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Ein Porträt des deutschen Großmeisters Alexander Donchenko

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Alexander Donchenko vor Pokalvitrine
Alexander Donchenko vor seiner Vitrine mit unzähligen Pokalen und Medaillen. (Foto: © Harry Schaack)

In Alexander Donchenkos Zimmer reicht die große Vitrine längst nicht mehr aus, die unzähligen Pokale und Medaillen zu verstauen. Die Preise werden immer größer und stehen nun schon auf dem Schrank. „Aber solche Probleme will man haben“, sagt der Vielspieler aus Gießen. Von der Intro­vertiertheit seiner Kindheit ist dem selbstbewussten jungen Mann heute kaum mehr etwas anzu­merken. Er scheint genau zu wissen, was er will, und geht seinen eigenen Weg. Dabei lag sein Fokus von jeher mehr auf der Verbesserung seiner Spielstärke als auf dem Streben nach Titeln. Seit seinem Abitur 2015 ist er Profi. Obwohl er bislang noch nicht im Nationalteam spielt, hat sich seine Strategie als erfolgreich erwiesen, denn der 21-Jährige ist in der Novemberrangliste mit einer Elo-Zahl von 2650 hinter Liviu-Dieter Nisipeanu die Nr. 2 in Deutschland und im September wurde er Deutscher Schnellschachmeister. Im Gespräch mit „Karl“ erzählt Donchenko von der Prinzengruppe, Trainingsmethoden und über seinen frühen Entschluss, Profi zu werden.

FAMILIE

Ich bin zwar in Moskau geboren, aber schon 2002 sind wir mit der ganzen Familie nach Deutschland ausgewandert. Meine Eltern waren nicht sehr zufrieden in Russland. Vor allem machte ihnen Sorgen, dass ich als Junge irgendwann meinen Dienst in der Armee leisten muss. Das kann in Russland ziemlich unangenehm werden. Es gibt sehr viele schlechte Geschichten darüber.

Deutschland war als Auswanderungsland eigentlich Plan B, denn wir hatten uns zunächst in Kanada beworben, wo meine Mutter und meine Schwester gerne hinwollten. Aber dann haben wir von Deutschland schneller eine Einreise­erlaubnis bekommen.

Als ich nach Deutschland kam, war ich erst vier Jahre alt. Ich war als Kind eher introvertiert. Dennoch würde ich sagen, dass ich in der neuen Heimat Deutschland gut zurechtgekommen bin. Ich hatte es von allen aus meiner Familie am einfachsten, denn in diesem Alter kann man noch sehr leicht eine fremde Sprache erlernen. Wir sind ziemlich schnell nach Gießen gezogen, in die Wohnung, in der wir bis heute leben. 2014 habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, die russische habe ich abgegeben.

SCHACHLICHE ANFÄNGE

Schach habe ich mit vier Jahren noch in Russland von meiner Großmutter erlernt, die in Smolensk wohnt. Mein Vater ist zwar Internationaler Meister, aber in meiner Familie spielt so ziemlich jeder Schach. Meine Mutter hat etwa Elo 2000, meine Schwester, die im Haus nebenan wohnt, hat 1600.

Anfangs war ich nicht sonderlich vom Schach angetan. Es war einfach eine Fertigkeit, die in unserer Familie dazugehörte. Obwohl ich schon früh das Spiel erlernt hatte, begann ich erst richtig zu spielen, als ich in der dritten Klasse war. Irgendjemand fragte mich, ob ich mit zu einem Jugendschachturnier fahren will. Ich sagte zu und meine Premiere war recht erfolgreich. Seitdem spiele ich regelmäßig. Das erste Langschachturnier, das ich gespielt habe, war die hessische U10-Meisterschaft 2006. Es war mein erstes Turnier mit Notationspflicht und ich holte 5,5/9. Die damaligen Partien habe ich noch heute.

Von da an spielte ich sehr viele Turniere, oft eintägige Veran­staltungen. Mit acht Jahren bin ich auch in den Schachverein Gießen eingetreten, wo mein Vater, der sein ganzes Leben lang Schach gespielt hat, schon seit mehr als zehn Jahren Mitglied ist. Mein erstes Turnier gewann ich am 6. Mai 2006 in Mainz. Dort habe ich auch meinen ersten Pokal bekommen und der steht natürlich bis heute in der Vitrine. Ich kann mich an diesen Tag noch sehr gut erinnern, denn ich fuhr mit meiner Mutter mit dem Zug dorthin. In Frankfurt mussten wir umsteigen, nahmen aber den falschen Zug. Glücklicherweise fuhr der nach Wies­baden, was nicht weit von Mainz entfernt ist, sodass wir ein Taxi nehmen konnten und ich noch rechtzeitig zu Turnierbeginn dort ankam.

Alexander Donchenko mit seinem ersten Pokal
Alexander Donchenko mit seinem ersten Pokal (Foto: © Harry Schaack)

 

Danach bekam ich meine erste DWZ, irgendetwas um die 800. In der Anfangsphase habe ich nicht wirklich am Schach gearbeitet. Ich habe keine Aufgaben gelöst, mir keine Partien angesehen und auch nicht mit meinem Vater trainiert. Aber ich spielte sehr viel und über das Spielen habe ich schnell gelernt.

Von früh an, auch als ich noch ein Kind war, habe ich immer darauf geachtet, Turniere zu spielen, die mindestens eine Kategorie über meinem Leistungsniveau lagen. Schon in meinem ersten Jahr, 2006, spielte ich erstmals ein Erwachsenenturnier, das ZMD Open in Dresden. Ich holte damals 1,5 Punkte aus neun Runden. Ich erinnere mich noch, dass ich in der letzten Runde Dame gegen Turm mit mehreren Bauern auf dem Brett hatte. Aber ich dachte, da geht nichts mehr und bot deshalb Remis an. (lacht)

ERSTE ERFOLGE

Das erste Ergebnis, das man als Erfolg bezeichnen kann, war meine Qualifikation für die Deutsche U10-Meisterschaft 2007, nachdem ich Dritter bei der Hessischen Meisterschaft wurde. Die hessische Jugend war schon damals sehr stark. Da waren Dennis Wagner und Jan-Christian Schröder dabei, die mittlerweile ebenfalls Großmeister sind. In der letzten Runde musste ich unbedingt gewinnen, um mich zu qualifizieren, was mir auch gelang. Aber beim Nachspielen der Partie habe ich später festgestellt, dass ich irgendwo einmal zwei Züge in Folge gemacht habe. Meinem Gegner war das aber während der Partie offensichtlich auch nicht aufgefallen. (lacht)

Bei Deutschen Jugendmeisterschaften herrscht immer eine besondere Atmosphäre, die ich sehr genossen habe. Bei meiner ersten Teilnahme 2007 habe ich noch nicht so toll gespielt. Ich landete bei 50%. Danach wurde ich in den hessischen Förder­kader aufgenommen. Daran erinnere ich mich noch ganz gut. Wir hatten regelmäßig Wochenenden, an denen sich die Leute zum Kadertraining trafen. Zuletzt leitete IM Stefan Reschke die Gruppe, der das ganz gut gemacht hat. Wir hatten immer viel Spaß und dort habe ich mich bis dahin wohl auch am intensivsten mit Schach beschäftigt.

PRINZENGRUPPE

Die Prinzengruppe wurde nach der Dresdner Schacholympiade 2008 am 1. Januar 2009 von Bernd Vökler ins Leben gerufen. Ich war nicht von Beginn an dabei, bin aber schon wenige Monate später dazugestoßen. Ich wurde aufgenommen, nachdem ich bei der Deutschen Meisterschaft 2009 gut gespielt hatte. Offenbar habe ich Vökler beeindruckt, als ich in der letzten Runde Rasmus Svane bezwingen konnte. Der war damals schon in der Prinzengruppe, zusammen mit Matthias Blübaum und Dennis Wagner. Weil ich ein Jahr jünger bin, war ich auch von meinem Leistungsvermögen noch ein Stück hinter den anderen. Bevor mich Vökler darauf ansprach, hatte ich gar keine Ahnung, dass es die Prinzengruppe gibt. Ich war damals erst zehn, elf Jahre alt.

Aus meiner Sicht war die Prinzengruppe eine fantastische Idee. Wir haben uns untereinander immer prächtig verstanden und tun es bis heute. Jedes Jahr hatten wir mehrere Lehrgänge und sind durch die intensive Arbeit auch irgendwie zusammengewachsen. Wir haben alle an einem Strang gezogen, weil wir dasselbe Ziel erreichen wollten. Das hat mich sehr motiviert. Und wenn jemand von uns Erfolge feiert, dann ist es nicht so, dass die anderen ihm das nicht gönnen. Wir haben das immer als Ansporn ver­standen. Diese Unterstützungsmaßnahme hat also eher unsere Gemeinsamkeit gestärkt, als unsere Konkurrenz gefördert. Ich kann heute alle aus der Prinzengruppe zu meinen Freunden zählen. Natürlich stehen wir auch irgendwie im Wettbewerb miteinander, aber nicht wie Karpow und Kortschnoi, sondern freundschaftlich.

14-jähriger Alexander Donchenko
Der 14-jährige Donchenko beim „Trans-Europa-Schachexpress“-Turnier der Deutschen Bahn im Potsdamer Kaiserbahnhof 2012 (Foto: © Harry Schaack)

Mit der Prinzengruppe gab es etwa sechs Mal im Jahr, meist fünftägige thematische Trainingssessions, zu denen Großmeister oder renommierte Trainer eingeladen wurden. Wir beschäftigten uns mit Eröffnungen oder mit komplizierten Stellungen, um die Variantenberechnung zu trainieren. Gelegentlich gab es Schnellturniere, meist haben wir jedoch gemeinsam analysiert.

Es gab einen Lehrgang, der mir sehr in Erinnerung geblieben ist. Damals war Chalifman eingeladen, und er machte der Reihe nach Einzeltraining mit uns. So lange er mit jemandem beschäftigt war, hatten die anderen Training mit Roman Vidonyak – allerdings mit der Besonderheit, dass wir die gesamte Session ohne Ansicht des Brettes durchführten: Wir spielten blind, analysierten blind und lösten alle Aufgaben und Studien blind. Es war ein sehr gutes Training, um das Vorstellungsvermögen zu verbessern. Damals waren wir elf oder zwölf. Das war sehr anstrengend, aber auch eine schöne Erfahrung. Man hätte uns allerdings vorwarnen sollen … (lacht) Nach dem Ende des Lehrgangs brauchten wir alle erst einmal eine Pause.

Bis zu ihrer Auflösung 2016 hatte die Prinzengruppe für uns nicht nur den Vorteil, kostenlos mit guten Leuten zu trainieren, sondern wir bekamen auch Freiplätze für die Deutsche Meisterschaft. Wir wurden bei Nominierungen oder wenn wir irgendwo Turniere spielen wollten, bevorzugt behandelt. Hinsichtlich der Förderung vom DSB ging es uns von der Prinzengruppe vermutlich besser als jedem anderen Jugendlichen. Uns allen hat das enorm geholfen. Heute muss ich dagegen meine Turniere aus meinen eigenen Einnahmen finanzieren.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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