KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

TEST DER ZEIT (I. Teil)

FM Harry Schaack gleicht die Empfehlungen,
die Wesley So auf  seiner ChessBase-DVD
My Black Secrets in the Modern Italian
2018 gab, mit aktuellen theoretischen Entwicklungen ab.

Wesley So, My Black Secrets in the Modern Italian

Wesley So,
My Black Secrets in the Modern Italian,
ChessBase 2018, Download/DVD,
Videospielzeit: 3 Std. 04 min
34,90 €

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma ChessBase zur Verfügung gestellt.)

Es ist nun schon einige Jahre her, dass Wesley So bei ChessBase seine beiden DVDs zum modernen Italienisch sowie zu 1.b3 aufgenommen hat. Gewöhnlich ist die Zeit der Feind jeglicher Theorie, doch einige Werke erweisen sich in dieser Hinsicht robust. Gelegentlich lohnt ein Blick zurück, wenn ein Werk, wie in diesem Fall, sich nicht zu sehr in konkreten Varianten verliert, sondern Grundsätzliches zu einer Eröffnung mitteilt.

Die beiden DVDs, die wir auf Karlonline hintereinander besprechen werden, wurden kurz vor den London Chess Classic Ende 2017 in Hamburg aufgezeichnet. Dabei hat man ein interessantes Format gefunden, nämlich das des Gesprächs. Wesley So präsentiert die Varianten gemeinsam mit IM Oliver Reeh, der dem Top-Ten-Spieler Fragen zur Stellung stellt und damit das Geschehen auch für einen Amateur verständlich macht. Dabei gibt der Philippine, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt und nun zum US-Team gehört, tiefe Einblicke in Strukturen, spricht über Stellungsperspektiven, interessante Ideen, wichtige Muster oder Abspiele, die einer weiteren Untersuchung bedürfen. Gerade weil So über grundsätzliche Aspekte dieser Eröffnung spricht, sind diese DVDs bis heute interessant und nützlich, insbesondere wenn man sich die Eröffnung neu aneignen will. Darüber hinaus ist es stets ein Genuss, die Auffassungen eines absoluten Weltklassespielers zu eröffnungstheoretischen Fragen zu hören. Wir wollen folgend versuchen, Sos damalige Einschätzungen mit den aktuellen theoretischen Entwicklungen abzugleichen.

Der Titel der DVD, My Black Secrets in the Modern Italian, ist etwas irreführend. Wesley So spielt diese Eröffnung mit beiden Seiten. Es geht mitnichten nur um ein praktisches Schwarz-Repertoire, sondern um die Besprechung typischer Strukturen von beiden Seiten.

Zur Zeit der Aufzeichnung dieser DVD Ende 2017 hatte der Boom des sogenannten „Giuoco pianissimo“, also dem modernen Italienisch mit c3 und d3, gerade erst begonnen. Noch 2007 musste sich Peter Leko in der Pressekonferenz beim WM-Turnier in Mexiko-City die Frage gefallen lassen, warum er eine so harmlose Eröffnung gegen Kramnik gespielt habe. Tatsächlich hatte Kramnik schnell ausgleichen können, weshalb Leko meinte, Italienisch sei „tot“. Ein Irrtum, wie sich bereits 2009 zeigte, als Iwantschuk dieselbe Variante mit vertauschten Farben gegen Leko spielte. Der Ungar folgte den Fußstapfen Kramniks, wurde jedoch rasch positionell überspielt und erlitt eine empfindliche Niederlage. Es zeigte sich, dass die Eröffnung doch mehr Potential hat als zuvor gedacht.

Wesley So erzählt, warum Italienisch plötzlich wieder so populär geworden ist. Für Weiß war es zunehmend schwieriger geworden, im Spanier etwas Brauchbares gegen die Berliner Mauer oder der Marshall-Verteidigung zu finden. Außerdem sei Italienisch „einfacher“, weil es nicht so viele Abweichungen wie im Spanier gibt. Weiß könne seine Vorbereitung sozusagen ab dem dritten Zug aufs Brett bringen, weil Schwarz nicht viele Möglichkeiten hat, früh eigene Wege zu gehen. Außerdem entstehen positionelle Manövrierstellungen, in denen zumeist der bessere Spieler gewinnt – und nicht der besser vorbereitete. Allerdings muss man sich mit den vielen Zugumstellungen vertraut machen. Der genauen Zugfolge kommt im Italienischen gelegentlich große Bedeutung zu.

So betont, dass Italienisch nicht so konkret ist wie andere Eröffnung. Es geht mehr um Ideen, um Aufbauten, Pläne, Manöver. Grundsätzlich hat Schwarz drei Möglichkeiten, sich gegen den d3/c3-Italienier aufzubauen: Mit a6, a5, oder direktem Se7. Alle Varianten ergeben interessantes Spiel mit beidseitigen Chancen.

Nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 folgt fast immer Lc5 oder Sf6. Le7 ist nicht Gegenstand dieser DVD. Nach 3…Sf6 muss man schon gut vorbereitet sein, um die großen Verwicklungen nach 4.Sg5 zu meistern. Oder wie So sagt: Ohne Vorbereitung ist es unmöglich, sich auf die Komplikationen einzulassen. Diese eigenständige Tabiya wird bis heute intensiv diskutiert und in den letzten Jahren einige Male in der Weltklasse erprobt, auch von So und Carlsen, zuletzt auf hohem Niveau in Maghsoodloo (2701) – Saric (2669), Warschau 2021: 4.Sg5 d5 5.exd5 Sa5 6.Lb5+ c6 7.dxc6 bxc6

8.Ld3 Sd5 9.h4 Lc5 10.Sc3 Sf4 11.Lf1 h6 12.Sge4 Lb6 13.d4 Lxd4 14.Lxf4 exf4 15.Dd2 Le5 16.Dxd8+ Kxd8 17.0–0–0+ mit leichtem weißem Vorteil. Oder auch im Februar 2022: 8.Le2 h6 9.Sh3 mit kompliziertem Spiel (Aronjan (2772) – Ding (2799), chess24.com INT 2022).

Nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 glaubt Wesley So nicht, dass es hinsichtlich d3 oder c3 Feinheiten bei der weißen Zugfolge gibt. Die kommen erst später.

Spielt Weiß 4.c3 Sf6, hat er zusätzlich die Möglichkeit, 5.b4 zu spielen. So empfiehlt darauf den Rückzug 5…Le7. In jüngsten Partien wurde von Schwarz jedoch recht erfolgreich 5…Lb6 gespielt, z.B.:

5…Lb6 6.d3 d6 7.0–0 h6 8.a4 a5 9.b5 Se7 10.Te1 0–0 11.La3 Sg6 mit Ausgleich (0:1 (61) Fedosejew (2687)-Artemjew (2709), Tornelo INT 2021).

Die eigentliche Fortsetzung, die das Giuoco pianissimo kennzeichnet, ist jedoch 5.d3. Nach 5…a6 spielt Weiß direkt oder später a4, wonach er Raumvorteil am Damenflügel erhält. Diese Erkenntnis war einer der wesentlichen Gründe, warum Italienisch so populär wurde, sagt So.

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d3 a6 6.a4 d6

Jetzt hat Weiß die Wahl. Am häufigsten wird 0-0 gespielt, aber auch h3, b4, Sbd2 und Lg5 sind wichtige Optionen.

Auf 7.Lg5 reagiert Schwarz häufig mit dem präventiven und nicht gerade offensichtlichen 7…La7. Aber nach 7…h6 8.Lh4 g5 9.Lg3 droht sowieso immer d4 mit Tempo und Schwarz muss dann doch den Läufer nach a7 zurückziehen.

8.Sbd2 h6 9.Lh4 g5 10.Lg3 0–0 wonach 11.0–0 das Beste ist. Es mag erstaunen, dass Weiß mit 11.h4 g4 12.Sh2 (So zeigt 12.Sg5, wonach laut dem amerikanischen Großmeister Schwarz aber schon klar besser steht, sowohl nach Nehmen als auch nach Sh5.) 12…Kg7 13.De2 Dd7 14.Shf1 Sh5 15.Se3 Lxe3 16.Dxe3 Se7 17.f4 f5 18.0–0 Sg6 19.exf5= keinen entscheidenden Angriff erhält, wie die Partie Dominguez (2760) – Robson (2669), Saint Louis 2021 gezeigt hat.

Wesley So hat nun in der, auf der DVD präsentierten, Modellpartie gegen Topalow (London Chess Classic 2016) die starke Neuerung 11…Sh7! gebracht, wonach der weiße Läufer schlecht steht und Schwarz am Königsflügel angreift.

Nach dieser Partie verschwand Lg5 einige Zeit aus der Praxis. Mittlerweile hat Weiß jedoch gute Gegenmaßnahmen gefunden. Giri gewann 2021 gegen Anand mit 12.h3 h5 13.d5 h4 14.Lh2 g4 15.hxg4 Lxg4 16.Le2 Lxf3 17.gxf3 exd4 18.f4, und der Autor dieser DVD, So, schlug im September 2021 in einer Internet-Partie Shootingstar Firouzja mit dem überraschenden Zug 12.Kh1.

In der zweiten Partie diskutiert So die Stellung nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0–0 Sf6 5.d3 0–0

 
Hier muss Weiß bereits auf die Zugfolge achten, wie So meint, denn nach 6.c3 d5 7.exd5 Sxd5 steht Schwarz bereits komfortabel. Doch So hat zuletzt 2022 gegen Giri in einer Internetpartie selbst 6…d6 gespielt, denn mittlerweile wurde das Abspiel 6…d5 mit wechselndem Erfolg in der Weltspitze erprobt, z.B. 8.Te1 Lg4 9.Sbd2 Sb6 10.h3 Lh5 11.Lb3 Dxd3 12.Sxe5 Df5 13.Sef3 Tfe8 14.g4 Lxg4 15.hxg4 Dxg4+ 16.Kh1 Se5 17.Sh2 Dg6 18.Lc2 Sd3 19.Lxd3 Dxd3 20.Sdf3 Dxd1 21.Txd1 mit unklarer Stellung in Jessipenko (2714) – Giri (2772), Wijk aan Zee 2022. Diese Partie ist gleichzeitig eines der Beispiele für eine sehr konkrete Variante im langsamen Italiener.

Der Unterschied zu 6.h3 (anstatt 6.c3) besteht darin, dass der schwarze Bauer e5 zum Angriffsobjekt wird, z.B. nach 6…d5 7.exd5 Sxd5 8.Te1 Le6 9.Sbd2 (Das sofortige 9.Sxe5?? scheitert an der typischen taktischen Wendung 9…Sxe5 10.Txe5 Lxf2+ 11.Kxf2 Df6+). Doch mehrere Partien in der zweiten Hälfte 2021 endeten überwiegend positiv für den Nachziehenden.

So zeigt seine Partie gegen Nepomnjaschtschi von der Olympiade in Baku 2016, in der der Russe 6.a4 spielte. Ein Versuch, der in der Weltklasse mittlerweile aus der Praxis verschwunden ist und dort von Weiß zuletzt in einer klassischen Partie erfolglos in der Begegnung Alexejenko (2715) – Leko (2666), Budva 2019 probiert wurde, was der Ungarn mit a5 beantwortete. So erklärt, dass es einige Zeit dauerte, bis man verstand, dass a5 besser ist als a6, weil der Raumgewinn am Damenflügel mehr Wert ist als die Schwäche des Feldes b5.

Während die Partien häufig in ruhigem positionellem Fahrwasser verlaufen, nimmt die Eröffnung nach frühem d5 sehr konkrete Züge an: In der dritten Begegnung Anand – So, Stavanger 2017, wurde So mit einem Bauernopfer überrascht, das sich als unangenehm herausstellte:

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0–0 Sf6 5.d3 0–0 6.a4 a6

Aufgrund des Partieverlaufs empfiehlt So 6…a5, wodurch seine Figuren später nicht so zurückgedrängt worden wären. Später wurde auch 6…h6 erfolgreich probiert.

7.c3 d5 8.exd5 Sxd5 9.Te1 Lg4 10.h3 Lh5

 
11.Sbd2

Übereilt wäre 11.g4 Lg6 12.Sxe5 Sxe5 13.Txe5. Nun funktioniert zwar das Standardopfer 13…Lxf2+?! 14.Kxf2 Df6+ 15.Df3 Dxe5 wegen 16.Dxd5 nicht, doch So zeigt 13…c6, wonach Schwarz etwas besser steht.

11…Sb6 12.La2 Dxd3 13.a5 Lxf3 14.Sxf3 Dxd1 15.Txd1 Sc8 16.b4 La7

Und nun hätte Anand mit 17.Td7!? (anstatt des Partiezugs 17.Te1) die bessere Stellung erhalten.

Die Variante wurde mit Schwarz in der Weltklasse seit 2019 nicht mehr gespielt, nachdem So in Moskau 2019 mit Schwarz gegen Duda verlor. So versuchte die Variante mit 11…Kh8 statt 11…Sb6 zu verbessern, verlor jedoch in einer Kurzpartie in 25 Zügen.

Die vierte Partie der DVD, Malachow – Ding Liren, Danzhou 2017, beschäftigt sich mit dem Abspiel:
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 Lc5 5.0–0 0–0 6.h3 d6 7.c3 a5


So zeigt auch einige frühe Abweichungen, wie 7…Se7. Im Video empfiehlt er 8.d4, doch im letzten Jahr überspielte er Mamedjarow in Saint Louis mit 8.Te1 Sg6 9.d4 Lb6 10.Ld3 d5 11.exd5 exd4 12.c4 c6 13.Dc2 cxd5 14.c5 Lc7 15.Sxd4 Te8 16.Txe8+ Dxe8 17.Sc3 und Weiß stand besser.

7…h6 ist heute in der Praxis auf Topniveau anzutreffen, die Variante 7…a6 8.a4 Le6 9.Lxe6 fxe6 10.b4 ist wegen des großen Raumvorteils und der guten Erfolge von Weiß bereits seit 2018 in der Weltklasse nicht mehr gespielt worden.

8.a4 Le6 9.Lxe6 fxe6 10.Sbd2 De8 11.Sc4 Dg6 12.Le3 Lxe3 13.Sxe3 Sh5

Und Schwarz hat das Spiel völlig ausgeglichen. Der Doppelbauer auf der e-Linie erschwert den Durchbruch d4, sodass es für Weiß sehr schwierig ist, einen Plan zu finden. In der Partie überspielte Ding seinen Gegner.

 

Eine originelle Idee ist die frühe Umgruppierung mit Se7, wie in Praggnanandhaa – Adams, Douglas 2017, die So im fünften Video bespricht.

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0–0 Sf6 5.d3 0–0 6.h3 d6 7.c3 Se7

8.Te1 Sg6

So versuchte gegen Mamedjarow in Saint Louis 2021: 9.d4 Lb6 10.Ld3 d5 11.exd5 exd4 12.c4 c6 13.Dc2 cxd5 14.c5 Lc7 15.Sxd4 und hatte das etwas bessere Spiel.

8.Te1 Sg6

Dies wird auch heute noch gespielt. Aber statt der Partiefortsetzung mit 9.Sbd2 wird gegenwärtig 9.d4 Lb6 10.Ld3 d5 11.exd5 exd4 12.c4 c6 13.Dc2 intensiv in der Weltspitze diskutiert.

Mit der Partie Rodriguez Vila – Rapport, Olympiade, Baku 2016, stellt So eine damals noch weitgehend unerforschte Zugfolge vor, die sich sehr konkret entwickelt:

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 h6 5.0–0

Nach 5.c3 d6 6.Sbd2 erweist sich die direkte Attacke mit 6…g5 7.0–0 g4 8.Sh4 Sxe4 9.Sxe4 Dxh4 als verfrüht. Weiß steht nach 10.f4 fast schon auf Gewinn. Gerade eben beim 1. Grand Prix in Berlin im Februar 2022 versuchte Schirow gegen Dominguez 7…Lg7 8.Lb3 g4 9.Se1 h5 10.f4 exf4 11.Txf4 d5 (Dominguez – Schirow, Berlin 2022), und nach 12.exd5 hätte Weiß deutlich besser gestanden.

5…d6

6.a4

Heute ist 6.c3 die kritische Variante: So plädiert für 6…g5!? (Das zahmere 6…g6 wurde zuletzt 2020 gespielt). Auf der DVD erzählt der amerikanische GM, wie er dieses Abspiel intensiv analysiert hat, weil es sowohl für Weiß als auch für Schwarz aussichtsreiches Spiel mit interessanten Komplikationen bietet. Tatsächlich ist dieses Abspiel zu einem Kampffeld moderner Theorie geworden und wird bis heute intensiv diskutiert.

Rapport wurde für sein originelles Spiel mit einer Angriffsstellung belohnt, die er später gewann:

6…g5 7.Sc3 Lg7 8.Te1 Lg4 9.h3 Ld7 10.Sh2 Se7 11.Le3 Sg6 12.d4 0–0 13.f3 Sh5 mit zweischneidigem Spiel.

Die nächste Variante scheint auf den ersten Blick harmlos, stellt aber tatsächlich einen sehr aggressiven Versuch von Weiß dar. Um den Königsangriff zu verteidigen, muss Schwarz gut vorbereitet sein, warnt So.

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0–0 Sf6 5.d3 d6 6.c3 a6 7.Lb3 La7 8.Te1 0–0 9.h3 h6 10.Sbd2

 
10…Te8

Wesley So zeigt auch die „einfache“ Variante 10…Sh5 11.Sf1 Df6, mit der Schwarz vernünftiges Spiel erlangt und die großen Komplikation der Hauptvariante meidet. Diese Variante wird aber in der Weltspitze seit vier, fünf Jahren kaum noch gespielt.

11.Sf1 Le6 12.Lc2

Hier muss Schwarz 12…d5 spielen, um nicht in Nachteil zu geraten.

13.exd5

In der von So gezeigten Partie Praggnanandhaa – J. van Foreest, U20-WM 2017 geschah 13…Sxd5 14.Sg3 Dd6 15.Sh4

Dies hatte So mit Schwarz im Blitz gegen Giri 2015 auf dem Brett und geriet rasch in eine Verluststellung. Die Partie illustriert die prekäre schwarze Königsstellung recht gut: 15…Dd7 16.Df3 De7 17.Shf5 Df8 18.Lb3 Tad8 und jetzt hätte 19.Te4 bereits gewonnen.

Wie tief die Analyse heutzutage ist, und wovon sich auch Moderator Oliver Reeh beeindruckt zeigte, demonstrierte So an der folgenden erstaunlichen Variante: 15…De7 16.Dh5 Tad8 17.d4! Sf4 18.Lxf4! exf4 19.Sf1

Und jetzt erinnerte sich So im Video an eine forcierte Remisvariante, die er einst vorbereitet hatte, die allerdings ohne Computerhilfe unmöglich zu finden ist: 19…Td5! 20.Df3 Dg5 21.Lb3 Tdd8 22.d5 Ld7 23.dxc6 Lxc6 24.Dg4 Lxf2+ 25.Kxf2 Dc5+ 26.Se3 fxe3+ 27.Kg1 e2+ 28.Kh1 Df2 29.Sf5 Lxg2+ 30.Dxg2 Dxf5 31.Txe2 Txe2 32.Dxe2 Dxh3+ mit Dauerschach.

Dieses Abspiel zählt ebenfalls zu den zuletzt meistdiskutierten im Italienisch, wobei Schwarz heute lieber mit 13…Lxd5 oder 13…Dxd5 spielt.

Eine relativ frische Idee zeigt die Partie So – Ding, Tbilissi 2017:

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 Lc5 5.c3 d6 6.0–0 0–0 7.Te1 a5

 
Schwarz kommt Weiß zuvor und beginnt zuerst, am Damenflügel Raum zu greifen. Eine Auffassung, die sich immer mehr durchsetzt, weil man verstanden hat, dass der weiße Raumgewinn am Damenflügel oft vorteilhaft für den Anziehenden ist. Der offensichtliche Nachteil besteht darin, dass das Feld b5 nachhaltig geschwächt wird.

8.Sbd2

Hier gibt es auch das spannende 8…Sg4. Wesley So erläutert, dass man eigentlich zunächst den Läufer nach a7 zurückzieht, bevor dieser Angriff geschieht, weil Weiß ansonsten später mit d4 ein Tempo gewinnt. In dieser Stellung ist der Angriff aber sehr gefährlich, wie auch eine Internet-Partie zwischen zwei Schwergewichten von 2021 zeigt: Nach 9.Te2 Kh8 10.h3 f5 (eine Idee, auf die Wesley So auf der DVD auch in ähnlichen Stellungen hinweist. Er war aber 2017 der Auffassung, dass Schwarz in diesem Abspiel nicht völligen Ausgleich erreicht.) 11.d4 exd4 vergriff sich Weltmeister Carlsen mit 12.cxd4?? (Richtig ist 12.hxg4 fxg4 13.Sxd4 Se5 14.b3 mit unklaren Verwicklungen.) und stand nach 12…Sxd4 13.Sxd4 Sxf2! 14.Txf2 Lxd4–+ bereits auf Verlust (½:½ (58), Carlsen – Aronjan, chess24.com INT 2021). Nach …

8…Le6 9.Lb5

… folgt das verblüffende Manöver …

9…Db8

Die Idee hat sich etabliert und wird bis heute von der Elite diskutiert. So erzählt, dass er überrascht war, als er die Idee das erste Mal 2016 beim Open auf der Isle of Man in einer ähnlichen Stellung sah. Aber eigentlich sei die Idee ganz einfach zu verstehen, wenn man sie erst einmal gesehen hat: Schwarz kämpft ums Zentrum, will seine Dame nach a7 stellen, d4 kontrollieren, Druck auf f2 ausüben und vielleicht auch Db6 spielen. Nach …

9.Lb5 Db8 10.Sf1 Da7

… steht die Dame auf a7 überraschenderweise sehr gut. In der gezeigten Partie So – Ding kam die Dame über a6 wieder ins Spiel.

11.Le3 Lxe3 12.Sxe3 Se7

Plötzlich steht der Läufer schlecht, da d4 nicht möglich ist, weil der Bauer auf e4 hängt. Denn …

13.d4?

… scheitert taktisch an …

13…Sxe4 14.dxe5 dxe5 15.Sxe5 Dc5 16.Dd4 Dxb5 17.Dxe4 Dxb2

  

In der letzten Partie behandelt So die Idee Lg5. Nach …

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d3 0–0

… verzichtet Weiß auf 0-0, worauf Schwarz d5 geplant hatte, zugunsten des direkten

6.Lg5

Eine moderne Idee, wobei sich die Fesselung als lästig erweist. Diese Tabiya gehört momentan zu den am meisten diskutierten Varianten in der Weltklasse. Wer dies vermeiden will, spielt 5…d6 und schiebt die Rochade auf.

Der Versuch, die Fesselung mit dem Tempoverlust Le7 zu entschärfen, hat sich in der Weltklasse nicht durchgesetzt.

6.Lg5 d6 7.Sbd2 h6 8.Lh4

Jetzt erweist sich …

8…g5

… als sehr gewagt, wie die Partie Carlsen – Karjakin, Wijk aan Zee 2017 zeigte.

Nach 9.Sxg5 hxg5 10.Lxg5 Kg7 11.Df3 erweist sich der Umstand, dass Weiß seinen König noch im Zentrum hat, als sehr vorteilhaft, wie So betont. Weiß kann sehr schnell seinen Angriff voranbringen, was Carlsen eindrucksvoll demonstrierte. Mittlerweile gilt 8…g5 als zu riskant.

Italienisch, so Sos Resümee, zeigt auch, wie schnell die Mode im modernen Schach wechselt. Weil es gegen die Berliner Verteidigung keine richtige Lösung gab, untersuchten Spieler zunehmend Italienisch, das heute mindestens so oft gespielt wird wie Spanisch – davor jedoch viele Jahrzehnte nur ein seltener Gast in der Weltklasse war. Durch die Engines sind die konkreteren Zugänge zum Italienisch, wie das Evans-Gambit oder das direkte d4, durch das langsame d3 ersetzt worden. Beide Seiten haben viele Ideen, die trotz der jahrhundertelangen Geschichte dieser Eröffnung offenbar bis in die Gegenwart noch nicht erschöpft sind und viel kreativen Raum für beide Seiten lassen. Wesley So spielt Italienisch jedenfalls bis heute mit beiden Farben regelmäßig.

Zu dieser DVD gehören noch ein Spezialbuch „Modern Italian“ und eine Datenbank mit einer ganzen Reihe von Modellpartien, die aber leider zumeist unkommentiert sind. Obwohl die DVD schon Ende 2017 produziert wurde, liefert My Black Secrets in the Modern Italian bis heute einen guten Einstieg in eine der wichtigsten modernen Eröffnungen und erläutert die grundsätzlichen Ideen – für beide Seiten.