EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

der Springer ist wohl die seltsamste Figur auf dem Schachbrett. Er mäandert über die 64 Felder und kann andere Figuren überspringen. In diesem Heft versuchen wir, den Geheimnissen und Eigenschaften dieser mysteriösen Figur auf die Spur zu kommen.

Mihail Marin beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den Stärken der Springer. Diese Figur profitiert zwar am meisten von der Zentralisierung, aber in vielen Abspielen der Eröffnungstheorie erfüllt sie auch am Rand ihren Zweck. Marin widmet sich auch der Kraft des Springerpaares, das im Verbund viele Felder abdeckt. Ein Thema, das in der Literatur bislang weitgehend vernachlässigt wurde.

Der Fokus von Erik Zude liegt dagegen auf dem schlechten Springer in Eröffnung und Mittelspiel. Nicht selten wird das stolze Ross zum lahmen Gaul, der hinter seiner eigenen Bauernstruktur gefangen ist. Oft entscheidet aber nur ein einziges Tempo über Wohl und Wehe des Springers, wie Zude an einigen prägnanten Beispielen zeigt.

Karsten Müller beschäftigt sich mit Springerendspielen, die neben den Bauernendspielen, mit denen sie gerne verglichen werden, die geringste Remistendenz aufweisen. Dem Zugzwang kommt besondere Bedeutung zu, weil ein Springer kein Tempo gewinnen kann.

Yochanan Afek zeigt aber, dass dies in der magischen Welt der Studien gelegentlich doch irgendwie gelingen kann. Zudem präsentiert der israelisch-niederländische Kompositionsgroßmeister in vielen Beispielen das idealtypische Zusammenspiel des Springers mit anderen Figuren, die gemeinsam zu einer fürchterlichen Waffe werden und originelle Mattnetzte knüpfen können.

Auch die Form des Springers unterscheidet sich in der konventionellen Darstellung deutlich von den anderen Steinen, weil sie realitätsnah das Pferd nachahmt. Unser Bild vom Springer ist maßgeblich von den Staunton-Schachfiguren geprägt, die 1849 in London in den Handel gelangten. Marc Loost hat sich viele Jahre mit der Entstehung dieses Spiels beschäftigt und schildert, nach welchem Vorbild die Springer entworfen wurden und welche Rolle Staunton dabei spielte.

Der Rösselsprung, bei dem der Springer in einem Durchgang jedes Feld des Schachbrettes einmal betritt, ist ein altes mathematisches Problem, das schon von den Arabern im ersten Jahrtausend gelöst wurde. Herbert Bastian zeigt, wie es im 18. und 19. Jahrhundert wiederentdeckt und von Leonhard Euler und anderen systematisch erkundet wurde.

Jörg Hickl verabschiedet sich leider mit dieser Ausgabe als Karl-Kolumnist. Sein letzter Beitrag erinnert an Zeiten, in denen man noch seinen schweren Monitor zu Turnieren schleppte.

Bleibt noch, unseren Lesern ein beschauliches Weihnachtsfest zu wünschen, das in diesem besonderen Jahr bei vielen etwas anders als sonst aussehen wird.

Harry Schaack