisters einen Knick: die Turniereinladungen wurden spärlicher, die Erfolge blieben aus und die Elo-Zahl sackte ab.

Aber in letzter Zeit geht es wieder aufwärts. Mit Siegen beim Sigeman Turnier in Malmö 2002, einem geteilten ersten Platz beim stark besetzten Open in Gibraltar zu Beginn dieses Jahres und durch seinen souveränen Erfolg beim kürzlich beendeten Talent & Courage Turnier in Budapest meldete sich Short zurück. Vielleicht lächelt er bald noch öfter.

Amüsant ist auch das Ende einer seiner berühmtesten Partien – ein klug vorgetragener Angriff gipfelt in einem paradoxen Königsmarsch.

SHORT – TIMMAN
Tilburg 1991

1.e4 Sf6 2.e5 Sd5 3.d4 d6 4.Sf3 g6 5.Lc4 Sb6 6.Lb3 Lg7 7.De2 Sc6 8.0-0 0-0 9.h3 a5 10.a4 dxe5 11.dxe5 Sd4 12.Sxd4 Dxd4 13.Te1 Weiß hat Raumvorteil und die schwarzen Figuren stehen unkoordiniert. Vor allem die schwarzen Läufer haben Sorgen. Der weiße Be5 macht dem Lg7 Kummer und auch der Lc8 weiß noch nicht ganz genau, was er mit sich anfangen soll. Wenn er nach f5 geht, kann g4 im gegebenen Moment unangenehm sein. Um seinen Einfluss im Zentrum zu bewahren, entschließt sich Schwarz, den Läufer erst später zu entwickeln. 13…e6 14.Sd2 Sd5 15.Sf3 Dc5 16.De4 Angestachelt durch die Schwächung der schwarzen Felder, beginnt Weiß einen Königsangriff: Er möchte seine Dame nach h4 überführen, und danach Lh6 und Sg5 spielen. 16…Db4 17.Lc4 18.b3 Short setzt auf Angriff und nimmt eine Verschlechterung seiner Bauernstellung in Kauf. Anders bekommt er seine Dame nicht nach h4. 18…Sxc4 19.bxc4 Te8 20.Td1 Dc5 21.Dh4 b6 22.Le3 Dc6 Wie gefährlich der weiße Angriff ist, zeigt eine von John Emms angegebene Beispielsvariante nach dem rein defensiven 22…Df8: 23.Sg5 h6 24.Se4 g5 25.Lxg5 hxg5 26.Dxg5 Kh7 27.Dh5+ Lh6 28.Sf6+ Kg7 29.Td4 Dh8 30.Tg4+; aus J. Nunn, G. Burgess, J. Emms, The World’s Greatest Chess Games, S. 483. 30…Kf8 31.Dxh6+ Dxh6 32.Tg8+ Ke7 33.Txe8# 23.Lh6 Lh8 24.Td8 Mit der Drohung 25.De7. 24…Lb7 Endlich hat Schwarz seinen Damenläufer entwickelt. Die Batterie Dc6/Lb7 bremst den weißen Angriff ein wenig, da der Sf3 nicht ziehen kann. 25.Tad1 Lg7 26.T8d7! Tf8 Wie Timman nach der Partie sagte, hatte er hier eigentlich 26…De4 geplant, aber erst zu spät gesehen, dass dies durch 27.Txf7!! widerlegt wird: 27…Kxf7 (27…Dxh4 28.Txg7+ nebst Sxh4.) 28.Sg5+ 27.Lxg7 Kxg7 28.T1d4 Tae8 29.Df6+ Kg8 30.h4 h5

Fast alle weißen Figuren stehen stark und gut – aber wie kommt Weiß weiter? Short gibt die Antwort und aktiviert seine einzige noch untätige Figur: den König. 31.Kh2! Tc8 Schwarz bleibt passiv und die weiße Idee kommt voll und ganz zum Tragen. Auf 31…Lc8 gewinnt Weiß „traditioneller“ mit 32.g4! z.B.: 32…hxg4 33.Sg5! Lxd7 34.h5! und der weiße Angriff ist zu stark. 34…g3+ 35.fxg3 Dxa4 36.h6 Dxc2+ 37.Td2 Dxd2+ 38.Kh3. In der Partie kam jetzt der weiße König zum Zuge. 32.Kg3! Tce8 33.Kf4! Lc8 34.Kg5! und Schwarz gab auf, da er Matt gesetzt wird. Es droht 35.Kh6 und 34…Kh7, der einzige Zug, der das verhindert, scheitert an 35.Dxg6+ Kh8 36.Dh6 Kg8 37.Kf6.

Was ist paradox an dieser Partie? Natürlich die Königswanderung. Normalerweise braucht der eigene König Schutz und traut sich nicht ins Freie. Hier wagt er sich aus seinem Versteck, um selber einmal Matt zu setzen. Verblüffend ist auch die Langsamkeit, mit der das geschieht. Da Schwarz gelähmt ist, verläuft die Schlussphase der Partie gewissermaßen in Zeitlupe.

DER REIZ DES PARADOXEN

Aber worin liegt der Reiz solch paradoxer Manöver, warum empfinden wir sie als schön? Genau wie materielle Opfer, die häufigste Form des Paradoxen, verletzten solche Manöver ungeschriebene Regeln und kommen überraschend. Sie befriedigen damit den Wunsch nach etwas Neuem.

Zugleich erweitern sie unser Schachverständnis. Der erfolgreiche Verstoß gegen eine Regel differenziert diese Regel. Natürlich muss man den König in Sicherheit bringen – aber manchmal muss er eben auch aktiv werden. Das heutige Schachwissen beruht auf systematischen Verstößen gegen früher gültige Regeln – sei es die geänderte Auffassung zur Beherrschung des Zentrums mit Figuren oder das Wissen um die dynamischen Möglichkeiten früher verpönter Stellungen wie dem Königsinder oder der Sweschnikow-Variante im Sizilianer.

NO RULES

Diese Entwicklung analysiert der amerikanische Autor John Watson in seinem empfehlenswerten Buch Geheimnisse der modernen Schachstrategie. Er kommt zu dem Schluss, dass es im modernen Schach kaum noch feste, allgemeingültige Regeln gibt. Paradox formuliert: Die Regel lautet, dass es keine gibt. Jede Situation wird für sich betrachtet und behandelt. Das führt häufig zu interessanten, paradox wirkenden Manövern. Ein Meister dieser pragmatischen Spielweise ist Anatoli Karpow. In zahllosen seiner Partien kann man sehen, wie er seine Figuren unaufhörlich neu justiert, um sie immer optimal aufzustellen. Besonders geschickt geht er dabei mit der Dame um. Der folgende Sieg gegen seinen großen Rivalen Kasparow liefert ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Immer wieder zieht Weiß scheinbar ohne rechtes Ziel mit seiner Dame umher – und am Ende wirkt es, als habe Kasparow ohne eindeutigen Fehler wie von Zauberhand verloren.

KARPOW – KASPAROW
Belfort 1988
(Die folgenden Anmerkungen basieren auf Karpows Kommentaren in New in Chess, 6/1988, S. 22-24.)

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7 7.Lc4 c5 8.Se2 Sc6 9.Le3 0-0 10.0-0 Lg4 11.f3 Sa5 12.Lxf7+ Txf7 13.fxg4 Txf1+ 14.Kxf1 Dd6 15.e5 Dd5 16.Lf2 Td8

Wie Karpow erklärt, steht die weiße Dame auf d1 am besten, da sie dort den Bauern g4 im Auge behält und auch dem Lf2 in der Not zu Hilfe eilen kann. Und um die Dame von diesem vielseitigem Feld zu vertreiben, spielt Schwarz 16….Td8 mit der Drohung 17…Lxe5. 17.Da4 Der erste einer ganzen Reihe von mysteriösen Damenzügen. 17…b6 18.Dc2 Was hat Weiß durch das Manöver Da4-c2 erreicht? Nichts greifbares, aber zwei unmerkliche Vorteile: Die Schwächung des schwarzen Damenflügels hat dem schwarzen Springer die Sicherheit des Feldes c6 genommen, z.B. nach 18…Dc4 19.De4; außerdem kann Weiß gelegentlich auf c5 schlagen, da Schwarz darauf unmittelbar reagieren muss. 18…Tf8 19.Kg1 Dc4 20.Dd2 Mit der Idee, den schwarzfeldrigen Läufer nicht über h6 ins Spiel kommen zu lassen. 20…De6 21.h3 Sc4 22.Dg5 Wieder ein Nadelstich der weißen Dame, der eine Schwäche in der schwarzen Stellung provoziert. 22…h6 23.Dc1 Df7 24.Lg3 g5 Schwächt zwar die schwarze Stellung, verhindert aber, dass ein weißer Springer nach f4 kommt. 25.Dc2

Wieder positioniert Weiß seine Dame neu – und bringt sie genau dahin, wo sie vor sieben Zügen gestanden hat. Jetzt zielt sie auf die schwachen weißen Felder am Königsflügel. 25…Dd5 26.Lf2 Auch der Läufer zieht sich nach getaner Arbeit wieder zurück und überlässt dem Springer das Feld g3. 26…b5 27.Sg3 Tf7 28.Te1 b4 29.Dg6 Kf8 30.Se4 Schwarz sucht sein Heil in einem Qualitätsopfer. Er hofft auf Gegenchancen durch den c-Bauern. Aber das scheitert an der genauen Verteidigung Karpows. 30…Txf2 31.Kxf2 bxc3 32.Df5+ Kg8 33.Dc8+ Kh7 34.Dxc5 Df7+ 35.Kg1 c2 36.Sg3 Lf8 37.Sf5 Kg8 38.Tc1 1-0

DER FACHMANN FÜRS ORIGINELLE

Aber noch einmal zurück zur Partie Short – Timman. Für den „gewinnbringenden Königsmarsch über das volle Brett“ hat der holländische Schriftsteller, Drehbuchautor und Schachkolumnist Tim Krabbé den Namen „Steel-König“ geprägt. Er geht zurück auf den englischen Schachmäzen Robert Steel, der 1886 in einer in Kalkutta gespielten Partie seinen König über das ganze Brett laufen ließ, um seine Figuren beim Angriff zu unterstützen. Krabbés Definition eines Steel-Königs besagt, „dass dieser mindestens die 5. Reihe erreichen muß, während mindestens 3 feindliche Figuren, unter ihnen die Dame verbleiben“. (Tim Krabbé, Schachbesonderheiten Bd. 1, Econ 1987, S. 118)

Krabbé, der vor kurzem am 13. April seinen 60. Geburtstag feierte, ist Experte für paradoxe Züge und in seinen beiden Büchern über Schachbesonderheiten berichtet er u.a. von Kuriositäten rund um die Rochade, der „Kunst der Zwickmühle“, Aljechins gefälschter Fünf-Dame-Partie, der „Geschichte der Unterverwandlung“ und den „Unbekannten Meistern Fischerle und Wojciechowski“. Krabbé erzählt spannend und kenntnisreich. Beide Bücher sind ein Hochgenuss und eine wunderbare Mischung aus originellem Schach und gelungenen Erzählungen.

Auch Krabbés Webseite (siehe auch Besprechung in Karl 2/01, S. 59) ist einen Besuch wert. Neben dem aktuellen, immer lesenswerten „Chess Diary“ bietet Krabbé eine Reihe von Artikeln über diverse Themen an. Für die Suche nach der schönsten Partie aller Zeiten besonders interessant ist dabei seine Auswahl der „110 Greatest Moves of all Times“. Hier versammelt Krabbé 110 der schönsten, überraschendsten und paradoxesten Züge aller Zeiten. Wer den aktuellen Karl bereits gelesen hat, wird durch Karsten Müllers Artikel „Take Five: Die fünf schönsten Kombinationen“ aller Zeiten wissen, dass eine Jury des British Chess Magazine, den Zug Lh3 aus der Partie Topalow – Schirow einmal zum überraschendsten Zug aller Zeiten gekürt hat. Krabbés Favorit ist jedoch ein anderer Zug. Gespielt wurde er in folgender Partie:

BORIS SPASSKI
(Foto: Archiv Lothar Schmidt)

AWERBACH – SPASSKI
Leningrad 1956

1.c4 Sf6 2.Sc3 g6 3.e4 d6 4.d4 Lg7 5.Le2 0-0 6.Lg5 c5 7.d5 Da5 8.Ld2 a6 9.a4 e5 10.g4 Se8 11.h4 f5 12.h5 f4 Spasski hat die Eröffnung grässlich missbehandelt. Nach dem Textzug bleibt Schwarz ohne jedes Gegenspiel. 13.g5 Dd8 14.Lg4 Tauscht die einzig halbwegs aktive Figur von Schwarz ab. Die schwarze Stellung macht einen traurigen Eindruck. 14…Sc7 15.Lxc8 Dxc8 16.Sf3

Vielleicht wollte Spasski den Zorn der Schachgötter über sein Spiel mit dem nun folgenden Opfer besänftigen; tatsächlich ist es seine einzige kleine Chance auf Gegenspiel. Der Rest der Partie zeigt, wie auch gestandene Großmeister sich manchmal schwer damit tun, eine gewonnene Partie zu gewinnen. 16…Sc6 17.dxc6 bxc6 18.Sh4 De8 19.hxg6 hxg6 20.Dg4 Tb8 21.Sd1 Se6 22.Ta3 Sd4 23.Tah3 Df7 24.Lc3 Tfe8 25.T3h2 Dxc4 26.Sxg6 Te6 27.Lxd4 Txg6 28.Df5 De6 29.Dxe6+ Txe6 30.Lc3 d5 31.f3 Tb3 32.Th3 c4 33.Kd2 Tg6 34.Tg1 d4 35.La5 Lf8 36.Tg4 Td6 37.Kc2 Td7 38.g6 Tdb7 39.Le1 c5 40.Tgh4 Lg7 41.La5 c3 42.bxc3 Ta3 43.cxd4 exd4 44.Txf4 Ta2+ 45.Kd3 Tb1 46.Th1 Txa4 47.Kc2 Tb5 48.e5??

Unglaublich. Weiß zeigt angesichts der hartnäckigen und unorthodoxen Verteidigung Wirkung und stellt einen ganzen Turm ein. Aber Schwarz revanchiert sich und auch ihm gelingt es nicht, die Partie zu gewinnen. 48…d3+ 49.Kxd3 Txf4 50.Lc3 Txf3+ 51.Ke4 Tg3 52.Kf4 Txg6 53.Se3 Tb8 54.Sf5 Tf8 55.Th5 Te8 56.Ke4 Tg1 57.Th3 Lf8 58.Kd5 Td1+ 59.Ke4 Tc1 60.Kd5 Td1+ 61.Ke4 Td7 62.Sh6+ Lxh6 63.Txh6 Th7 64.Tg6+ Kf7 65.Tf6+ Ke7 66.Tc6 Kd7 67.Txc5 Th6 68.Kd5 Tb6 69.La5 Tb5 70.Txb5 axb5 71.e6+ Txe6 72.Kc5 Te5+ 73.Kb6 ½-½

Nun gut: so paradox der Zug Sc6 auch sein mag, eigentlich gehört diese Partie ins Gruselkabinett. Verblüffend ist vor allem, dass zwei Spieler wie Awerbach und Spasski solch ein Werk hervorbringen können.

SPASSKI SPEKTAKULÄR

Allerdings ist der Zug 16….Sc6 typisch für den Stil Spasskis zu seinen besten Zeiten: einfallsreich, unorthodox und verwegen. Damit gelangen ihm eine Reihe wirklich beeindruckender Partien. Spektakulär sind z.B. die folgenden Opfer gegen Bronstein.

SPASSKI – BRONSTEIN
Leningrad, 1960

1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Sf3 d5 4.exd5 Ld6 5.Sc3 Se7 6.d4 0-0 7.Ld3 Sd7 8.0-0 h6 9.Se4 Sxd5 10.c4 Se3 11.Lxe3 fxe3 12.c5 Le7 13.Lc2 Te8 14.Dd3 e2

Auf den ersten Blick clever gespielt. Schwarz gibt seinen nicht zu haltenden Mehrbauern zurück, um die Dame von der Diagonale b1-h7 abzulenken und Zeit für die Verteidigung zu gewinnen. Es wartet jedoch eine Überraschung auf ihn. 15.Sd6!? Ein wirklich paradoxer Zug! Weiß lässt seinen Turm mit Schach einstehen und opfert obendrein noch einen Springer. Gefühllose Kritiker wiesen jedoch darauf hin, dass 15.Tf2! mit weißem Vorteil objektiv gesehen besser war. 15…Sf8?! Bronstein will die Opfer nicht annehmen, findet aber nicht die beste Verteidigung. Laut einer Analyse von Teschner und Panow, die von heutigen, mit Computer bewaffneten Kritikern bestätigt wird, bestand die beste Chance von Schwarz in folgender Variante: 15…Lxd6 16.Dh7+ Kf8 17.cxd6 exf1D+ 18.Txf1 cxd6 19.Dh8+ Ke7 20.Te1+ Se5 21.Dxg7 Tg8 22.Dxh6 Db6 23.Kh1 Le6 24.dxe5 d5 und Weiß hat Kompensation für das Material. 16.Sxf7 exf1D+ 17.Txf1 Lf5 Den Springer kann Schwarz nicht nehmen: 17…Kxf7 18.Se5+ Kg8 19.Dh7+! Sxh7 20.Lb3+ Kh8 21.Sg6#; Ein interessanter Versuch ist jedoch 17…Dd5!? Aber nach 18.Lb3 Dxf7 19.Lxf7+ Kxf7 20.Dc4+ Kg6 21.Dg8 Lf6 22.Sh4+ Lxh4 23.Df7+ Kh7 24.Dxe8 gewinnt Weiß. 18.Dxf5 Dd7 19.Df4 Mit einem Bauern für die Qualität und anhaltendem Angriff steht Weiß auf Gewinn. 19…Lf6 20.S3e5 De7 21.Lb3 Lxe5 22.Sxe5+ Kh7 23.De4+ Nach 23…Kh8 (Auch 23…g6 24.Txf8 Dxf8 25.Dxg6+ Kh8 26.Sf7+ ist trostlos.) folgt 24.Txf8+ Dxf8 25.Sg6+ Kh7 26.Sxf8+ Kh8 27.Dh7# 1-0

Bereits im ersten Teil der Fahndungsgeschichte wurde auf die ChessBase-Umfrage nach der besten Partie aller Zeiten hingewiesen. Überraschenderweise taucht diese Spasski-Partie dort nicht auf. Jetzt könnte man meinen, dies liegt daran, weil sie nur wenigen Leuten bekannt ist. Aber Millionen von Menschen haben den Schluss dieses kleinen Wunderwerks bereits gesehen. Denn diese Partie erhielt eine Nebenrolle in dem James-Bond Film „Liebesgrüße aus Moskau“. Der intrigante Schurke, der die Schlussstellung dort auf dem Brett hatte, wirkte zwar nicht wie ein Spitzenspieler, und auch seine Bewegung zur Uhr und das Aufschreiben der Züge schienen noch ausbaufähig, aber dafür war der böse Blick recht gelungen.

Auch Spasskis bekannteste Partie ist paradox: er gewinnt mit Schwarz in nur 17 Zügen gegen einen der damals besten Spieler der Welt – und das, weil einer seiner Bauern bereits kurz vor der Verwandlung steht:

LARSEN – SPASSKI
Belgrad 1970

1.b3 e5 2.Lb2 Sc6 3.c4 Sf6 4.Sf3 e4 5.Sd4 Lc5 6.Sxc6 dxc6 7.e3 Lf5 8.Dc2 De7 9.Le2 0-0-0 10.f4? Larsen übertreibt wieder einmal. Weiß möchte noch ein wenig Raum am Königsflügel gewinnen, bevor er seine Entwicklung vervollständigt, aber dazu hat er keine Zeit. Notwendig war 10.Sc3. 10…Sg4 Mit der Drohung Dh4+. 11.g3 h5 12.h3

Wenn sich der schwarze Springer jetzt zurück zieht, ist alles halb so schlimm. Aber 12…h4! erschüttert diese Hoffnung. 13.hxg4 13.Lxg4 hilft ebenfalls nicht: 13…Lxg4 14.hxg4 hxg3 15.Tg1 Th1! 16.Txh1 g2 17.Tg1 Dh4+ 18.Ke2 Dxg4+ 19.Ke1 Dg3+ 20.Ke2 Df3+ 21.Ke1 Lxe3 und wieder einmal büßt Weiß für den nicht entwickelten Damenflügel. 13…hxg3 14.Tg1

Jetzt kommt die Pointe der Partie: 14…Th1! Schwarz opfert einen Turm, um ein Tempo für seinen Freibauern zu gewinnen. 15.Txh1 g2 16.Tf1 Auch nach 16.Tg1 erweist sich die Kombination schwarzer Freibauer, nicht entwickelter Damenflügel und schwacher König als tödlich für Weiß: 16…Dh4+ 17.Kd1 Dh1 18.Dc3 Dxg1+ 19.Kc2 Df2 20.gxf5 Dxe2 21.Sa3 Lb4-+ 16…Dh4+ 17.Kd1 gxf1D+ Larsen gab auf. Nach 18.Lxf1 Lxg4+ 19.Kc1 De1+ 20.Dd1 Dxd1# wird er Matt gesetzt. Nur wirklich hartherzigen Naturen entlockt solch ein Schluss kein Lächeln.

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Ein besondere Form des Paradoxen ist der Zugzwang. Mehr darüber sowie die Kunst der Vermarktung schöner Partien in ein paar Tagen.

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