EDITORIAL
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
jeder, der sich im Wettkampf misst, ist irgendwann einmal Außenseiter. Das muss nicht unbedingt ein entscheidender Nachteil sein, worauf schon Mark Twain hinwies: „Es kommt nicht auf die Größe des Hundes im Kampf an, sondern auf die Größe des Kampfes im Hund.“
In diesem Heft werden wir uns den unterschiedlichen Facetten des ungleichen Kampfes widmen. Und zeigen, dass die Rolle des Underdogs auch Chancen bietet. Das weiß auch Matthias Blübaum, der sich im September beim Grand Swiss in Samarkand sensationell für das Kandidatenturnier qualifiziert hat. In unserem Interview spricht er darüber, wie sich seither sein Leben verändert hat, wie weit er mit seiner Team-Vorbereitung ist, welche finanziellen Anforderungen damit einhergehen, und welche Ziele er sich setzt, obwohl er als Außenseiter ins Rennen geht.
Lajos Portisch war Jahrzehnte einer der besten Spieler der Welt. Schwächen hatte er wenige, eine aber war, dass er immer wieder Probleme gegen deutlich schlechtere Gegner hatte, Spieler, die am Tabellenende standen. Im Interzonenturnier haben ihn diese Ausrutscher die eine oder andere Kandidatenturnierteilnahme gekostet, wie Mihail Marin berichtet.
Auch die Polgárs waren Außenseiter. Das einzigartige Erziehungsprojekt der Eltern wurde von den kommunistischen Funktionären, die der Familie immer wieder Steine in den Weg legten und sie erst spät unterstützten, kritisch beäugt. László Jakobetz, der in den Achtzigern den drei Geschwistern als Sparringspartner diente, berichtet über ein pädagogisches Erfolgsmodell und den Triumph der 14-jährigen Zsófia 1989 in Rom, der als einer der besten Turnierleistungen in die Annalen eingegangen ist.
Schach war von jeher ein Spiel, das auch die Devianten angezogen hat, besonders in Wien in den Kaffeehäusern. Michael Ehn widmet sich vier ganz unterschiedlichen Vertretern des Prekariats seiner Stadt. Obwohl all diese Existenzen stets etwas Unnahbares haben und sich nicht ins bürgerliche Leben integrieren lassen, sind ihre schachlichen Leistungen zuweilen beeindruckend.
Auch die Besten waren einmal Außenseiter, als sie am Anfang ihrer Karriere standen. Doch einigen wenigen ist es gelungen, diese Rolle des Unterschätzten bei ihrem ersten internationalen Auftreten, das oft von Widerständen anderer Teilnehmer begleitet wurde, zu nutzen, um gleich ganz groß herauszukommen, wie man im Beitrag „Vom Underdog zum Superstar“ nachlesen kann.
Bleibt noch, all unseren Lesern ein entspanntes Weihnachtsfest und einen geruhsamen Jahresausklang zu wünschen!
Harry Schaack
