KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

STRUKTURVERSTÄNDNIS

Von FM Harry Schaack

Stefan Kindermanns Intelligentes Italienisch

Stefan Kindermann,
Intelligentes Italienisch,
Fritztrainer Eröffnung,
DVD, ChessBase 2013,
Länge der Trainingsvideos: 5 Stunden,
27,90 Euro

(Das Belegexemplar wurde freundlicherweise von der Firma ChessBase zur Verfügung gestellt)

Stefan Kindermann spielt schon seit 40 Jahren erfolgreich Italienisch, bis heute auch gegen Supergroßmeister. Auf seiner ChessBase-DVD Intelligentes Italienisch verspricht er ein Repertoire, dass man bis in die Bundesliga verwenden kann.

Ein Vorteil von Italienisch ist, dass es vor allem um Strukturen geht. „Wegen der Flexibilität“, wie Kindermann sagt, entzieht sich diese Eröffnung starken Vorbereitungen. D.h. ein einmal zugelegtes Repertoire ist über Jahre hinaus nutzbar. Frühe Überraschungen wird der Anziehende in der Turnierpraxis eher selten erleben.

Italienisch zählt zu den ältesten Eröffnungen der Welt. Die Zugfolge wird schon im 15. Jahrhundert erwähnt, die ersten dokumentierten Partien stammen aus dem 16. Jahrhundert. Ihren Namen verdankt die Eröffnung dem italienischen Spieler Giacomo Greco, der das System im 17. Jahrhundert populär machte. Trotzdem galt Italienisch lange Zeit als die kleine Schwester der Spanischen Eröffnung. Erst Spieler wie Nunn und Dolmatow sowie der sowjetische Spitzentrainer Tschebanenko machten diese Eröffnung in den achtziger Jahren zu einer gefährlichen Waffe. In der Gegenwart sorgen Weltklassespieler wie Bologan, Movsesian, Areschtschenko und vor allem Tiwiakow dafür, dass Italienisch bis heute regelmäßig in starken Turnieren diskutiert wird.

Das Material der DVD gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten widmet sich Kindermann nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 der ruhigen Variante mit c3 und d3, die auch als Giuoco pianissimo bekannt ist. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Ungarischen Verteidigung, die nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Le7 entsteht.

Kindermann geht es weniger um konkrete Zugfolgen, als um die Darlegung der wichtigsten Pläne. Um Italienisch zu spielen, muss man vor allem die Idee und die Strukturen verstehen. Konkrete Abspiele sind eher selten.

Der Autor präsentiert zunächst Modellpartien, bevor er sich im zweiten Teil mit den typischen Hauptplänen beschäftigt. Schließlich folgen die „Don’ts“, also die Dinge, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Kindermann weist darauf hin, dass dieses Kapitel gerade für die Anfänger dieses Systems von zentraler Bedeutung ist, um die nicht wenigen Fallstricke zu umgehen.

Danach stellt Kindermann wichtige Finessen in einigen konkreten Zugfolgen vor, Feinheiten, die man laut Kindermann in keiner anderen Publikation findet. Den Abschluss bilden einige interaktive Übungsaufgaben.

Kindermann geht sparsam mit Varianten um. Nur im konkreten theoretischen Teil lässt sich dies nicht vermeiden. Doch generell versucht er eher Motive, als konkrete Varianten zu zeigen. Anhand von elf typischen Beispielen lernt der Zuschauer, wie man den Angriff gegen den schwarzen König mit Opfern auf h6 und g7 führt, wie man einer frühen Springerfesselung mit Lg4 begegnet, wie man sich gegen den schnellen zentralen Gegenstoß d5 aufstellt, wie man einen frühen aggressiven Angriff mit h6 und g5 abwehrt. Oder wie Weiß mittels b4 schnell Raum am Damenflügel gewinnt und danach seinen Schwarzfelder über b2 mit Druck auf e5 ins Spiel bringen kann, wenn Schwarz auf das Standardmanöver La7 verzichtet. Gelegentlich kann sogar die Variante mit c4 – das Loch auf d4 in Kauf nehmend – überraschend wirksam sein.

Im Giuoco pianissimo kann Weiß generell zwischen dem Plan mit schneller Rochade oder mit der vorgeschobenen Umgruppierung des Springers via Sd2-f1-g3 nebst 0-0 wählen. Kindermann bevorzugt den ersten Aufbau, weil er glaubt, dass Schwarz in der zweiten Variante mit raschem d5 ausgleichen kann. Aber auch in der Variante mit sofortiger Rochade ist ein frühes d5 das seit einigen Jahren modern geworden ist sehr gefährlich: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d3 00 6.00 d5. Dieses Abspiel zählt zu den Varianten, bei denen es auf eine genaue Zugfolge ankommt. Der Anziehende muss sehr genau agieren, will er einen kleinen Vorteil bewahren.

In der Le7-Aufstellung, also der Ungarischen Variante, muss Weiß grundsätzlich wissen, wann er die Aufstellung mit c3, und wann er die Aufstellung mit Sc3 spielen soll. Nur in der Variante mit frühem Sa5 (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 Le7 5.00 00 6.Te1 d6 7.a4 Sa5) gehört der Springer stets nach a3, um später von c2 aus den Vormarsch des b-Bauern zu unterstützen.

Kindermanns didaktisches Konzept ist recht überzeugend. Er fokussiert zunächst die wichtigsten Momente dieser Eröffnung, bevor er sie in konkreten Zugfolgen vertieft.

Zu bemängeln ist, dass nicht alle mitgelieferten Partien im ChessBase-Standard-Format mit Ort und Turnier verzeichnet sind. Und bei den zehn abschließenden Übungen, bei denen der Leser von Kindermann interaktiv zur Lösung aufgefordert wird, wiederholen sich leider einige Partiestellungen, die bereits zuvor behandelt wurden. Zudem meint Kindermann, dass das einzig gute Buch der letzten Jahre zu der von ihm behandelten Italienisch-Variante von Emms, Beating 1.e4 e5 (EveryMan 2010) sei. Dabei unterschlägt er zumindest Mihail Marins Beating the Open Games (Quality Chess 2008), in dem für Schwarz in der Hauptvariante einige gute Wege zum Ausgleich beschrieben werden.

Trotz dieser kleinen Einschränkungen hinterlässt die DVD einen positiven Eindruck. Kindermann gelingt es, den Charakter die Eröffnung zu vermitteln, so dass jeder, der die Lektionen durchgespielt hat, ein Grundverständnis für die Feinheiten des Italienischen bekommen haben sollte. Mit Intelligentes Italienisch ist man wohl für viele Jahre gut für die Praxis gewappnet.