UNVOREINGENOMMEN UND
ZUVERSICHTLICH

Am 20. Mai wurde Ingrid Lauterbach zur ersten Frau an die Spitze des Deutschen Schachbundes gewählt. Sie übernimmt die Verbandsführung in einer Zeit vielfältiger interner wie internationaler Probleme. HARRY SCHAACK besuchte die 63-Jährige Mitte September in Frankfurt und sprach mit ihr über die Bilanz der ersten vier Monate im Amt, die primären Aufgaben des DSB und Zukunftsziele.

Ingrid Lauterbach
Ingrid Lauterbach (© Harry Schaack)

(Das Interview ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 3/23.)

Erst relativ spät, kurz vor dem Kongress im Mai, verkündete Ingrid Lauterbach ihre Kandidatur um das höchste Amt des DSB-Präsidenten. Die Diplom-­Mathematikerin ist für die Cybersicherheit der Deutschen Bank in Deutschland zuständig, hat aber dieses Jahr ein Sabbatical genommen und wird nächstes Jahr in Pension gehen. Dadurch entstanden Zeitreserven, die sie nutzen will, um den DSB wieder in ruhigere Fahrwasser zu bringen.

Eine Unbekannte ist die Internationale Meisterin der Frauen nicht. In den achtziger Jahren war Lauterbach die erste Frauen-Aktivensprecherin im DSB. 1990 nahm sie mit dem deutschen Frauenteam an der Schacholympiade teil. Seit sie 1993 ihren Lebensmittelpunkt beruflich nach Großbritannien verlegt hatte, spielte sie für den englischen Verband, für den sie im Juli mit der Ü50-Mannschaft Frauen-Europameisterin wurde.

HARRY SCHAACK: Frau Lauterbach, ist es ein Vorteil, jetzt als jemand von außen das Amt des DSB-Präsidenten anzugehen, als jemand, der nicht in die Querelen der jüngeren Vergangenheit involviert war?

INGRID LAUTERBACH: Es hat Vor- und Nachteile. Einerseits kann ich frische Ideen und neue Sichtweisen einbringen. Auch andere im Vorstand sind neu in dieser Funktion wie etwa Vizepräsident Sport Prof. Dr. Jürgen Klüners. Andererseits kennen wir einige Sachverhalte nicht so tief wie jemand, der schon länger dabei ist und manche Fragen vielleicht schneller beantworten kann.

Eigentlich lief es im Mai auf dem Kongress auf eine Kampfabstimmung um das höchste Amt des DSB hinaus. Aber der einzige andere Anwärter, Wadim Rosenstein, zog seine Kandidatur zurück, nachdem Sie sich zur Wahl gestellt hatten. Es war zu lesen, dass seine erste Begegnung mit „dieser überzeugenden Gegenkandidatin“ den Ausschlag für seinen Rückzug gegeben habe. Kennen Sie genauere Gründe?

Natürlich nicht. Wir hatten vor dem Kongress lediglich gemeinsam an einem Zoom-Meeting mit 20 anderen Leuten teilge­nommen. Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass man in diesem Rahmen „so“ überzeugend sein kann. Daher nehme ich an, dass es andere Gründe für seinen Rückzug gab.

Hatte die Kandidatur Rosensteins Ihre Entscheidung, sich zur Wahl zur stellen, beeinflusst?

Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich weitere Personen um das Amt bewerben, ohne dass ich kandidiere. Das ist nicht passiert. Aber schon aus demokratischen Gründen ist es gut, mehr als einen Kandidaten zur Wahl zu haben. Ein Präsident Rosenstein wäre aus meiner Sicht nicht der optimale Weg für den DSB gewesen. Ich glaube, er wusste nicht, auf was er sich dort eingelassen hätte, und kannte vielleicht auch die Strukturen des DSB nicht aus­reichend. Ich spiele jetzt schon seit über 50 Jahren Schach im Verband und mir liegt der DSB am Herzen. Es ist wichtig, dass der Schachbund in schwieriger Zeit seine Funktion effektiv wahrnehmen kann.

Sie waren die einzige Kandidatin und haben 191 Ja-Stimmen bei 6 Nein-Stimmen und 22 Enthaltungen bekommen – ein glänzendes Ergebnisse. Entsprach dies Ihren Erwartungen?

Ich war mir vor der Abstimmung nicht sicher, was auf mich zukommt. Mich hätte es auch nicht gewundert, wenn sich kurz­fristig noch ein weiterer Kandidat zur Wahl gestellt hätte. Ich hatte im Vorfeld natürlich versucht, mich bekannt zu machen, habe mit Landesverbänden gesprochen und dort auch Zu­stimmung erhalten. Aber Kongresse haben eine eigene Dynamik und haben sich in der Vergangenheit schon öfter anders ent­wickelt, als es die Beteiligten erwartet haben.

Was bedeutet es Ihnen, die erste Frau an der Spitze des DSB zu sein?

Nach 146 Jahren ist es an der Zeit, eine Frau an der Spitze dieses Verbandes zu haben. Aber natürlich habe ich mich nicht zur Wahl gestellt, weil ich die erste Frau in diesem Amt sein wollte, sondern weil ich davon überzeugt bin, die vielen Probleme lösen zu können. Langfristig müssen natürlich mehr Frauen in den Verbänden Aufgaben übernehmen. Gerade eben ist in Sachsen-Anhalt Claudia Meffert zur neuen Präsidentin gewählt worden. Es wäre schön, wenn meine Position andere dazu ermuntert, sich aktiv einzubringen, und ich als Vorbild fungiere.

Sie spielen im Moment für den englischen Schachverband. Wie gut sind Sie mit der deutschen Schachszene vernetzt?

Sehr gut. Auch als ich in Großbritannien gelebt habe, spielte ich nicht nur für den englischen, sondern auch für den deutschen Verband in verschiedenen Vereinen in der Frauenbundesliga und bin jetzt für den SV Hofheim gemeldet. Seit 2021 bin ich Fide-­Schiedsrichterin, wodurch ich auch diese Szene sehr gut kenne. Und da ich meinen Mann Klaus Bischoff seit vielen Jahren zu Mannschaftskämpfen in der Bundesliga begleite, bin ich auch dort gut vernetzt und habe als Zuschauerin vermutlich so viele Partien wie niemand sonst in der höchsten deutschen Spielklasse live verfolgt.

Die Amtszeit Ihres Vorgängers Ullrich Krause war durch viele Konflikte, vor allem rund um Personalien, geprägt. Krause hat aufgrund des immensen Arbeitsaufwandes dafür plädiert, die bislang ehrenamtliche Aufgabe des Präsidenten zu professionalisieren. Wie stehen Sie dazu?

Ich hätte die Aufgabe nicht wahrnehmen können, als ich noch voll berufstätig war. Schon jetzt ist das Amt mit einem erheb­lichen Zeitaufwand verbunden. Aber das kann ich gut abbilden, weil es meine persönliche Situation im Moment hergibt.
Wenn man das Amt des Präsidenten als Vollstelle einrichtet, hat man höhere Kosten und doch keine Gewissheit, ob der Job gut erledigt wird. Wenn die falsche Person gewählt wird, gibt es trotz der höheren finanziellen Belastung starke Reibungsverluste, wie man bei anderen Verbänden sehen kann. Die Frage ist weniger, wie das Amt ausgestaltet wird, als vielmehr, ob die Person, die sich für das Amt zur Verfügung stellt, genügend Zeit hat und dafür geeignet ist.

Was sind die Ergebnisse der ersten vier Monate Ihrer Amtszeit?

Zum Zeitpunkt des Kongresses gab es einige vakante Positionen, von denen wir die wichtigsten mittlerweile besetzen konnten, so etwa den Fide-Rating-Officer mit Andreas Klein. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn sich für diese anspruchsvolle und arbeitsintensive Aufgabe niemand gefunden hätte, denn die gesamte Turnierauswertung und die Vergabe der Fide-IDs hängt davon ab.
Auch für Online-Schach haben wir mit Christian Kuhn jemanden gefunden, der nun auf Lichess Turniere unter dem Team „Deutscher Schachbund“ aufgesetzt hat, wo wir innerhalb von drei Wochen über 1000 Mitglieder gewonnen haben.
Das drängendste Problem des DSB, das uns auch noch einige Zeit begleiten wird, sind die Finanzen. Wir hatten gerade eine lange Sitzung dazu. Seit dem Kongress sind zusätzliche negative Effekte hinzugekommen. Zum einen eine Steuernachzahlung für das Jahr 2021, zum andern hat das Bundesministerium des Inneren (BMI) einen Teil der bereitgestellten Mittel für 2022 wieder zurück­gefordert. Um die Haushalte 2023-2025 zu verabschieden, haben wir einen außerordentlichen Kongress für den 8. Dezember einberufen.

Lässt sich schon absehen, wie groß der Schaden ist? Hat der eingesetzte Finanz-Untersuchungsausschuss mit Alexander von Gleich und Dr. Matthias Kierzek schon Ergebnisse gebracht?

Im Moment deutet nichts auf eine Unterschlagung hin. Die Schieflage entstand wohl, weil man nicht ausreichend kontrolliert hat. Weil die tatsächliche Finanzlage nicht klar war, hat man Geld bewilligt, das gar nicht vorhanden war – aber zu satzungsgemäßen Zwecken.

(Das Interview ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 3/23.)