KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

EIN DIAMANT IM „FLIEGENDEN“ HOLLÄNDER!

Von FM Jürgen Brustkern

Cover The Diamond Dutch

Viktor Moskalenko,
The Diamond Dutch.
Strategic Ideas & Powerful Weapons.
NIC 2014, 272 Seiten, kartoniert,
26,95 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Großmeister Viktor Moskalenko ist ein bekannter Autor und erfahrener Schachtrainer, der seit längerem in Spanien beheimatet ist und dort in der Vergangenheit viele Open gewinnen konnte. Als Autor hat er sich mit The fabulous Budapest Gambit, The flexible French, The wonderful Winawer und vor allem mit Revolutionize Your Chess einen Namen gemacht.

Das letztgenannte Buch hatte mich aufgrund des dynamisch orientierten Konzepts der „five touchstones” (fünf Prüfsteine) überzeugt, das ich mit Erfolg vor allem für das Training mit aufstrebenden Jugendlichen einsetzen konnte. Da ich seit einigen Jahre selbst den klassischen Holländer spiele, war ich sehr gespannt, was der 56 Jahre alte Ukrainer über „seine Lieblingseröffnung”, die Holländische Verteidigung, zu berichten weiß.

Moskalenko gliedert das Buch in drei Kapitel, wobei er sich im ersten Teil mit den sogenannten „Anti Holländisch Systemen” befasst (z.B. auch dem „Kortschnoi-Gambit” mit 2.Dd3 nebst 3.g4!?). Im zweiten Teil behandelt Moskalenko den klassische Holländer (inklusive der Ilyin-Genewski-Variante mit 7.-De8) und sein Lieblingssystem, den „Stonewall”. Diese beiden Systeme bilden mit knapp 100 Seiten das Herzstück des Buches. Im dritten Kapitel wird der von GM Vladimir Malaniuk popularisierte Leningrader Aufbau auf knapp 70 Seiten abgehandelt.

Neben den üblichen Informator-Zeichen unterstützen sieben – vom „New in Chess”-Verlag eingeführte – grafische Symbole den Leser, die z.B. auf Zugumstellung (”Puzzle”) oder taktische Ideen (”Trick”) aufmerksam machen.

Schon im Einführungsteil merkt man sehr deutlich, dass das Buch für beide Seiten geschrieben ist. So fand ich z.B. eine klare Verbesserung meiner Partie gegen den amtierende Britischen Meister GM Jon Hawkins in Hastings (Dezember 2014/15), der wie Bronstein 60 Jahre zuvor (in der berühmten 123 Züge währenden Partie mit C.H.O’D Alexander 1954) das Stauntongambit ausgepackt hatte.

In der bei Amateuren heutzutage sehr beliebten 2.Lg5-Variante empfiehlt der Autor einen Aufbau mit frühem Le6/Dd7 und gibt wichtige Hinweise, wann Schwarz lang rochieren soll. Der Meister spielt mit Weiß selbst diesen frühen Läuferzug und zeigt mit zwei instruktiven Partien, wie Schwarz am besten reagieren soll. Sympathisch fand ich, dass er in der Regel auf jegliche unklaren Erklärungen verzichtet und immer den praktischen Nutzen von Zugfolgen im Blick hat, also etwa die Turniersituation berücksichtigt oder ob die Abspiele variantenlastig sind, etc.

Neben dem Versuch, gegen 1.Sf3 f5 2.d3 das sogenannte „Lisitsyn-Gambit” anzuwenden, empfiehlt er vor allem das trickreiche 2.-Sc6!?, was ich selbst drei Mal mit Erfolg anwenden konnte und das gelegentlich in eine günstige Form des „lettischen Gambits” münden kann.

Das Stonewall-Kapitel beginnt mit einer interessanten Feststellung des dänischen Großmeister Jacob Aagaard, dass „Schwarz mit dem Stonewall ein unumstößliches Zentrum aufbaut und damit einen potentiell gefährlichen Königsangriff organisieren kann!” (Jacob Aagaard, Dutch Stonewall, Everyman Chess 2012). Ich war nie ein großer Freund des „Steinwalls” und habe mich nach Ausflügen nach Leningrad und dem bizarren „Dzindschi-Indisch” (1.d4 c5 2.d5 f5!?) unter dem Einfluss von Simon Williams Buch The Killerdutch klar für den klassische Holländer entschieden.

In der Einleitung des Stonewall-Kapitels gibt der Ukrainer tiefe positionelle Einblicke und erklärt, wie mit dem Problemläufer auf c8 zu verfahren ist. Ähnlich wie im Französischen (Moskalenkos Haupteröffnung gegen 1.e4) empfiehlt er, dass man mit der Entwicklung des Läufers am besten so lange warten soll, bis Weiß seine Bauernstruktur festlegt. Neben dem oft gespielten b3/La3 beindruckte er mich mit seiner „Waffe” gegen Lf4: Den sollte man sofort nehmen und – vor der eigenen Rochade –mit h6/g5!? einen gefährlichen Angriff vom Stapel brechen. Mit solchen Ideen hat mich der Autor motiviert, in Zukunft meinen vorbereitungsgeplagten Gegnern (ich spiele acht Eröffnung gegen 1.d4!) noch den Stonewall „aufs Auge zu drücken”.

Ein weiterer Pluspunkt dieses Kapitels sind die zwei Stammpartien zu dem von Awruch empfohlenen Aufbau mit Sc3/Dc2/Tb1 gegen den Stonewall (Grandmaster Repertoire 1.d4, Volume 2, Quality Chess 2010). Er findet viele – positionelle – Löcher in Awruchs Empfehlung und zeigt u.a., wie Schwarz mit etwas flexiblem Spiel wie z.B. dem „Tschebanenko-Holländisch” (a6/b5) eine brauchbare Stellung bekommen kann.

Das Kapitel über das Leningrader System fällt dagegen ein wenig ab, da Moskalenko anscheinend nicht das hervorragende deutschsprachige Buch von Stefan Kindermann ( Leningrader System, Chessgate, 2002) als Quelle nutzen konnte. In den vier analysierten Modellpartien behandelt er im dritten Kapitel die wichtige Hauptidee wie z.B. ein schnelles De8-f7, oder die eher positionelle Vorgehensweise mit c6/Sa6 um e5 durchzusetzen (Nakamura). Als Königsindischfreund fand ich die Ausführungen zur 7.-Sc6 Variante bemerkenswert. Diese Nebenvariante galt wegen 8.d5 Se5 (Sa5 ist eine solide Alternative) 9.Sxe5 dxe5 10. Db3 nebst c5 und großem Raumvorteil auf dem Damenflügel als ziemlich dubios. Anhand der Partie Vidarte – Moskalenko (Barcelona 2001) zeigt der Autor, wie man mit dem starken Abwartezug 10.-a6 nebst Tb8 prophylaktisch den Damenflügel sichern kann, um später mit dem typischen Angriffsmuster Kh8/h6/g5/De8-h5 die Initiative zu übernehmen.

FAZIT

Für das m.E. einmalige Konzept (drei Haupteröffnung in einem Buch!) spreche ich eine absolute Kaufempfehlung aus! Meiner Meinung nach sind die bisweilen (zu) häufig genutzten NIC-Symbole störend und machen einem das Studium der Varianten nicht immer leicht. Aber wer für seinen favorisierten Holländer noch eine Alternative braucht (merkwürdigerweise bleiben die meisten ihr Leben lang einem der drei Hauptabspiele – Leningrader, Steinwall oder klassisch – treu), ist bei Moskalenkos Herzensprojekt sehr gut aufgehoben. Da dieses Werk auch aus der Sicht von Weiß geschrieben wurde, kann ich auch eingefleischten d4-Spieler die Anschaffung wärmsten empfehlen!