KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

CHARMANT, UNTERHALTSAM, INFORMATIV

Der Schachkalender 2020

Von FM Harry Schaack

Schachkalender 2020

Schachkalender 2020,
Taschenkalender für Schachspieler,
hrsg. v. Arno Nickel,
Edition Marco 2019,
37. Jahrgang,
Hardcover,
272 Seiten, 16,- Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise vom Verlag Edition Marco zur Verfügung gestellt.)

Es sind die vielen Kleinigkeiten, die den Schachkalender seit nunmehr 37 Jahren zu einem treuen Gefährten vieler Schachspieler macht. Auf jeder Doppelseite, die Liste der Kalenderwochentage begleitend, verblüffen immer wieder die halbseitigen Kleinstporträts, die wie Capriccios oder Gemmen daherkommen und mit einer Fülle von wenig Bekanntem oder längst Vergessenem aufwarten. Wer weiß schon, dass der große französische Studienkomponist Henri Rinck mit seinem kurz vor seinem Tode erschienen Opus Magnum 1414 Fins de Partie unter dem Arm begraben wurde, wie er es in seinem letzten Willen festlegte; oder dass schon 1786 – mehr als ein Vierteljahrhundert vor der ersten deutschen Schachvereinsgründung 1803 – in der Berlinischen Zeitung zur Gründung eines Schachklubs (wenn auch vergeblich) aufgerufen wurde; oder dass die Frau von Peter Heine Nielsen, die Großmeisterin Viktorija Čmilytė, seit 2015 im litauischen Parlament die Liberale Partei repräsentiert.

Im Zentrum des Schachkalenders stehen die mehrseitigen Beiträge. Diesmal sind es elf Texte mit originellen Themen, zu denen sonst kaum einmal etwas zu lesen ist. Einige Artikel gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des Schachkalenders, wie das „Kalenderrätsel“ oder der persönliche Jahresrückblick von Deutschlands umtriebigsten Schachjournalisten Dirk Poldauf. 2019 erlebte er in Wijk aan Zee den Rücktritt Kramniks und im norwegischen Stavanger das erste „Armageddon-Turnier“. Auch Hartmut Metz‘ Fortsetzungsgeschichte zu Siegbert Tarrasch, der in Baden Baden in unserer Jetztzeit reinkarniert und mit Carlsen, Anand, Fritz & Co von einem Missverständnis ins nächste gerät, erlebt nun schon den fünften Teil.

Apropos: Science Fiction bildet diesmal einen kleinen Schachkalender-Schwerpunkt. Gregor Strick beschäftigt sich mit der Funktion des Schachspiels in der Serie Raumschiff Enterprise und vor allem mit dem Ersten Offizier Mr. Spock, dem auch 3D-Schach keine große Mühe bereitet. Dem Halbvulkanier gelingt es in einer Folge, aufgrund des fehlerhaften Schachspiels des Bordcomputers der Infiltrierung eines Aliens auf die Spur zu kommen.

Andreas Saremba erzählt in „Wie spielt man Schach gegen ein Einhorn?“ eine persönliche Anekdote. Sie nahm ihren Anfang 1982 mit der Notation einer Schachpartie in einer Kurzgeschichte in Isaac Asimov‘s Science Fiction Magazine. Saremba ahnte nicht, dass ihn diese Partie über viele Jahre hinweg immer einmal wieder aus unterschiedlichen Bickwinkeln beschäftigen würde.

Wladimir Barski bringt in seinem Artikel den in der UdSSR angesehenen Trainer und Autor Michail Schereschewski in Erinnerung, der auch ein starker Damespieler war. 1987 schrieb Schereschewski das auch im Westen bekannt gewordene Buch Strategie der Schachendspiele, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde er Geschäftsmann und trat nach weitgehender Schachabstinenz erst wieder 2018 mit seinem viel beachteten Werk The Shereshevsky Method in Erscheinung.

Ferner ist im Schachkalender 2020 eine Rezension von Bernd-Peter Lange über das Schachmotiv in Michael Ondaatjes Roman Kriegslicht zu lesen, Poldaufs Porträt des 2019 verstorbenen Schachenthusiasten Dr. Peter Welz, der einst keinen Zug bei der WM 2008 in Bonn verpasste, Hübners Erinnerungen an ein ungewöhnliches Turnier in dem kleinen jugoslawischen Ort Sombor, das er 1970 gewinnen konnte, sowie Jürgen Nickels Schilderung eines Mannschaftsturnier aus analogen Zeiten in Flensburg 1977, als Kommunikationsschwierigkeiten und pikante abendliche Vergnügungen zu allerlei Irrungen und Wirrungen führten.

Aber der Schachkalender hat noch mehr zu bieten, so etwa Geburtsdaten bekannter Schachspieler, wodurch jeder überprüfen kann, ob sein eigener Jubeltag unter einem guten Schachstern stand. Zudem erinnern kleine Notizen an Turniere, die an bestimmten Kalendertagen zu Ende gegangen waren. Dazu werden Weltranglisten im Lang- und Fernschach geboten, die wichtigsten Schachadressen, Aufstellungen der Bundesligaklubs bis hin zu Paarungstabellen. Und natürlich kann man auch sein schachliches Können an zahlreichen Schachaufgaben erproben.

Der Schachkalender ist ein schön gemachtes und akribisch recherchiertes Werk, das sich mit seiner bunten Mischung bislang auch gegen die digitale Konkurrenz glänzend bewährt hat. Hoffen wir, dass es so bleibt!