WIE DONNERHALL
Maurice Ashley ist eine der schillerndsten Figuren der Schachszene. Als Spieler war er der erste Afroamerikaner, der Großmeister wurde. Als Kommentator führte er einen Stil ein, der im Schach bis dahin unbekannt war. Bei der WM in Singapur machte er die Anmoderation der Partien und führte durch die Pressekonferenzen – auf seine ganz eigene Art. Harry Schaack sprach mit dem 58-Jährigen.
So etwas hatte man bei einer Schach-WM bislang noch nicht vernommen. Vor jedem Partiebeginn stellte Maurice Ashley die Spieler, die er Gladiatoren nannte, so vor, wie man es von Michael Buffer bei Boxkämpfen kennt. Und jedes Mal hieß es: „Let the game begin!“
„Für mich ist Schach aufregend, Schach ist ein Sport“, sagt Ashley. „Ich habe eine respektable Spielstärke und kann nachvollziehen, wie die Spieler leiden, unter welcher Anspannung sie stehen, welche Ängste sie haben. Das ist ein Preiskampf, ein Match, bei dem es um zweieinhalb Millionen Dollar geht. Es ist alles andere als eine ruhige Schachpartie. Wenn man ein solches Match verliert, ist man psychologisch angeschlagen. Vielleicht sogar, wenn man es gewinnt. Für mich ist das ein Kampf der besten Gladiatoren der Welt. Und ich behandele sie als solche. Wenn ich sie vorstelle, dann weiß ich, was für sie auf dem Spiel steht. Für mich ist die Art, wie ich das tue, nicht übertrieben. Der Ausgang des Matches wird das Leben und die Karriere der Spieler verändern. Deshalb sollte es mit dem Rummel angekündigt werden, den es verdient.“
Ashley kommt aus einer außergewöhnlich erfolgreichen jamaikanisch-amerikanischen Sportfamilie. Sein Bruder ist dreimaliger Kickbox-Weltmeister, seine Schwester mehrfache Box-Weltmeisterin. Alle drei haben es in ihrem Sport in die Hall of Fame gebracht. „Wann immer jemand in unserer Familie etwas tut, dann geht es um Spitzenleistungen.“
Doch das WM-Match war selbst für Routinier Ashley etwas Besonderes. Vor ein paar Jahren hatte er mit dem Kommentieren aufgehört. „Es war nach über dreißig Jahren nicht mehr so interessant für mich. Aber als ich die Gelegenheit bekam, zu diesem Match wieder zurückzukommen, habe ich sofort zugegriffen. Jetzt schaue ich mir die WM als Fan an, aber aus der ersten Reihe.“
Selbst für den medialen Profi Ashley waren die Pressekonferenzen gelegentlich herausfordernd. Ding sprach sehr leise, machte lange Pausen zwischen den Sätzen und beantwortete Ashleys Fragen bisweilen ungenau oder ausweichend. Aber Ashley kennt Ding schon lange, „such a nice guy“. Bei Turnieren der Grand Chess Tour hat er ihn mehrfach interviewt und beide haben eine Passion für Basketball. Ashley kennt Dings Stil. „Wenn Ding meine Fragen nicht genau beantwortet, ist es nicht ganz einfach für mich, weil ich immer herausfinden muss, ob er mir absichtlich ausweicht, oder ob er mich nicht richtig versteht. Das ist ein schmaler Grat.“ Denn wenn Ashley zu sehr insistiert, könnte das Publikum denken, er sei zu hartnäckig und setze die Spieler unter Druck. „Ich denke, Ding antwortet authentisch, wenn er die Fragen richtig versteht. Aber es gibt für ihn diese Hürde der englischen Sprache.“ Wie respektvoll Ashley mit den Spielern umging, sah man, als er Ding in der Pressekonferenz nach dessen Niederlage in der 14. Partie früher entließ und klatschend verabschiedete.
Während die Partien gespielt wurden, war Ashley als „Celebrity“ für das Entertainment im VIP-Raum und in der Fanzone zuständig, gelegentlich kommentierte er mit Houska und Howell den Livestream.
Nachdem sich Ashley vor zwei, drei Jahren vom Kommentieren zurückgezogen hatte und nicht mehr so sehr im Rampenlicht stand, war er nicht untätig. Er hat Chessable-Kurse gemacht, schrieb zwei Bücher über Lebenserfahrungen am und neben dem Schachbrett, und jetzt ein drittes als Co-Autor, eine Graphic Novel über das Kasparow – Deep Blue-Match 1997, das er damals als Moderator präsentierte. Zudem gibt Ashley Business-Lektionen und hält Vorträge für renommierte Firmen.
Im Moment liegt ihm ein Projekt besonders am Herzen: Er trainiert afroamerikanische Talente, damit sie Großmeister werden. „Das ist meine Leidenschaft, es ist eine Mission für mich.“ Immer noch gibt es keinen schwarzen Spieler, der es in die Weltspitze geschafft hat. „Schach hat in der schwarzen Kultur keinen großen Stellenwert. In Afrika fehlt die Infrastruktur und in den USA ist Schach einfach nicht populär. Durch die Netflix-Serie Damengambit hat sich das etwas geändert. Aber mit Schach kann man nicht viel Geld verdienen. Doch jetzt gibt es mit dem 15-jährigen Brewington Hardaway ein großes Talent, einen schwarzen Hoffnungsträger, der gerade seine letzte GM-Norm gemacht hat.“