Harry Schaack

EDITORIAL

LIEBE LESER,

nachdem das Duell Kramnik gegen Deep Fritz keinen klaren Sieger hatte, wird der Weltranglistenerste Garry Kasparow im Januar beweisen müssen, ob die menschliche Intuition der Rechenkraft des Computers überlegen ist. Aus Anlass dieser beiden aktuellen Wettkämpfe Mensch gegen Computer steht unser Heft ganz im Zeichen des Computerschachs. KARL wirft einen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines der kontroversesten und spannendsten Gebiete modernen Schachs.

Unser Interview mit Mathias Feist, einem der Programmierer von Deep Fritz, der die Ehre hatte, die Züge für Fritz in Bahrein auszuführen, reflektiert das Match aus Sicht des Programmierers.

Geleitet wurde die Begegnung in Manama von Enrique Irazoqui, einem Mann, der in Pasolini-Filmen als Jesus auftrat, von Franco verfolgt wurde, einen Doktortitel in Literatur besitzt, und dem Computerschach schon seit langem verfallen ist. Leontxo Garcia zeichnet die ereignisreiche Biografie des Spaniers in seinem Porträt nach.

Auch der Kampf zwischen Kasparow und Deep Junior wirft bereits seine Schatten voraus. Nachdem er schon zwei Mal verschoben wurde, soll er nun in Jerusalem und Jacksonville/USA ausgetragen werden. Mit Blick auf den Beginn des Matches in Jerusalem schickt Alon Greenfeld, der den Kampf in seiner Heimat kommentieren wird, Grüße aus Israel.

Welche Strategien Kasparow in dieser Begegnung anwenden sollte, könnte er von Ilja Smirin erfahren, der kürzlich gegen die stärksten Programme der Welt einen Wettkampf erfolgreich bestritten hat. Dass die Computer dem Menschen in taktischen Stellungen überlegen sind, widerlegt er in seiner Lieblingspartie.

Von allen sportlichen Aspekten abgesehen, wirft das Computerschach auch ganz andere Fragen auf. Computer werden nicht selten als Konkurrenz zur menschlichen Intelligenz gesehen, woraus sich ein ambivalentes und spannungsreiches Verhältnis ergibt. Die damit einhergehenden Befürchtungen sind nicht neu. Dies zeigt Ernst Strouhal anhand der Rezeptionsgeschichte des Türken von Kempelen.

Durch die Erfolge der Schachprogramme in den letzten Jahren sind auch die Programmierer mehr und mehr ins Rampenlicht gerückt. Sie scheinen einen ganz anderen Zugang zum Spiel zu haben. Meist sind sie selbst nicht sonderlich gute Spieler, mit ihren Geräten aber erreichen sie Weltmeisterstärke. Wie dieses Kunststück gelingt, erfährt der Leser in Artikeln über Chrilly Donninger und Feng-hsiung Hsu, dem Schöpfer von Deep Blue.

Als vor etwas mehr als 20 Jahren das Computerschach erste kommerzielle Erfolge feierte, waren die Geräte für die wenigsten eine Herausforderung. Und durch die starken Softwareprogramm nehmen die organisierten Schachfreunde die Brettcomputer kaum noch wahr. Dabei erleben sie wieder eine Blüte. Grund genug, in einer kleinen Bildstrecke den vielfältigen Erfindungsreichtum der Modellbauer der Anfangszeit zu dokumentieren.

Wir freuen uns, in dieser Ausgabe Eckhard Henscheid als KARL-Mitarbeiter begrüßen zu können. Der Satiriker und Titanic-Mitbegründer hat schon lange eine Zuneigung zum Schach. Um dort dauerhaften Ruhm zu ernten, nutzt er KARL für einen offenen Brief und einen Appell an die FIDE. Im Porträt spricht Rainer Knaak über die Schwierigkeiten, die Schachtalente in der DDR hatten, über seinen Optimismus beim Schach – und kommentiert eine Reihe glänzender Partien.

Unser ungewöhnliches Cover (Pressefoto: Manfred Rahs) zeigt eine Nachempfindung der Armmechanik des „Türken“, des berühmten schachspielenden Pseudoautomaten von Wolfgang von Kempelen aus 1769. Sie wird im Rahmen einer Hommage von Brigitte Felderer und Ernst Strouhal (Universität für angewandte Kunst Wien) in einer Ausstellung 2003/2004 zu sehen sein. Für die Aufnahmen, die auch den Artikel von Ernst Strouhal illustrieren, möchten wir uns bei allen Beteiligten bedanken.

Harry Schaack