NEUES ÜBER LASKER
Von Harry Schaack
Richard Forster, Michael Negele, Raj Tischbierek:
Emanuel Lasker, Vol. 1, Struggle and Victories.
World Chess Champion For 27 Years,
Berlin: Exzelsior Verlag 2018,
450 S., Hardcover, 55,- Euro
(Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise
von Michael Negele zur Verfügung gestellt.)
Weil kurz nach dem Abverkauf der großen Lasker-Monographie von 2009 viele neue Erkenntnisse hinzugekommen waren, entschloss sich Mitherausgeber Michael Negele schon 2013 zu einem neuen Lasker-Projekt, diesmal in englischer Sprache. Von den geplanten drei Bänden ist im Oktober mit finanzieller Unterstützung der Emanuel Lasker Gesellschaft der erste erschienen.
Zu den wesentlichen Neuentdeckungen gehören Forschungsergebnisse zur Herkunft Laskers, die in den Artikel über den familiären Hintergrund von Kamm und Lissowski eingeflossen sind. Dank neuer genealogischer Quellen konnte unter Mitwirkung Richard Forsters endlich geklärt werden, dass die Verwandtschaft zwischen Emanuel, dem Schachspieler Edward sowie dem Politiker Eduard weniger eng war, als noch 2009 angenommen. Emanuels Ur-Großvater, Dr. Eduards Ur-Großvater und Edwards Ur-Ur-Ur-Großvater waren Brüder.
Zur neuen Forschungslage hat auch die Veröffentlichung von Lasker-Briefen geführt, die sich im Besitz von David de Lucia befinden. Ein Teil ist nun durch eine Publikation zugänglich, andere Korrespondenz im Besitz des Sammlers wird wohl erst eine neue Generation auswerten können. Die Briefe an seine Frau werfen ein Licht auf Laskers ausgeprägten Idealismus und seine Engstirnigkeit bei finanziellen Forderungen, andererseits sind sie auch Belege ungewöhnlicher Generosität.
Durch den Zugriff auf Material der Sammlung Lothar Schmids fanden zahlreiche, bislang unveröffentlichte Fotos Eingang in das Buch. Eine weitere Quelle war eine Magisterarbeit, die auf Gesprächen mit Laskers Stiefenkelin und Nichte beruht, die einiges über den privaten Lasker verraten.
Die wichtigste Errungenschaft dieses neuen Projektes ist wohl die von Negele verfasste Biographie. Diese fehlende Klammer, die alle anderen Artikel miteinander verbindet, war das größte Manko der Monographie 2009. Der erste Teil bespricht die Zeit von Laskers Geburt 1868 bis zum Jahr 1901, in dem er das Schach zunächst aufgab, um eine akademische Karriere anzustreben und in dem der Tod seines Vaters eine Zäsur darstellt. Als Leitfaden dient das „biografische Mosaik“ von Laskers Frau Martha. Dabei wird deutlich, wie wichtig Lasker die Beziehung zu seiner Frau und zu seinem Bruder Berthold waren, die als Anker der Beständigkeit in einem unsteten Leben fungierten.
Negele stellt klar, dass trotz der mittlerweile fortgeschrittenen Forschung Vieles in Laskers reicher Biographie obskur bleibt, z.B. viele seiner Entscheidungen und die Motive dahinter. So stringent er auf dem Schachbrett agierte, so unsystematisch waren z.B. seine Versuche, eine akademische Stelle anzustreben.
In den im Vergleich zur Monographie bedeutend erweiterten und aktualisierten Beiträgen von Gillam und Hilbert zu Laskers Aufenthalten in Großbritannien und den USA wird klar, dass Lasker zwar immer wieder versuchte, in diesen Ländern Fuß zu fassen, letztlich die Gegenliebe der Länder aber immer verhalten blieb.
Gleichzeitig entfremdete er sich mehr und mehr von seinem Heimatland, wo die (ebenfalls schlechte) Presse ihn wegen seiner langen Abwesenheit 1908 im Match gegen Tarrasch gar nicht mehr als Deutschen anerkennt, sondern hofft, dass der „Praeceptor Germaniae“ den Titel „zurückholt“.
Für den Beginn seiner Karriere war England sehr wichtig. Lasker kam 1890 mit 21 Jahren und noch völlig unbekannt erstmals auf die Insel. Zu jener Zeit war London wegen der vielen starken Spieler der beste Platz für eine Profikarriere. Lasker gelang es, ein Match gegen den in die Jahre gekommenen Bird zu spielen, das er überraschend klar mit 7:2 gewann – sein erster großer Erfolg. Die englische Presse bezeichnet ihn als „next Morphy“. Aber wegen seiner fehlender Reputation und Geldmangel kam es erst 1892 zu seinem Durchbruch.
Mittlerweile hatte er seinen Wohnsitz nach London verlegt, wo er die britische Schachelite in einem Fünfer-Turnier besiegte und Blackburne 1892 in einem Wettkampf mit 8:2 deklassierte. In kurzer Zeit war Lasker in der Weltspitze angekommen.
Später machte sich Lasker in England wegen seiner von nationalistischem Ton getragenen, chauvinistischen Zeitungsartikel von 1914, die den Sieg Deutschlands im Ersten Weltkrieg prognostizierten, unbeliebt.
Nach seinen frühen Erfolgen in London strebte Lasker gleich den WM-Kampf an. Er reiste 1892 in die USA, doch es dauerte bis 1894, bis der Kampf mit Steinitz zustande kam. Die Presse beschrieb Lasker als überheblich, weil er sein Selbstbewusstsein vor dem Match deutlich zur Schau stellte. Selbst nachdem er Steinitz besiegt hatte, war die Presse zurückhaltend, weil er noch keinen einzigen bedeutenden Turniererfolg vorzuweisen hatte. Erst in St. Petersburg 1895/96 profilierte er sich als bester Spieler der Welt.
Ab 1902 lebte Lasker einige Jahre in den USA, veröffentlichte Schachmagazine und hatte eine einflussreiche Kolumne in der New York Evening Post. Die Medien kritisierten ihn zunehmend wegen seiner horrenden Forderungen. Andererseits wurde er bewundert für seine Umgangsart und seine Spielstärke, weshalb Laskers Reputation in den USA zwiespältig blieb.
Tischbierek widmet seinen Beitrag dem WM-Match Tarrasch – Lasker von 1908. Die beiden Antipoden begeisterten die Massen, weil sie so unterschiedlich waren: Wilhelminische Disziplin gegen Freigeist und Weltbürger, Amateur gegen Profi, bürgerliche Mittelklasse gegen Boheme. Tischbierek erkennt Parallelen zum Spasski-Fischer-Match in Rijkjavik 1972.
Lasker bereitete sich auf den Wettkampf akribisch, aber ungewöhnlich vor. Er spielte einen Simultanmarathon und Schaupartien. Drei Wochen vor dem Match zog er sich in den Grünewald zurück und spielte kein Schach mehr.
30.000 Zuschauer verfolgten den einseitigen Kampf, den Lasker mit 8:3 gewann. Tarrasch machte für seine Niederlage bekanntlich das „Düsseldorfer Seeklima“ verantwortlich.
Lasker hat auch Studien und Probleme komponiert. Autor Fleck meint zwar, das Lasker impulsiv komponiert und wenig auf die Ausarbeitung geachtet hat, aber zwei seiner Studien genügen höchsten Ansprüchen. Und Binnewirtz macht deutlich, dass die Problemkompositionen eher eine „intellektuelle Stimulation“ für den zweiten Weltmeister waren, nicht aber höheren Ansprüchen genügen.
Marin widmet sich dem Schachstil Laskers vor dem Ersten Weltkrieg und beschreibt ihn als universell. Er erkennt einige Parallelen zu Carlsen: eine ähnliche Ausdauer, Siege nach geringsten Vorteilen, Vernachlässigung der Eröffnung, stark im Mittel- und Endspiel, einfallsreiche Verteidigung.
Es mag verwundern, dass es Lasker bei seinem sonstigen Durchsetzungsvermögen auf dem Brett und bei Verhandlungen nicht geschafft hat, eine akademische Karriere als Mathematiker aufzubauen. Dabei ist Lasker bis heute durch das Lasker-Noether-Theorem in der Mathematik präsent und auch sein Beitrag zur Spieltheorie war bedeutend, wie Rosenthal zeigt.
Mit dem Fund eines gescheiterten Promotionsanlaufs in Heidelberg 1897 kann jetzt auch Laskers akademischer Werdegang nachvollzogen werden. Es wird deutlich, dass lange Unterbrechungen nicht nur für Laskers Schachaktivität kennzeichnend sind, sondern auch für seine wissenschaftliche Karriere.
Ulrich Dirr ist für das originelle Layout des Buches verantwortlich. Der breite Rand im Satzspiegel macht die Lektüre angenehm, allerdings gerät das Konzept bei Partien mit Diagrammen an seine Grenzen. Dirrs großes Verdienst ist die Bearbeitung der historischen Fotos, die nun wieder in bestem Licht erscheinen.
Die Herausgeber Negele und Forster präsentierten den ersten Band über den einzigen deutschen Weltmeister im Rahmen eines Lasker-Tages des SC Bayer Leverkusen am 13. Oktober im prächtigen Rahmen des Bayer-Casinos. Im gut besuchten Saal hielt Bewersdorff einen Vortrag über Laskers Spieltheorie und Negele warf einen Blick auf „Die Sphinx Emanuel Lasker“. Danach gab es Simultanveranstaltungen, ein Tombolaturnier und schließlich die ausführliche Vorstellung der druckfrischen Lasker-Bände, die die anwesenden Autoren signierten.