GEISTIGE BEWEGUNG
Über eine Podiumsdiskussion zum Thema „Sportsgeist – Geistessport? Das Schachspiel als Königliche Sportart“, die am 30. Oktober in der Evangelischen Akademie Frankfurt stattfand.
Von Harry Schaack
Die Evangelische Akademie Frankfurt organisiert regelmäßig in ihren schönen Räumlichkeiten am Römerberg Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, sei es zur Buchmesse oder im Rahmen eines halbjährlichen Schwerpunktthemas. Dabei steht nicht nur Religiöses im Mittelpunkt, sondern vor allem sozialrelevante Themen wie gerade eben „Sport“. Und da Studienleiter Eberhard Pausch als leidenschaftlicher Stratego-Spieler eine Affinität zu Geistesspielen hat, bat er mich, ihn bei einer Podiumsdiskussion zu Schach und Sport zu unterstützen. Ein Angebot, das man schwerlich abschlagen kann, denn wann gibt es schon einmal Gelegenheit, Schach in einer solchen Öffentlichkeit zu präsentieren. Schnell war neben dem Schachmagazin Karl auch der Deutsche Schachbund als Kooperationspartner mit im Boot.
Die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion versuchte zum einen, die Sportdefinition zu hinterfragen, und zum anderen, den Sonderstatus des Schachspiels zu klären. Deshalb repräsentierten schon die Teilnehmer unterschiedliche Aspekte des Schachs: Für den DSB sprach der Bundestrainer Dorian Rogozenco. Die Deutsche Frauenmeisterin von 2011 Sarah Hoolt stand für den Leistungssport und Ulrich Stock von der Zeit, der mit seinen Artikeln über die Schachweltmeisterschaften hunderttausende Leser erreicht, für die mediale Vermittlung. Die Kulturhistorik vertrat Prof. Dr. Ernst Strouhal, der 2010 den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik erhielt und mehrere Referenzwerke zur Geschichte und Kultur des Schachspiels veröffentlicht hat. Und Dr. Helmut Pfleger war nicht nur einst einer der besten deutschen Schachspieler und Schachmoderator fürs Fernsehen, sondern hat auch als Arzt zum Thema Leistungssport schachmedizinische Untersuchungen durchgeführt.
Darüber hinaus verfolgten einige Persönlichkeiten des deutschen Schachlebens wie Großmeister Klaus Bischoff, der Schachhistoriker Michael Negele oder der ehemalige DSB-Präsident Herbert Bastian die Diskussion als Zuschauer.
Für die meisten Schachspieler ist es vermutlich nicht wichtig, ob Schach als Sport verstanden wird, denn das ist nur eine seiner Facetten. Daneben gehören Wissenschaft, Ästhetik, Kunst so wie eine lange Tradition, die viele Anknüpfungspunkte bietet, zu diesem Spiel dazu. Für den Deutschen Schachbund ist die eindeutige Beantwortung dieser Frage aber elementar, denn davon hängt ab, ob er Fördergelder erhält oder nicht.
Eberhard Pausch nahm einige dieser Fragestellungen in seiner kurzen Begrüßungsrede auf. Danach setzte Ernst Strouhal in seinem Impulsvortrag Schwerpunkte, die die weitere Diskussion mitbestimmten, wie den alters- und geschlechtsunabhängigen Zugang zu diesem Spiel, die Dynamik, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Schachs sowie die damit zusammenhängenden Implikationen, die immer wieder neue Narrationen erlauben. Zudem betonte Strouhal, dass sich im gegenwärtigen Sportdiskurs die Definition stark verengt hat. Heute wird Sport meist mit Bewegung gleichgesetzt. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, wie sehr sich die Sportdefinition in ständigem Wandel befindet. Als mit dem Aufkommen des Bürgertums auch der Sport entstand, zählte Turnen zunächst nicht dazu. Andererseits gibt es heute eine Vielzahl an Sportarten, die einen ähnlich unsicheren Status haben wie Schach, etwa der Motorsport oder das Schießen.
Die heutige moderne Sportinterpretation, die auch vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) propagiert wird, versteht Körper und Geist als Einheit, die nicht aufgetrennt werden kann. Unter den 65 Sportarten, die im DOSB organisiert sind, befinden sich auch Minigolfsport, Darts oder Billard. Die Auflistung macht deutlich, dass Sportdefinition weniger durch Bewegung als vielmehr durch gesellschaftliche Konventionen bestimmt wird.
Aber das Schachspiel muss sich auch an der Spielefront behaupten. Eines der wichtigsten Sportkriterien ist jedoch der Ausschluss eines reinen Glücksfaktors, wodurch Spiele mit Würfeln und Karten ausscheiden. Zudem ist die Wettkampf- und Organisationsstruktur ein wichtiges Sportmerkmal. In dieser Hinsicht hat Schach einiges vorzuweisen, denn schon 1851 veranstaltete man in London das erste Internationale Schachturnier und bereits seit 1886 werden offizielle Weltmeisterschaften ausgetragen. Der DSB, gegründet 1877 in Leipzig, gehört zu den ältesten Verbänden im DOSB. Nur der Deutsche Turner-Bund (1848), der Deutsche Schützenbund (1861) und der Deutsche Alpenverein (1869) sind älter.
Dorian Rogozenco machte deutlich, dass in Deutschland Schach seit 1953 als Sport anerkannt ist – wie auch in fast allen anderen Ländern. In der Sowjetunion waren mehrere Schachspieler „Sportler des Jahres“. Und auch die „Hall of Fame des deutschen Sports“ hat 2008 den einzigen deutschen Schachweltmeister Emanuel Lasker in die Reihen herausragender Sportler aufgenommen.
Doch auch eine schon verliehene sportliche Anerkennung nutzt manchmal nichts. 2014 wollte das Bundesministerium des Inneren die Leistungsförderung an den DSB einstellen. Grund: Die fehlende „eigenmotorische Bewegung“ beim Denksport. Nach einigem Hin und Her hatte der BMI seine Meinung revidiert, dem Schach dann doch einen Sonderstatus zugestanden und die Förderung weitergeführt. Rogozenco erklärte, dass das Budget für den Leistungssport schon jetzt knapp bemessen ist und bereits durch die Kosten bei einer Schacholympiade stark unter Druck gerät.
Sarah Hoolt, die noch kurz vor der Veranstaltung in Batumi bei der Schacholympiade für die deutsche Nationalmannschaft im Einsatz war, gab einen Einblick in den Alltag einer Leistungssportlerin. Zudem betonte sie, dass Schach schon alleine wegen seiner vielen positiven Wirkungen im sozialen Miteinander und der leistungssteigernden Effekte, die sich z.B. im Schulschach zeigen, förderungswürdig ist.
Helmut Pfleger hatte sich der Frage, ob Schach Sport ist, schon Ende der siebziger Jahre gewidmet. Er führte mehrere schachmedizinische Untersuchungen an Schachspielern durch. Messung der Herzfrequenz, der Blutwert und anderes mehr korrelierten mit der Spielsituation und zeigten ähnliche Werte wie bei vergleichbaren Sportarten.
Ulrich Stock hat bei der Zeit das Problem, dass es in seinem Blatt kein Sport-Ressort gibt. Deshalb muss er sich für seine Schachbeiträge immer geeignete Plätze suchen, meist in der „Wissenschaft“. Er sprach über Probleme der medialen Vermittlung, weil Schach eine gewisse Expertise voraussetzt, und die kulturelle Dimension, die weit über das sportliche Ergebnis hinausweist. Schließlich kamen auch die Vermarktung des Schachs und die Rolle der Mäzene zur Sprache.
Ernst Strouhal wies auf die Resilienz des Schachs hin, dass sich über ein Jahrtausend lang gegen jeden historischen und gesellschaftlichen Wandel bewährt hat. Das Spiel war mit der höfischen Minne ebenso vereinbar wie mit der Technologie im 21. Jahrhundert. Es wurde in Kaffeehäusern genauso begeistert gespielt wie im Internet. Zudem erweist sich das Spiel auch als mögliche Antwort auf drängende Fragen der Gegenwart wie etwa als Teil einer Demenzprävention, worauf einige Untersuchungen hinweisen. Strouhal machte sich zum Schluss auch noch einmal für den „zweckfreien“ Spielcharakter des Schachs stark, der für einen Homo ludens einfach dazugehört.
Wenn es an diesem Abend so etwas wie ein Fazit gab, dann vielleicht, dass gerade die anachronistische Langsamkeit und die Entschleunigung ein Alleinstellungsmerkmal des Schachs sind, nach dem sich viele Menschen in einer immer schneller werdenden Welt sehnen.