EDITORIAL
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
trotz zahlreicher kritischer Stimmen im Vorfeld wurde die Weltmeisterschaft zwischen Ding und Gukesh ein gewaltiger schachsportlicher und medialer Erfolg. Durch seinen Sieg trug sich Gukesh als jüngster klassischer Weltmeister an erst 18. Stelle in die Annalen der WM-Chronologie ein. Sein Erfolg unterstrich eindrucksvoll die momentane Vorrangstellung Indiens, dem Land, das 2024 bereits Doppel-Olympiasieger wurde.
Das Match in Singapur, mit dem ein neuer Zeitabschnitt im Weltschach beginnt, zeigt, dass sich die schachliche Dominanz mehr und mehr in den Süden der Weltkugel verlagert. Die letzten drei WM-Kämpfe fanden alle in Asien statt. Und erstmals kamen beide Kontrahenten aus diesem Kontinent.
Der Matchverlauf war außerordentlich spannend, weil alle Prognosen schon nach der ersten Partie nichtig waren. Statt eines einseitigen Kampfes entwickelte sich die Auseinandersetzung zu einem munteren Schlagabtausch, einem Hin und Her, bei dem das Momentum ein ums andere Mal wechselte. Das plötzliche Ende kam einer Antiklimax gleich. Als Ding mit einem plötzlichen Knalleffekt in der letzten klassischen Partie einzügig eine Remisstellung in eine Verluststellung verwandelte, stand ganz Indien Kopf.
Nach dem Match enthüllte Gukesh, dass Vincent Keymer in seinem Sekundantenteam war. Weil viele eröffnungstheoretische Ideen des Deutschen in Singapur aufs Brett kamen, hat er dem Match seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt.
Der Wettkampf zeigte, wie wichtig mentale Vorbereitung auf eine solch intensive, wochenlange Auseinandersetzung ist. Als wir uns in unserem letzten Heft 3/24 mit dem Schwerpunkt Psychologie damit beschäftigten, wurde deutlich, dass viele Spitzenspieler diesen Aspekt vernachlässigen. Gukesh gehörte nicht dazu, denn er betonte mehrfach, wie wichtig die monatelange Arbeit mit seinem Mentaltrainer Paddy Upton gewesen ist.
Im Rahmen einer WM gibt es stets zahlreiche Nebenschauplätze. Nicht nur nehmen die gesamte Welt und die besten Spieler via Social Media an einem solchen Ereignis teil. Auch vor Ort haben die Zuschauer Gelegenheit, mit vielen Prominenten in Kontakt zu treten. Darüber hinaus gibt es etliche Leute, die hinter den Kulissen dazu beitragen, dass ein solches Event erfolgreich über die Bühne geht. Mit einigen dieser Menschen haben wir für dieses Heft gesprochen. Die Partienanalyse besorgt Großmeister Mihail Marin.
Noch ein Wort in eigener Sache: Ein Heft über eine WM zu machen ist immer ein Vabanquespiel. Im Internet wird darüber zeitnah und ausführlich informiert. Doch eine nachgelagerte Berichterstattung hat den Vorteil, zum einen viele Aspekte, die erst nach dem Match bekannt werden, mit zu berücksichtigen und zum anderen ein Ereignis vom Ergebnis her zu betrachten und zu beurteilen, und nicht aus dem momentanen Geschehen heraus, wie es in den tagesaktuellen Meldungen geschieht. Zudem hat KARL das Match in Singapur aus nächster Nähe verfolgt und dadurch auch die Atmosphäre mitbekommen, die eine WM unvergesslich macht.
Da unsere Druckerei „zwischen den Jahren“ geschlossen hatte, ließ es sich nicht vermeiden, dass diese Ausgabe später als sonst erscheint.
Harry Schaack