VERBLÜFFEND

Von Harry Schaack

Simon Williams Most amazing moves Cover

Simon Williams,
Most Amazing Moves,
FritzTrainer Tactics,
ChessBase 2014, DVD,
Videospielzeit: 5:30 Stunden,
29,90 Euro

(Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von ChessBase zur Verfügung gestellt.)

Eine Engine sucht auch in sehr schlechten Stellungen nach dem objektiv besten Zug. Der Mensch sucht dagegen nach Chancen. Das wird an dem berühmten Springeropfer Spasskis deutlich, das er in einer perspektivlosen Stellung in den Playoffs der UdSSR-Meisterschaft 1956 gegen Awerbach spielte. Ein un­glaublicher Zug in einer unglaublich wichtigen Partie. Doch Spasski erkannte früh, dass er anders kein Gegenspiel erhält und ansonsten langsam zusammengeschoben wird. Ferner darf man die psychologische Wirkung seines Zuges nicht unterschätzen, ein Aspekt, der für Schachprogramme keine Rolle spielt. Schließlich gelang es Spasski, die Partie Remis zu halten.

Simon Williams präsentiert auf seiner neuen ChessBase-DVD Most Amazing Moves in 37 ungewöhnlichen Beispielen eine Galerie des Staunens. Sein Fokus gilt dabei den menschlichen Ideen. Oft sind es Züge, die ein Computer niemals vorschlagen würde. Der Autor stellt seine Beispiele als Taktiktest vor, bei dem der Benutzer zum Lösungszug aufgerufen ist. Allerdings führen nur die wenigsten Aufgaben zu forcierten Matts. Beim Großteil handelt es sich um intuitive Opfer, die mit langanhaltender Initiative verbunden sind. Meist sind es nicht allein die überraschenden Züge, die Staunen machen, sondern das strategische Konzept, mit denen sie verbunden ist. Es gilt daher, originelle Pläne aufzuspüren, weshalb Williams zum „Thinking out of the Box“ animiert.

Die Frage ist, was einen Zug schön macht. Ein Aspekt ist das Unerwartete. Frühe Königszüge im Zentrum, wie es Karpow gegen Kamsky in Dortmund 1993 tat; oder Königswanderungen bei vollem Brett, wie in der berühmten Kandidatenpartie zwischen Short und Timman in Tilburg 1991; Damenopfer gegen geringe materielle Kompensation, wie von Iwantschuk gegen Karjakin beim Amber 2008; oder Züge auf Felder, die scheinbar mehr als ausreichend gedeckt sind, wie Marshalls berühmter Damenzug vor die drei Königsbauern gegen Levitsky.

Die DVD erinnert einen daran, wie grandios trotz der heutigen Schachcomputer der menschliche Einfallsreichtum ist. Und er versichert uns auch, worin vermutlich immer unser Vorteil gegenüber künstlicher Intelligenz liegen wird. So ist Williams‘ DVD auch eine Verneigung vor der menschlichen Kreativität.

Natürlich muss eine Auswahl der verblüffendsten Züge der Schachgeschichte immer subjektiv sein. Etwas seltsam ist jedoch, dass Williams selbst in der mitgelieferten zusätzliche 50 Partien umfassenden Datenbank die Partie Topalow – Kramnik, Wijk aan Zee 2008 nicht berück­sichtigt. Dabei hatte es der spektakuläre Zug 12.Sxf7 seinerzeit sogar auf die Titelseite der FAZ gebracht …