Harry Schaack

EDITORIAL

LIEBE LESER,

als kürzlich in Brissago die Weltmeisterschaft im klassischen Schach stattfand, schien ein neues Zeitalter angebrochen zu sein. Nichts war zu spüren von einer Rivalität oder gar Feindschaft. Die Ereignisse konzentrierten sich letztlich ganz auf das Schachbrett. Menschliche Spannungen, die die Presse so gerne zu Themen ihrer Berichterstattung macht, blieben außen vor. Offenbar geht es auch anders. In unserem Interview mit dem Manager von Kramnik und Leko beschreibt Carsten Hensel das Verhältnis beider, resümiert den Wettkampf und spricht darüber, was Sponsoren heute von einem solchen Event erwarten.

Blickt man in die Schachgeschichte, so wird jedoch deutlich, dass die zum Teil verbitterte Konkurrenz zwischen führenden Spielern der Welt nicht selten Ansporn war, die eigenen Leistungen in neuen Höhen zu treiben. Besonders deutlich wird dies an den Rivalitäten zwischen Aljechin und Capablanca oder Karpow und Kasparow. Rivalität muss also nicht immer negativ konnotiert sein, wie auch der Münchner Großmeister Gerald Hertneck zu berichten weiß. Sein Aufstieg in die deutsche Spitze ist ohne Konkurrenz gar nicht denkbar. Sie trieb ihn an und ließ ihn immer weiter an der Verbesserung seines Spiels arbeiten.

Allerdings gab es in der Vergangenheit zahlreiche Konkurrenten, die ihre Animositäten in der Vordergrund stellten und zuweilen bis zur Unansehnlichkeit trieben. Die Art der Auseinandersetzungen konnte ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Wie Michael Negele mit dem „Tintenkrieg“ zwischen Steinitz und Zukertort zeigt, kann auch die Feder zu einem mächtigen Werkzeug werden. Diese in aller Öffentlichkeit ausgetragene publizistische Fehde schreckte selbst vor Beleidigungen und Spott nicht zurück.

Auch die beiden deutschen „Stars“ Lasker und Tarrasch verband eine tiefe Feindschaft. Ihre unterschiedlichen Schachauffassungen und ihr Führungsanspruch im Deutschen Schach führten bald zu persönlichen Differenzen, die in dem Ausspruch Tarraschs gipfelten: „Ihnen habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und Matt.“

Die Unversöhnlichkeit, die mit der sportlichen Auseinandersetzung einhergeht, hat bei Viktor Kortschnoi eine besondere Note gefunden. Mit freundlicher Genehmigung des Olms-Verlags geben wir einige Textpassagen seiner vor wenigen Tagen erschienenen Biographie wieder, die die Feindschaft mit seinem Antipoden Anatoli Karpow auf recht drastische Weise dokumentieren.

Dass nicht nur Spieler untereinander, sondern auch Veranstalter und Spieler in eine regelrechte Rivalität geraten können, zeigt der Machtkampf zwischen dem Organisator der Chess Classic, Hans-Walter Schmitt, und Garri Kasparow. Bei einer ominösen Pressekonferenz wäre der andauernde Streit beider fast in Handgreiflichkeiten eskaliert.

In unseren Rubriken stellt Peter Heine Nielsen seine Lieblingspartie gegen den Bulgaren Georgiew vor und zeigt, wie man Intuition und Taktik miteinander verbindet. Im Porträt berichtet Jörg Hickl über Sinn und Unsinn des Eröffnungsstudiums, die Schwierigkeiten eines deutschen Schachprofis, und die Krise der Bundesliga. Außerdem gibt es wie immer kurz vor Weihnachten viele Kritiken, um die Kaufentscheidung unentschlossener Leser zu erleichtern.

Schließlich müssen wir die bedauerliche Mitteilung machen, dass Johannes Fischer wegen privater Verpflichtungen mit der Ausgabe 3/04 letztmalig redaktionell für uns tätig war. Er wird uns aber als Autor erhalten bleiben.

Harry Schaack