KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

GRÜNFELD-INDISCH: PRO UND CONTRA

Von Martin Fischer

Aagaard The Grünfeld Cover

Jacob Aargaard,
Starting Out:
The Grünfeld,
Everyman-Verlag 2004,
kartoniert, 176 Seiten,
20,35 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)
Sakaev Gruenfeld Cover

Konstantin Sakaev,
How to get the Edge Against the Gruenfeld,
Chess Stars Opening 2004,
kartoniert, 170 Seiten
23,50 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Wer unsymmetrische Stellungen mag, es auch als Schwarzer liebt, seinem Gegner Probleme zu stellen und mehr als Ausgleich will, der sollte Grünfeld-Indisch als Eröffnung in die engere Wahl ziehen. Zwei kürzlich erschienene Bücher widmen sich dieser Eröffnung, wenngleich sie sich auch an ein unterschiedliches Publikum richten und von unterschiedlicher Warte aus geschrieben sind.

In der Reihe Starting out … rührt Jacob Aagaard die Werbetrommel für Grünfeld-Indisch und versucht seine Leser zu überzeugen, diese Eröffnung einmal zu probieren. Konstantin Sakaev hingegen lässt mit dem Titel How to Get the Edge Against the Grünfeld vermuten, dass Schwarz mit solcher Eröffnungswahl Schwierigkeiten in Kauf nimmt.

Mit der Reihe Starting out … zielt der Everyman-Verlag auf ein Publikum, das sich zunächst einen Überblick über eine bestimmte Eröffnung machen will. Die jeweilige Eröffnung wird, unterteilt nach bestimmten Systemen, an Hand einiger Partien vorgestellt. Das Ganze versteht sich mehr als ein Appetithäppchen, der Leser soll in die Lage versetzt werden, sich mit grundlegenden Ideen und typischen Stellungsbildern vertraut zu machen.

Außerdem gibt es noch einige Draufgaben. Die statistischen Auswertungen über die Erfolge oder Misserfolge einiger Varianten sind sicherlich mit gewisser Vorsicht zu genießen, denn Schach ist kaum ein statistisches Spiel. Wesentlich interessanter, gerade für den angesprochenen Leserkreis, der ja meist nur wenig Zeit für schachliche Fortbildung hat, ist der Hinweis darauf, ob man eher wenig oder mehr Theorie lernen muss, um in dieser oder jener Variante bestehen zu können oder ob die allgemeine Kenntnis von Ideen reicht. Ebenfalls nützlich sind Hinweise auf typische Fehler und Tricks, denn damit kann der Leser manch leichten Punkt mitnehmen, während ihm grobe Misserfolge erspart bleiben.

Jacob Aargard ist bislang kaum als Experte für die Grünfeld-Indische Verteidigung in Erscheinung getreten. Dies ist bei dieser Art von Büchern aber auch nicht notwendig. Hier kommt es mehr darauf an, Ideen gut vermitteln zu können. Und hier ist Aargaard in seinem Element. Sein pointierter Stil wirkt lebendig, während seine Kommentare wichtige Ideen verdeutlichen und dabei das Maß der zu verarbeitenden Varianten überschaubar halten, ohne dass er oberflächlich wird.

Auch die Auswahl der Partien gefällt mir. In seiner Einleitung schreibt Aargaard, dass er sich davon hat leiten lassen, ob die Partien lehrreich und unterhaltsam ist, nicht so sehr, ob sie einen wichtigen Beitrag zur Eröffnungstheorie darstellt. Er möchte, dass sein Buch auch in fünf Jahren noch lesenswert ist. Positiv hervorzuheben ist auch, dass Aargard die Partien auch dann noch kommentiert, wenn die Eröffnungsphase vorbei ist.

Alles in allem eine gelungene Vorstellung von Grünfeld-Indisch und eines der besseren Bücher aus der Starting out … Serie. Natürlich kein umfassendes Theoriebuch, denn dafür werden giftige Nebenvarianten – wie das Fianchetto-System – zu knapp abgehandelt, aber genug, um auf den Geschmack zu kommen oder festzustellen, dass einem der Stellungstyp nicht zusagt. Und genug Wissen für erste Gehversuche mit der Eröffnung, wenn man über die notwendige Experimentierfreunde verfügt.

Schwach hingegen ist allerdings das Literaturverzeichnis – aber dafür gibt es immerhin eins – und Verweise auf andere Quellen, die bei der Erstellung des Buches verwandt wurden. Denn wer Blut geleckt hat und seine Kenntnisse vertiefen möchte, wäre dankbar für Hinweise auf weiterführende Literatur.

Aber dennoch: Wer leidlich englisch kann und sich schon immer einmal grundlegend über Grünfeld-Indisch informieren wollte, der kann guten Gewissens zu diesem Buch greifen.

 

Gehören Sie zu den Anhängern von 1.d4 und sehen angesichts des obigen Werkes eine Welle von Grünfeld-Indern den heimischen Klubabend oder die von ihnen besuchten Turniere bevölkern, dann verspricht Sakaevs How to Get the Edge Against the Gruenfeld Linderung.

Schon beim ersten Durchblättern wird offensichtlich, dass Sakaev und sein Team (wer auch immer hinter dem durchweg gebrauchten „wir“ steht) ein klassisches Theoriebuch verfasst haben, das eine spezielle Variante, nämlich die Abtauschvariante mit dem Aufbau Lc4, Se2 und Le3 liebevoll untersucht. Und obwohl der Titel dies nahe legt, handelt es sich hierbei nicht um ein Repertoirebuch gegen Grünfeld-Indisch, sondern um eine solide Abhandlung über diese Eröffnungsvariante, die auch für Spieler der schwarzen Steine interessant sein dürfte.

Sakaev und sein Team arbeiten, anders als auf dem Cover angekündigt, weniger mit vollständigen Partien als mit Partiefragmenten. Aber da diese Fragmente gut erläutert werden, fällt es leicht, die Unterschiede zwischen einzelnen Zugfolgen und die Idee vieler Züge zu verstehen. Der Text ist durchweg in gut verständlichem Englisch gehalten, das mir zwar an der einen oder anderen Stelle etwas verdächtig vorkommt – aber da dies auch für mein Englisch gilt, bleibt es bei einem Verdacht. Und schließlich ist dies kein Sprachkurs.

Das Hauptgewicht der Darstellung liegt auf den langen und häufig forcierten Varianten, die nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7 7.Lc4 c5 8.Se2 Sc6 9.Le3 0-0 10.0-0 Lg4 11.f3 Sa5 entstehen. Mehr als die Hälfte des Buches widmet sich diesem Komplex, und auch wenn Sakaev betont, dass Schwarz nach seiner Überzeugung in diesen Varianten lebt, so macht er doch deutlich, dass sich die Stellung für Weiß einfacher spielt, weil er eben nicht bereits mit einem Fuß im Grab steht. Die weißen Angriffsideen werden gut dargestellt und leicht eingängig aufgearbeitet. Zwar werden die schwarzen Ressourcen nicht verschwiegen, aber es bleibt schwierig für Schwarz. Wer nicht bereit ist, als Schwarzer Zeit und Mühe in diesen Variantenwust zu investieren, der wird es schwer haben, die Stellung zusammenzuhalten. Denn anders als die Weißen muss Schwarz jede Menge einzige Züge finden (oder kennen) – was passieren kann, wenn man dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. führt Sakaev deutlich vor Augen.

Da ich Grünfeld-Indisch als Schwarzer spiele und nicht derartig viel Zeit und Muße habe, fiel mein Auge naturgemäß auf die Nebenvarianten, insbesondere auf das System mit 8. – Sc6, das Aargaard als vollwertige und verhältnismäßig theoriearme Alternative darstellt. Und hier hat Sakaevs Buch leichte Schwächen. Zwar haben die Verfasser große Mühe auf die Hauptvarianten verwandt, aber dabei die Nebenvarianten vernachlässigt. Hier sind Aargaards Betrachtungen von Aargaard ausführlicher und objektiver. Aber dieser Mangel fällt nicht allzu schwer ins Gewicht, denn den weißen Aufbau kann man mit diesen Varianten nicht widerlegen.

Ein anderer Mangel von Sakaevs Buch ist der zu kurz geratene Variantenindex, der einen gerade in den Hauptvarianten mühsam suchen lässt. Ein Literaturverzeichnis fehlt komplett. Das bedeutet natürlich nicht, dass andere Quellen nicht genutzt wurden – nur wurden sie einfach nicht angegeben.

Aber dennoch: Alles in allem eine gelungene Darstellung über die Abtauschvariante mit Lc4, Se2 und Le3. Insbesondere die klare, mit zahlreichen Beispielen illustrierte, Darstellung der weißen Angriffsideen dürfte vielen Weißspielern als Inspiration dienen und für die eine oder andere vergnügliche Stunde am Brett sorgen. Die Nachlässigkeit bei den Nebenvarianten und dem Literaturverzeichnis mag zwar – wissenschaftlich betrachtet – stören, trübt den positiven Gesamteindruck jedoch nicht nennenswert. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die bereit sind, etwas Zeit in den Kampf gegen Grünfeld-Indisch zu investieren.