ES GIBT NOCH VIEL ENTWICKLUNGSPOTENZIAL
Kaum zu glauben, aber manche Leute sehen in Mathias Feist und seinen Kollegen eine Bedrohung für das Schach. Denn der freundliche Hobbyspieler und ChessBase-Mitarbeiter ist einer der Schöpfer von Deep Fritz, dem Programm, das in Bahrein gegen Kramnik einen Wettkampf Unentschieden halten konnte. KARL sprach mit Mathias Feist über das Match, Strategien der Computerprogrammierung und die Zukunft des Schachs.
KARL: Mathias Feist, Sie haben Deep Fritz zusammen mit Frans Morsch programmiert und beim Wettkampf die Züge ausgeführt. Was war das für ein Gefühl?
MATHIAS FEIST: Das war super. Ein Traum ging in Erfüllung: acht Partien gegen den Weltmeister zu spielen. Natürlich habe ich mir die Züge nicht selber ausgedacht, aber die ganze Situation kommt dem doch sehr nahe. Bei der ersten Partie hatte ich starkes Lampenfieber, aber das hat sich im Laufe des Matches gelegt.
Das Match begann ja nicht so gut für Fritz. Wie war da die Stimmung im Team?
Das war natürlich unangenehm. Wir wollten versuchen, uns nicht völlig lächerlich zu machen. Die Berliner Verteidigung in der ersten Partie haben wir bewusst gespielt. Wir wollten einfach sicher in den Wettkampf starten und hatten nichts gegen Remis. Die zweite Partie lief dann schlecht. Fritz spielt 12….Lf8, aber hätte vermutlich noch im Turmendspiel Remis halten können – mit Tc8 – wenn er richtig spielt. Weiß gewinnt einen Bauern, aber der schwarze Turm steht sehr aktiv, was ein Remis sehr wahrscheinlich macht.
Die dritte Partie haben wir dann ebenfalls verloren und auch die vierte Partie war nahe am Abgrund. In der fünften Partie hat Fritz Kramnik überspielt: Weiß kommt mit Minimalvorteil aus der Eröffnung heraus und Fritz hat es geschafft, diesen Vorteil fest zu halten und sogar auszubauen.
Kramnik hat die Figur eingestellt, weil er unter Druck war. Er wollte das Damenendspiel 4:3 vermeiden und vergisst einen Moment lang, was er bereits berechnet hat. Ein typisch menschlicher Fehler. Frans Morsch hat geflucht, als Kramnik Dc4 gespielt hat. Er wollte richtig gewinnen und nicht durch einen Figureneinsteller, der eine schöne Partie entwertet. Nach dieser Partie wurde die Stimmung besser. Jetzt lagen wir nur noch einen Punkt zurück und damit konnten wir leben.
Viele Leute haben ja die Ansicht geäußert, Kramniks Erfolgsstrategie wäre gewesen, die Damen zu tauschen, und den Computer dann zu überspielen. Kann man so etwas wie das Vermeiden des Damentauschs programmieren?
Nein, wir haben ja nichts am Programm geändert. Das durften wir ja nicht. Das einzige, was wir geändert haben, ist, dass wir andere Eröffnungen gespielt haben. Allerdings hatten wir das Problem bereits vorher begriffen. Wir wollten schon in der dritten Partie nicht die Damen tauschen und in der vierten Partie auch nicht. Aber es ist uns nicht gelungen. Nur in der fünften Partie haben wir das geschafft.
Kramnik hätte wieder die Damen tauschen können, wenn er unbedingt gewollt hätte – aber er hätte eine deutlich schlechtere Stellung in Kauf nehmen müssen. In der ersten Hälfte des Wettkampfs traten die Schwächen von Fritz deutlicher zutage, weil Kramnik den Typ von Stellungen bekommen hat, den er wollte.
Wie erklären Sie sich den Einbruch von Kramnik in der zweiten Hälfte des Wettkampfs?
Ich würde nicht von einem Einbruch sprechen. In der sechsten Partie hat Kramnik die Dinge forciert. Er hat in der Pressekonferenz erklärt, dass er sich von dem Springeropfer einfach hat überwältigen lassen. Vor Se4 hat er 43 Minuten nachgedacht und in der Vorausberechnung zwölf Züge später in einer bestimmten Variante einen merkwürdigen Verteidigungszug übersehen. Einen wirklich seltsamen Zug. Es ist irre, was Kramnik gesehen hat, aber die Variante hatte eben ein klitzekleines Loch.
Der Fehler liegt nicht in Sxf7, sondern eher in der Matchstrategie. Anstatt mit einem Punkt Vorsprung im Match sicher weiter zu spielen, hat er sich auf so etwas eingelassen. Gut, wenn Kramnik gewonnen hätte, dann wäre er der Held gewesen. Er hätte aber auch versuchen können, grundsolide weiter zu spielen und diese Partie remis zu machen. Dann hätte vielleicht alles anders ausgesehen.
Mit welchem Ergebnis habt ihr denn vor dem Kampf gerechnet?
Mit einem Sieg von Kramnik. Dabei schwankten die Prognosen zwischen +1 für Kramnik, +2 und ganz pessimistische Naturen sagten sogar +3. Wir hätten nicht zu träumen gewagt, dass wir das 4:4 halten.
Wird es einen Revanchekampf geben?
Nächstes Jahr auf keinen Fall. Kramnik ist erst einmal beschäftigt: er spielt den Wettkampf gegen Leko, wohl auch mal wieder ein paar Turniere, und wenn er gegen Leko gewinnt auch den Wettkampf gegen Kasparow oder Ponomarjow. Im nächsten Jahr gibt es also keine Revanche, aber grundsätzlich scheint Kramnik nicht abgeneigt zu sein – und wir auch nicht.
Das Spiel des Computers machte vor allem in strategischer Hinsicht einen sehr gereiften Eindruck. Frühere Programme haben bei weitem nicht so gediegen gespielt. Was ist anders geworden?
Wir haben gerade daran im letzten Jahr viel gearbeitet. So gesehen hat uns die Verschiebung des Wettkampfs geholfen, weil wir das Programm noch einmal erheblich weiter entwickeln konnten.
Und wie macht man das? Das Problem der Schachprogramme war doch immer, langfristig Faktoren wie Bauernschwächen und sichere Königsstellung usw. bewerten zu können?
Das ist nicht mehr ganz so. Wie man gesehen hat, begreift Fritz solche Dinge in den meisten Fällen sehr wohl. So etwas muss man dem Programm erklären. Anhand der Bauernstrukturen, der Figurenstellung usw. Man lässt das Programm Partien spielen und schaut sich an, was das Programm richtig und was es falsch macht. Dann überlegt man, was man ändern und verbessern kann. Das ist wesentlich schwieriger, als das Programm taktisch gut zu machen.
Rechnet Fritz denn mit brutaler Kraft alle Möglichkeiten durch?
Um Gottes Willen, nein. Dann würden wir nicht annähernd diese Spielstärke erreichen. Die heutigen Programme sind alle hochselektive Programme, die sich nur einen ganz schmalen Teil des Suchbaums angucken. Die anderen Teile des Suchbaums werden weggeschnitten. Eine der Grundmethoden ist dabei die sogenannte Alpha-Beta Methode, mit der man tiefer in den Suchbaum eindringen kann.
Das Alpha-Beta Prinzip funktioniert folgendermaßen: nehmen wir an, wir befinden uns in der Grundstellung. Jetzt guckt sich das Programm alle möglichen Züge an 1.e4, 1.d4, 1.c4 usw, rechnet sie durch und erhält am Ende der Varianten eine Bewertung zurück. Z.B. eine Bewertung von +5 für 1.e4. Jetzt probiere ich 1.d4 und dann einen schwarzen Zug aus – beispielsweise 1…c5 – und stelle fest, dass dies am Ende nur eine Bewertung von +4 ergibt. Das ist schlechter als meine Bewertung bei 1.e4 und damit ist die Suche nach 1.d4 c5 abgeschlossen, weil ich weiß, dass 1.e4 auf jeden Fall der bessere Zug ist. Das ist dann ein Alpha-Schnitt, ein Beta-Schnitt ist das gleiche Verfahren, nur für die andere Farbe.
Dieses Alpha-Beta Programm nennt man heutzutage Brute Force. Natürlich gibt es noch sehr viel mehr andere Suchtechniken, z.B. den Null-Move. Die Idee dahinter ist, das Programm zwei Mal hintereinander ziehen zu lassen. Kann ich damit keinen Vorteil erringen, brauche ich mir den ersten Zug gar nicht weiter angucken, da er ohnehin Mist sind. Der Trick ist die Null-Move Suche mit einer geringeren Suchtiefe durchzuführen, um sie schneller zu machen. Ein Beispiel: Nach 1.e4 ziehe ich einfach noch einmal: 1.d4. Und in dieser Stellung rechnet der Computer normal weiter – so als ob dies eine originäre Stellung wäre. Und dann mache ich noch einen Null-Move und gucke damit, ob der Ausgangszug überhaupt etwas droht, d.h. eine gute Bewertung bekommt. Tut er das nicht, dann muss ich ihn gar nicht angucken. Wenn ich schon zwei Mal hintereinander ziehen darf, ohne in Vorteil zu kommen, fragt man sich, was ist, wenn Schwarz auch noch antworten kann. Allerdings führt das Null-Move Verfahren dazu, dass der Rechner manche gute Möglichkeiten übersieht. Aber man kommt zwei Suchtiefen tiefer in den Baum hinein – und das gibt einen enormen Spielstärkegewinn. Also ein kleiner Rückschritt mit viel Gewinn.
In Bahrein haben wir ungefähr drei Millionen Knoten pro Sekunde durchsucht. Drei Millionen Knoten heißt drei Millionen Stellungen. Die guten Großmeister schaffen ein bis drei Stellungen pro Sekunde. Deep Blue hat allerdings 200 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnet – durchschnittlich. Der Spitzenwert soll bei einer Milliarde Stellungen pro Sekunde gelegen haben. Aber den hat er kaum erreicht. Der Wert schwankte zwischen 100 und 130 Millionen. Diese Rechengeschwindigkeit relativiert sich jedoch durch die Suche. Ich bin sicher, unsere Suche ist um einiges besser als die von Deep Blue. Und unsere Bewertung war wahrscheinlich auch besser.
Wenn man sich die Entwicklung der Schachcomputer in den letzten fünfzig Jahren anschaut, ist die Spielstärkesteigerung gewaltig. Wie geht es in nächsten Jahren weiter? Wie stark werden die Computer noch?
Da ist noch viel Entwicklungspotenzial. Aber auch bei den Menschen geht es aufwärts. Diese Geschichte wird noch lange interessant bleiben. Auf der einen Seite haben wir die Fortschritte bei der Entwicklung der Schachprogramme; auf der anderen Seite lernen auch die Menschen. Ich habe den Eindruck, die Schachgroßmeister lernen schneller, was man machen muss, um einen Computer zu schlagen, als die Programmierer es schaffen, Schwächen zu eliminieren.
Was glauben Sie, wie der Wettkampf Kasparow – Deep Junior ausgehen wird?
Das bin ich schon mehrfach gefragt worden. Vor dem Kramnik-Match hätte ich ganz klar gesagt, Kasparow gewinnt. 4:2 oder so. Aber das Kramnik-Match hat mir doch zu denken gegeben. Schließlich sind die Junior-Leute auch nicht blöd. Aber ich denke doch, dass Kasparow 3,5:2,5 gewinnen wird.
Warum wird Kasparow gewinnen, Kramnik nicht?
Kasparow hat wieder dazugelernt, durch die Kramnik-Partien. Das können die Menschen besser als die Programme – aus den Partien anderer lernen.
Und was entgegnen Sie den Leuten, die glauben, der Schachcomputer würde das Schach kaputt machen?
Ich teile diese Meinung nicht. Wenn Programme so stark sind, dass sie die Menschen immer schlagen, wird es keine Wettkämpfe zwischen Menschen und Programmen mehr geben. Aber der Computer wird als Trainingshilfe und Analysewerkzeug, das sich jeder leisten kann, erhalten bleiben. Die aktuelle Fritz-Version kostet 50 Euro, die älteren Versionen sind sogar noch billiger und man kann sich, um Schach zu lernen, diesen Großmeister leisten, der einem bei der eigenen Arbeit hilft. Das gleiche gilt für die Datenbanken. Der Computer demokratisiert die Möglichkeit, Schach auf hohem Niveau zu lernen.
Und die Gefahr, dass das Schach durch die hochentwickelte computergestützte Theorie reizlos wird und nicht mehr spannend ist?
Auch hier ist der gegenteilige Effekt eingetreten. Vom Tod des Schachs hat schon Capablanca vor achtzig Jahren gesprochen. Aber was ist passiert seit die Computer bei der Analyse zu Hause mitmischen? Die großen Meister spielen nicht mehr die sicheren Schiebervarianten, die früher Mode waren. Heute spielen sie Varianten, die vor dreißig Jahren niemand zu spielen gewagt hätte. Die Großmeister trauen sich das, weil sie sich damit beschäftigt haben, weil sie Verständnis für diese Varianten entwickelt haben. Das hat das Schachspiel in einer unerwarteten Weise verändert.
Alexandra Kostenjuk hat kürzlich in einem Interview gesagt, sie kennt keine Computerpartie, die einen Schönheitspreis gewinnen könnte. Fällt Ihnen eine ein?
Was ist Schönheit? Für den Computer sind die schönsten Varianten die, die am schnellsten und effizientesten Material gewinnen und den Gegner matt setzen. Das ist nicht das menschliche Schönheitsideal. Computer haben schon einige gute Partien gespielt. Die 5. Partie Deep Fritz gegen Kramnik; oder die 2. Partie Deep Blue gegen Kasparow. Aber bislang gibt es erst relativ wenige Partien von Computern, die auf einem so hohen Niveau spielen. Und gemessen an dieser kleinen Menge sind doch schon einige sehr gute Partien gespielt worden.
Ich mag es, wenn Computer so spielen, wie in diesen beiden Partien: positionell, solide, strategisch. Ich liebe das positionelle Schach. Positionelles, grundsolides, logisches Spiel. Ich will, dass auch Fritz das kann.
Das Interview führte Johannes Fischer