KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

ERÖFFNUNG MIT POTENTIAL

Von FM Harry Schaack

Ein Überblick der jüngst erschienenen Publikationen zum Wolga-Benkö-Gambit samt Anti-Wolga-Strategien des Weißen.

Beim Weltklasseturnier in Biel 2012 hat Viorel Bologan das Wolga-Benkö-Gambit gegen die Elite angewendet – und erlitt harten Schiffbruch gegen Carlsen, Nakamura und Wang Hao. Doch diese Partien haben zum Verständnis der Variante beigetragen und halfen, neue Wege für Schwarz zu finden.

Eigentlich kann man keinem Weißspieler empfehlen, sich auf Wolga einzulassen. Der Anziehende hat zwar einen Bauern mehr, aber Schwarz erhält eine langanhaltende Initiative und kann es sich häufig sogar erlauben, mit einem Bauern weniger ins Endspiel zu gehen. Nur wenn es Weiß gelingt, seinen Damenflügel zu konsolidieren, kann er auf Vorteil hoffen. Doch das weiß Schwarz meist zu verhindern.

Heute findet sich Wolga-Benkö im Repertoire fast aller Top-GMs, allerdings spielen es Carlsen, Iwantschuk, Aronjan oder Caruana meist nur in Partien mit verkürzter Bedenkzeit. Neben Bologan wendet vor allem Dimitri Andreikin, der im Moment in Chanty-Mansijsk einer der WM-Kandidaten ist, diese Eröffnung regelmäßig auch in klassischen Partien sehr erfolgreich an und ist damit kaum zu schlagen. Selbst gegen Carlsen erreichte er damit ein einfaches Remis, wenn auch nur im Blitz.

Will der Anziehende etwas erreichen, muss er das Opfer annehmen und auf b5 schlagen – davon war schon Garri Kasparow überzeugt. Er spielte zwar meist Königsindisch, doch in einigen Varianten wie z.B. dem Awerbach-System gelangt man in Wolga-Benkö-Strukturen. Das pure Wolga hat Kasparow nur in seiner Jugend gespielt – mit einer Ausnahme: Bei der Olympiade in Dubai 1986 erkannte er bei der Vorbereitung, dass sein Gegner Wlodzimierz Schmidt stets das Opfer ablehnte. „This is something Black can only dream of!“, war der Kommentar des 13. Weltmeisters.

In den letzten drei Jahren sind zum Wolga-Benkö-Gambit mehrere Bücher erscheinen. Im Mittelpunkt der folgenden Besprechung steht die DVD von Alejandro Ramirez, doch vorab ein Überblick über wichtige Publikationen zum Thema aus den letzten Jahren.

PUBLIKATIONEN DER LETZTEN JAHRE

Avrukhs 1.d4 Volume two

Boris Alterman,
The Alterman Gambit Guide, Black Gambits 1,
Quality Chess 2011,
25,99 Euro

Neben anderen Abspielen beschäftigt sich das Buch auf 134 Seiten, und damit dem weitaus größten Teil, mit dem Wolga-Benkö-Gambit. Man merkt schon an dem gut strukturierten Material, dass der Autor ein großer Wolga-Kenner ist. Doch teilweise sind die präsentierten Varianten etwas verstaubt. Prinzipiell ist Altermans Stellungsurteil meist richtig, aber vielleicht kann Houdini heute manche Gewinnvariante klarer zeigen. Das Buch ist erst vor zwei Jahren erschienen. Alterman, ein starker israelischer Großmeister russischer Abstammung, spielt die Variante schon seit über 20 Jahren mit beiden Farben und hat für das Buch sicherlich gelegentlich auch einige seiner älteren Analysen zu Hand genommen, die er wohl nicht alle sorgfältig mit den neuesten Engines geprüft hat. Ein Beispiel:

In dieser Stellung gibt Alterman den spektakulären Zug 23.Tf6 mit sofortigem Gewinn an. Tatsächlich kann Schwarz mit 23.-Sdf6 24.Se6+ Kf7 25.Sxg7 Sxg7 ein Endspiel erreichen, das ihm wegen der festungsartigen Struktur gute Remischancen bietet. Indes gewinnt 23.Txd6 mit derselben Idee ganz leicht, was Houdini unmittelbar zeigt. Denn nach 23…exd6 24.Se6+ Kf7 25.Sxg7 fällt entweder der d-Bauern oder die Deme dringt entscheidend ein.
Aber das soll nur eine kleine Kritik sein. Wir wollen das Buch nicht klein reden. Alterman gibt ausgezeichnete Analysen und stellt das Material vor allem sehr systematisch vor. Und er bewertet die Hauptabspiele objektiv und sehr präzise.

Sergey Kasparovs The Dynamic Benkö Gambit

Sergey Kasparov,
The Dynamic Benko Gambit,
An Attacking Repertoire for Black.
New In Chess 2012.
28,95 Euro

Sergei Kasparow untersucht alle Wolga-Abspiele und beschäftigt sich auch mit Varianten auf ausweichenden weiße Zugfolgen (wie einem Aufbau mit verzögertem c4), die die Wolga-Strukturen unterbinden. Selbst seit vielen Jahren Anhänger des Wolgas, präsentiert er viele eigene Partien. Allerdings sind seine Analysen meist schlampig. Der Autor vermag es nicht, den eigentlichen Gehalt, die Ideen der Eröffnung angemessen zu vermitteln. Lange Partiepassagen, auf die man einfach hätte verzichten können, werden unkommentiert abgedruckt. Zudem gibt Kasparow kein wirkliches Repertoire oder Empfehlungen zu einzelnen Abspielen. Er zeigt vielmehr mit meist alternativen Abspielen, was man gegen eine bestimmte Variante probieren kann, wobei oft dezidierten Einschätzungen fehlen. So heißt es etwa abschließend recht abstrakt zur heute auf Topniveau heiß diskutierten g3-Variante: „In der Fianchetto-Variante entwickelt sich Weiß recht bequem, aber der Läufer schaut eben auch auf d5 und kann nicht am Kampf um den Damenflügel teilnehmen.“ Eine eindeutige Variantenempfehlung, die gerade hier notwendig ist, sucht der Leser vergebens. Insbesondere, wenn man sich Wolga neu aneignen will, ist The Dynamic Benko Gambit schlichtweg ungeeignet. Der Leser verliert sich im Gestrüpp der zu wenig erklärten Zugumstellungen und der Autor gibt ihm keinen roten Faden in die Hand, der ihn dort wieder unbeschadet hinausführen könnte.

Scharndorffs Playing 1.d4

Lars Schandorff,
Playing 1.d4, The Indian Defenses,
Quality Chess 2012,
24,99 Euro

Scharndorff hat mit Playing 1.d4 ein Weiß-Repertoire-Buch geschrieben. Er beschäftigt sich mit dem Wolga-Gambit auf 20 Seiten und schlägt eine einfache Antwort für den Anziehenden vor, die nicht sehr theorielastig ist: 1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 b5 4.cxb5 a6 5.f3. Das ergibt interessante Stellungen, ist aber bei genauer Zugfolge von Schwarz nicht zu empfehlen. Scharndorff enthält dem Leser die kritische Variante mit g6 nebst e6 (und ohne d6) vor und analysiert – eine Tendenz, die man auch aus anderen Werken dieses Autors gelegentlich bemerken kann – zu optimistisch für Weiß.

Es sei noch auf zwei weitere wichtige Werke von Boris Awruch verwiesen, die folgend im Text zitiert werden: Boris Avrukh, 1.d4, Band zwei, Quality Chess 2010, 29,99 Euro sowie auf Boris Avrukh, Beating 1.d4 Sidelines, Quality Chess 2012, 29,99 Euro mit jeweils ausgezeichneten Analysen.

Altermans Gambit guide

Avrukh Beating 1.d4 Sidelines

EIN REPERTOIRE AUF VIDEO

I. Teil

Bei ChessBase sind 2013 zwei DVDs zum Wolga-Benkö-Gambit von Alejandro Ramírez erschienen. Der gebürtige Costa-Ricaner, der seit einiger Zeit für die USA spielt, bietet in der ersten DVD ein komplettes Repertoire für Schwarz und behandelt in der zweiten DVD fast alle Abweichungen, mit der der Nachziehende rechnen muss, wenn Weiß das Wolga Benkö vermeiden will. Für Spieler, die sich gänzlich auf Wolga kaprizieren, ist diese zweite DVD unerlässlich.

Ramirez Wolga Benkö

Alejandro Ramirez,
Attacking with the Benko Gambit,
ChessBase 2013, DVD,
24 Videos, 3 Std. 44, Sprache: Englisch,
27,90 Euro

Ramirez Wolga Benkö Part 2

Alejandro Ramirez,
Attacking with the Benko Part 2,
ChessBase 2013, DVD,
27 Videos, Sprache: Englisch,
27,90 Euro

Ramirez bezeichnet das Wolga-Gambit als gefährliche, zweischneidige Geheimwaffe, die heute nur von wenigen Spitzenspielern regelmäßig gespielt wird: Andreikin, Bologan, Vachier-Lagrave, Zwjaginsew, Sigurow, Tregubow. Als Überraschungswaffe war sie allerdings schon bei fast jedem Spitzenspieler anzutreffen, darunter Kasparow, Anand und Carlsen.
Weiß ist es in d4-Strukturen gewöhnt, einen Eröffnungsvorteil zu erhalten. Doch wenn der Anziehende im Wolga-Benkö das Bauernopfer akzeptiert, gerät er in Entwicklungsrückstand – und läuft ihm sehr lange hinterher. Doch wie schon angeführt, muss Weiß das Bauernopfer annehmen, will er um Vorteil spielen.

Alejandro Ramirez stellt ein umfassendes Repertoire für Schwarz. Und der 25-jährige Amerikaner macht das sehr unterhaltsam. Der Großmeister hat echte Entertainmentqualitäten und bewältigt die Videos so souverän, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Er besitzt eine große mediale Präsenz, ist sehr eloquent, was das Zuschauen sehr kurzweilig macht. Doch auch inhaltlich überzeugt er, denn er versteht es hervorragend, die kritischen Varianten, typische Stellungsmuster, Pläne und Hauptideen zu erklären. Gerade Spielern, die sich erstmals mit Wolga beschäftigen, sind diese DVDs wärmstens ans Herz zu legen. Aber auch für Kenner sind sie eine Fundgrube. Ramirez bietet auf jede kritische Variante überzeugende Abspiele an. Man kann davon ausgehen, dass einige seiner vorgeschlagenen Abspiele fortan häufiger gespielt werden.

Die Varianten im Einzelnen

Fianchetto-Variante mit g3:

Die Fianchetto-Variante ist einer der kritischen Prüfungen des Wolga-Benkö-Gambits. In diesem Abspiel ist die Zugfolge wichtig. Schwarz sollte in der Diagrammstellung die Rochade verzögern und mit Sd7-b6 sofort den d5-Bauern attackieren. Die Stammpartie dazu ist Kramnik – Topalow, Wijk aan Zee 2003, in der der damalige russische Weltmeister den zuvor selten gespielten Zug 10.Tb1 entkorkte und damit die Nebenvariante zur heutigen Hauptvariante machte. Die Partie ist sehr lehrreich, weil sie zeigt, welche Strukturen Schwarz unbedingt vermeiden muss. Topalow baute sich mit dem Standardplan Tb8 zu harmlos auf und geriet rasch in eine perspektivlose Stellung. Ramirez weist mehrfach darauf hin, dass es in der Anfangsphase für Schwarz oft auf die richtige Zugfolge ankommt. Kleine Abweichungen machen den großen Unterschied.
Ramirez diskutiert auch Awruchs Verbesserungsvorschläge (Boris Avrukh, 1.d4, Band zwei, Quality Chess 2010), die auf der Umgruppierung Lc8-f5 fußen, bezeichnet sie allerdings als zu „fancy“. Er plädiert für natürlichere Varianten und schlägt statt Topalows 12.-Tb8 Bologans Verbesserung 12.-Lb7 gefolgt von Ideen wie Da6 oder der interessanten Neuerung Da7 vor.
Ramirez betont, dass die Stellung für Schwarz viel einfacher zu spielen ist, während Weiß immer auf diverse taktische Drohungen achten muss. Die Schachprogramme sind übrigens im Wolga-Benkö, wo es vor allem um langfristige Pläne geht, meist wenig hilfreich, weil sie die Stellung schlecht „lesen“ können. Schwarz hat für den Bauern eine lang anhaltende Initiative, die sich in der Bewertung der Engines oft nur unzureichend abbilden lässt. Nicht selten fällt es den Programmen schwer, in typischen Wolga-Strukturen mit Weiß Gegenspiel zu kreieren.
Wegen der neuen Ideen von Bologan und Tregubow kommt Ramirez zu dem Urteil, dass die Fianchetto-Variante überschätzt wird.

Variante mit künstlicher Rochade:

Diese Variante war sehr modern, ist dann fast völlig verschwunden, wird nun aber wegen kürzlich gespielter Partien von Weltklassespielern wieder beachtet. Weiß kann mit h3 oder g3 spielen.

Ramirez bewertet die Variante mit h3 und frühem Sf3 als schlecht und gegen die Idee h3, Se2 empfiehlt er frühes e6. In dieser gesamten Variante steht der König nicht gut auf h2 und muss später meist noch ein Tempo für Kg1 verbrauchen.
Besser ist dagegen das Abspiel mit g3, das heute durch Carlsen und Nakamura populär geworden ist.

Nakamura und Carlsen spielten gegen Bologan in Biel 2012 jeweils mit De2 und gewannen recht leicht. Ramirez empfiehlt jedoch die Da5-Variante anstatt des von Bologan gespielten Db6. Danach ist nicht klar, wie Weiß weiterkommt. Andreikin zeigte damit gegen Carlsen, dass Schwarz nichts zu befürchten hat. Ramirez meint, der Ball ist im weißen Lager. Der Anziehende muss eine Verbesserung bringen.

b6-Variante

Ramirez rät von der recht populären b6-Variante ab, weil Schwarz gleich mehrere Möglichkeiten hat, gute Stellungen zu erreichen. Zum einen kann man mit der Dame auf b6 nehmen und nach a5 mit Da7 den Plan Se8-c7-b5 nebst d4 verwirklichen, wie es Anand in seiner Partie gegen Milov demonstriert hat. Oder man kann nach Sd7, Tab8 mit dem Turm auf b6 nehmen und Ideen mit Tb4 durchsetzen, die Schwarz ausgezeichnetes Spiel geben.

f3-Variante (axb5 nebst f3)

Die Variante ist nicht ungefährlich und wird auch von Alterman (The Alterman Gambit Guide, Black Gambits 1, Quality Chess 2011) sowie von Scharndorff (Playing 1.d4. The Indian Defenses, Quality Chess 2012) behandelt. Alle drei Autoren verwerfen die früher populäre Variante mit sofortigem Schlagen auf b5 nebst Da5, Ld2 b4, Sa3, wonach Weiß einen Springer auf c4 etablieren kann und die besseren Perspektiven besitzt. Doch während Alterman die taktisch zweischneidige Variante mit sofortigem e6 für Schwarz behandelt, die auch in der Begegnung Nakamura – Vachier-Lagrave Cap d’Age 2008 vorkam, schlägt Ramirez das Abspiel mit sofortigem g6 vor. Die Stellungen sind nicht weniger taktisch, aber Schwarz hat das typische Wolga-Spiel. Wenn Schwarz richtig spielt und sich einfach mit g6 entwickelt, hat er alle Vorteile eines Wolgas, dafür aber keinen Bauern gegeben.
Scharndorff glaubt dagegen, dass nach g6 die Idee mit Sa3-c4 nebst Sg1-e2-c3 Weiß Vorteil verspricht. Ramirez hält das für zu langsam. Denn Schwarz verzichtet auf das von Scharndorff behandelte ruhige d6 und greift d5 sofort mit e6 an, wonach Weiß Schwierigkeiten bekommt, das Zentrum zu halten. Diese Variante, die in Yang – Robson, Spice Cup Open 2012 zu einer weißen Katastrophe führte, verschweigt Scharndorff.

Die ruhige Variante mit 5.-e3

Die e3-Variante kann gefährlich werden, wenn Schwarz nicht genau weiß, wo seine Figuren hingehören. Doch wenn der Nachziehende nicht sofort auf b5 wiedernimmt, sondern Weiß mit Lb7 und Da5 zu Ld2 zwingt, ist die Stellung für Schwarz solide und in den meisten Fällen sogar zu bevorzugen. Ramirez glaubt gar, wenn die von ihm vorgeschlagene Zugfolge eine breitere Anerkennung erhält, wird der weiße Aufbau mit e3 nur noch selten in der Praxis zu finden sein.

Sf3-Variante ohne cxb5

Die Sf3-Variante ist das einzige Abspiel, in der Ramirez bei abgelehntem Wolga nicht bxc4 empfiehlt, weil die weiße Entwicklung zu natürlich verläuft. In seinen eigenen Partien bevorzugt der Autor b4, empfiehlt aber auf der DVD Lb7, weil die Variante dynamischer ist. Will Weiß um Vorteil kämpfen, muss er a3 spielen.

Nebenvarianten
Ramirez meint schlicht, dass alle Nebenvarianten (z. B. auch Dc2 oder Sd2) im Wolga grundsätzlich nicht zu empfehlen sind. Wolga ist eine aggressive Eröffnung und wenn Weiß nicht resolut vorgeht, erreicht Schwarz seine Ziele ohne Mühe.
Nicht ungefährlich ist dagegen 4.cxb5 nebst sofortigem 5.Sc3. Aber die Variante ist fast aus der Praxis verschwunden, weil Schwarz mit dem richtigen Plan (5.-axb5, 6.e4 Da5) bequemes Spiel erhält.

Fazit: Dem amerikanischen Großmeister gelingt es, den Stoff sehr gut zu präsentieren. Ramirez muss sich einzig den Vorwurf gefallen lassen, das Material so zu präsentieren, als habe Schwarz im Wolga überhaupt keine Probleme. Natürlich soll hier ein Schwarzrepertoire gezeigt werden und es ist die Aufgabe eines jeden Autors, sich für das von ihm vorgeschlagene Repertoire stark zu machen. Aber meines Erachtens ist Ramirez gelegentlich zu optimistisch.

II. Teil

Ist man nun nach dem gründlichen Studium dieser DVD sattelfest im Wolga, erlebt der gelehrige Adept nicht selten eine Überraschung: Der Gegner hat viele Optionen, Wolga zu vermeiden. Und oft stehen die Wolgaspieler ohne Rezept gegen diese Abweichung da. Deshalb hat ChessBase eine weitere DVD herausgebracht, um Wolga zu einem Gesamtrepertoire für Schwarz zu machen, egal wie Weiß reagiert.
In der zweiten Wolga-DVD von ChessBase werden frühe Abweichungen besprochen. Die wichtigsten Nebenvarianten sind Trompowski, Weressow, das Colle-System und andere Abspiele, in denen der Weiße die Spannung im Zentrum aufrecht erhält. Zudem gibt Ramirez noch Empfehlungen auf 1.c4 oder 1.Sf3.

Trompowski
Für Ramirez ist Trompowski nicht mehr als eine Clublevel-Eröffnung, weil man recht leicht dagegen ausgleicht. Das ist jedoch eine etwas verkürzte Darstellung, weil auch auf höchstem Level bei Spielern wie Nakamura oder Mamedjarow Trompowski gelegentlicher Gast ist.

Ramirez weist zunächst darauf hin, dass die beiden „Nebenvarianten nach 2.-Se4 3.h4 sowie 3.Lh4 harmlos sind. Im Hauptabspiel hält er zwar die Variante Se4, Lf4 c5 für okay, empfiehlt aber die Variante mit Se4, d5, c5. Trotz allem sollte man sich die Varianten sehr gut ansehen, denn Trompowski ist sehr gefährlich. Zwar glaubt Ramirez, dass auch 2…e6 zu Ausgleich führt, aber seine vorgeschlagene Variante ist ambitionierter.
Nach 4.f3 kommt Schwarz durch 4.-Sf6 5.Sc3 c5 mindestens zu Ausgleich. Nach 5.Sf3 c5 6.c3 gibt Ramirez Sc6 den Vorzug von dem oft empfohlenen cxd4. Schwarz kann die Spannung aufrechterhalten und Weiß in Abspielen mit 7.Sd2 Sxd2 8.Dxd2 cxd5 dazu zwingen, mit dem Springer zu nehmen (was ungünstiger ist), weil cxd4 an e5 mit der Drohung Lb4 eine Figur gewinnt.

Nach 4.e3 gibt es einige etwas taktischere Abwicklungen, die aber zumindest Ausgleich für Schwarz bringen. Richard Pert gibt in seinem Trompowski-Buch (Playing the Trompowski, Quality Chess 2013) eine interessante Abweichung, die Ramirez nicht behandelt: 1.d4 Sf6 2.Lg5 Se4 3.Lf4 d5 4.e3 c5 5.Ld3 cxd4 6.exd4 Sc6.

Nun gibt Ramirez nur 7.c3 mit schwarzem Ausgleich, Pert plädiert aber für 7.Lxe4 dxe4 8.Se2 Lg4 9.Sbc3 mit unklarem, aber sehr interessantem Spiel.

Ramirez Vorschlag mit d5 gibt Schwarz ein solides Bauernzentrum und kämpft sofort gegen den weißen Plan, sich mit f3, e4 ein starkes Bauernzentrum zu errichten. Er betont, dass man keine Angst vor Trompowski haben soll, sondern sich im Gegenteil darüber freuen soll, wenn Lg5 gespielt wird. Denn seiner Meinung nach kämpft einzig Schwarz um Vorteil. Trompowski sei nur dann eine gefährliche Waffe, wenn Schwarz nicht wisse, was er tun soll.

Die Variante mit 3.e3
Eine Zugfolge, die „lazy people“ wählen, um Wolga zu vermeiden. Tatsächlich ist die Entwicklung von Weiß zu langsam. Oft entsteht eine Marozcy-Struktur mit dem Bauern auf e3 statt auf e4, was Schwarz erlaubt, sofort mit d5 Gegenspiel zu bekommen. Aus dieser Stellung heraus hat Weiß lediglich 37% geholt, was ein miserables statistisches Ergebnis ist. Die Variante ist schlicht nicht gut für Weiß.

Weressow 1.d4 Sf6 2.Sc3 d5
Ramirez bewertet die Variante ähnlich wie Boris Awruch (Beating 1.d4 Sidelines, Quality Chess 2012). Weressow ist keine schlechte Eröffnung, aber Weiß kann nur auf Ausgleich hoffen und muss sogar vor einigen Tricks des Schwarzen aufpassen. Weil der Anziehende den c-Bauern verstellt hat, attackiert Schwarz das Zentrum mit c5.

1.d4 Sf6 2.Sf3
Ramirez gibt gegen flexible Aufstellungen wie 2.Sf3 Varianten, die zum Geist des Wolgas passen. Er empfiehlt 2.c5 und falls z.B. 3.d5 so b5. Nach dem Standardzug 4.Lg5 ist 4…Se4 sehr zweischneidig und gefährlich, weil im Gegensatz zum Trompowski der Bauer auf b5 Angriffspunkte am Damenflügel gibt. Statt dem häufig gespielten 4…e6 5.Lxf6 exf6, was nach Überzeugung des Autors zu leichtem Vorteil für Weiß führt, schlägt er das bislang wenig erforschte Db6 vor.

Ramirez resümiert, dass man mit Wolga zwar nicht die besten Resultate gegen Spieler jenseits der 2750-Marke erreicht. Doch auf niedrigerem Großmeisterniveau ist es mit guten Resultaten anzutreffen. Eigentlich will Weiß nicht von Beginn an eine passive Stellung verteidigen, selbst wenn man dafür einen Bauern mehr hat.

FAZIT

Beide DVDs geben ein umfassendes Repertoire für einen Wolga-Spieler. Ramirez diskutiert dabei die aktuellen kritischen Varianten, setzt sich mit der Sekundärliteratur auseinander und gibt zu allen Abspielen gute Antworten an die Hand. Sehr empfehlenswert!

(Die Belegexemplare wurden  freundlicherweise von der Firma Niggemann und ChessBase zur Verfügung gestellt.)