ARBEIT AN DER ZUKUNFT

KARL sprach mit dem ehemaligen WM-Kandidaten und Juniorenweltmeister Artur Jussupow über deutsche Talentförderung, die Prinzengruppe und Vincent Keymer.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 3/20.)

Artur Jussupow
Artur Jussupow (Foto: © Harry Schaack)

KARL: Wie beurteilen Sie die Talent­förderung im DSB? Was fehlt in Deutschland, um wieder einen Weltklassespieler hervorzubringen?
ARTUR JUSSUPOW: Wir haben zwar mit Vincent Keymer ein Supertalent in Deutschland. Er ist aber meines Erachtens kein Produkt unseres Förderungssystems, sondern eine Zufallserscheinung. Um alle paar Jahre aussichtsreiche Talente zu produzieren, gibt es bei uns einige strukturelle Probleme. Deutschland zählt zwar zu den führenden Verbänden der Welt, aber einige Dinge sind hier viel schlechter organisiert als anderswo. So fehlt es bei der Leistungsförderung an einer funktions­fähigen Syste­matik. Leistungsschach wird in Deutsch­land immer noch stiefmütterlich behandelt.

Woran liegt das?
Das Hauptproblem ist durch die jüngsten Entwicklungen verschärft worden. Nachdem sich die Deutsche Schachjugend auf dem letzten DSB-Kongress als eigenständig vom Deutschen Schachbund abgesondert hat, fragt man sich, wer jetzt eigentlich für das Leistungsschach im Jugendbereich verantwortlich ist. Die Zuständigkeit liegt irgendwo zwischen diesen beiden Verbänden. Beide Organisationen sollen sich um dieselbe Sache kümmern, weshalb die Probleme vorprogrammiert sind. Die Deutschen Meisterschaften veranstaltet die Schachjugend, aber zu den WMs und den EMs werden sie vom Schachbund geschickt. Das Kadersystem ist beim Schachbund, aber die Unterstufen werden von den einzelnen Ländern verwaltet. Dadurch kommt es zu Kompetenz­gerangel und Konkurrenzdenken, Inter­essenskonflikten bei den Trainern, den Vereinen, den Verbänden – das führt zu einem Kampf um die Talente.

Der DSB hat doch 1999 ein Leistungssport­konzept vorgelegt, das alle zwei Jahre fortgeschrieben und angepasst wird?
Es gibt ein Leistungssportkonzept und das ist nicht schlecht. Es versucht, die Zuständig­keiten von oben bis auf die Kreis- und Vereinsebene hinunter zu definieren. Aber zu meinem Erstaunen habe ich festgestellt, dass Leute auf Bezirks­ebene überhaupt keine Kenntnis von diesem Positionspapier haben. Die wissen nicht, wie sie Talentsichtung machen sollen. Es gibt zwischen den oberen und den unteren Stellen keine ausreichende Kommunikation. Man hat also ein Konzept, aber man macht sich keine Mühe, es auf allen Ebenen zu etablieren.

Sie engagieren sich schon seit vielen Jahren in der deutschen Jugendarbeit.
Als ich 1990 von Russland nach Deutschland übersiedelte, wurde ich von meinen Kollegen, meinem Verein Bayern München, dem DSB und der Nationalmannschaft sehr, sehr gut aufgenommen. Dies hat mir den Start in diesem Land erheblich erleichtert. Und jetzt will ich etwas von dem, was ich damals erfahren habe, wieder zurückgeben. Ich will weitergeben, was ich von meinen Lehrern Mihail Botwinnik und Mark Dworetski gelernt habe.
Meine Motivation ist rein ideell, eine Herzens­sache. Um die Förderung der Kinder voranzubringen, gründeten wir eine gemeinnützige GmbH. Meine Frau und ich bringen ehrenamtlich sehr viel Zeit dafür auf, aber wir können nicht alles umsonst machen, weil wir auch Auslagen und Nebenkosten haben. Dafür brauchen wir einen bestimmten formellen Rahmen. Mittlerweile habe ich einen weiteren Trainer angestellt. Bei einer gGmbH kann man keinen Profit machen. Alle Einnahmen werden in die Firma und somit in die Förderung der Kinder reinvestiert.

Mit Ihrer Schachschule gGmbH haben Sie seit 2017 eine Kooperation mit dem DSB, mit der Absicht ganz junge Talente früh zu entdecken und zu fördern.
Wir hatten eine Kooperation mit dem DSB, die gerade beendet wurde. Nach anfänglichem Interesse gab es jedoch bald nur noch eine geringe Unterstützung, weshalb ich nicht mehr glaube, dass man es von Verbandsseite ernst meint. Anfangs hat der DSB ein paar Mal über uns berichtet, aber zuletzt gar nicht mehr. Letztes Jahr veranstalten wir einen Aufnahmelehrgang und luden auch unsere Partner ein. Aber vom DSB oder von der DSJ ist niemand gekommen.

Und wie hätte die Zusammenarbeit ausgesehen, wenn es gut gelaufen wäre?
Wir wollten in unseren Projekten gezielt die ganz Jungen fördern. Ich hatte gehofft, dass man uns vom DSB einige talentierte Kinder schickt. Mit einigen Bundes­ländern habe ich gute Verbindungen, aber oft sieht man uns einfach als Konkurrenz. Trotzdem war das Projekt ein Erfolg, weil endlich einmal die Thematik angesprochen wurde. Auf der Landesverbandsebene hat man nun angefangen, U8-Talente zu suchen und Meisterschaften durchzu­führen. Dieser Idee haben sich auch Landesver­bände angeschlossen, die zuvor strikt dagegen waren.

Welche Ziele haben Sie sich anfangs für dieses Projekt gesetzt?
Wir haben unsere weitgesteckten Ziele nicht erreicht, denn unser Traum war, Welt- und Europameister hervorzubringen. Immerhin haben wir vier Kinder in den deutschen Kader gebracht. Einige sind Deutsche Meister geworden und haben Medaillen bei den EU-Meisterschaften gewonnen.

Wie müsste eine effektive Leistungs­förderung aussehen?
Es ist weniger wichtig, welche Struktur man hat. Entscheidend ist, die Struktur mit Leben zu erfüllen. Und daran mangelt es im Moment. Das vorliegende Leistungs­konzept macht einen guten Eindruck. Wie effektiv es wirklich ist, wissen wir aber nicht, denn es ist nie richtig umgesetzt worden. Erst wenn dies geschehen ist, kann man versuchen, Prozesse an der einen oder anderen Stelle zu verbessern. Für einen besseren Austausch wäre es auch hilfreich, wenn man eine Trainer­kom­mission einrichten würde, die es bis heute im DSB nicht gibt – was erstaunlich ist.

Welche Methoden wendet Ihre Schachschule an, welche Philosophie steht dahinter?
Wir wollen mit der Leistungsförderung schon bei sehr jungen Kindern beginnen. Eine gezielte Förderung kann man meist im Verein nicht leisten, weil es dort ja auch um Breitenförderung geht. Wir bieten professionelles Training, Betreuung der Jugendlichen bei Turnieren und wir organisieren Lehrgänge und Turniere. Künftig wollen wir auch regional aktiver werden und uns in Schulen engagieren, aber die Gespräche dazu sind noch nicht abgeschlossen.

Hat man in Deutschland mit dem Schulschach nicht schon einiges erreicht?
Leider ist Schulschach trotz einiger großer Erfolge noch nicht flächendeckend eta­bliert. Die Situation in den Landkreisen ist sehr unterschiedlich. Horst Leckner hat fantastische Arbeit in seinem Kreis Miesbach gemacht, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber wenn man die Kreisgrenze überschreitet, sieht es sofort anders aus. Die Verantwortlichen in den Bezirken haben zumeist gar keine Kenntnis davon, wer an welcher Schule Schach-AGs anbietet. Und deshalb gelingt es oft auch nicht, diese Spieler in die Vereine zu bringen. Ich wohne in Schwaben, einem großen Bezirk mit fast 1,9 Millionen Einwohnern, wo es in der DWZ-Liste nicht einmal 50 Kinder in der U12-Altersklasse gibt. Das ist sehr, sehr wenig. Dort müssen wir uns be­mühen, wenn wir flächendeckend starke Jungendliche hervorbringen wollen.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Arbeit mit talentierten Kindern?
Wenn man mit Kindern arbeitet, muss man erst einmal mit den Eltern eine Vertrauensbasis aufbauen. Die Eltern sind ein Schlüsselproblem. Viele machen immer wieder die gleichen Fehler hinsichtlich der Erwartungen und der Einschätzungen ihrer Kinder. Aber das ist nicht ver­wunderlich, denn sie sind unerfahren und haben meist keine Ahnung vom Schach. Wenn sie dann von verschiedenen Leuten unterschiedliche Meinungen hören, wissen sie irgendwann nicht mehr, wem sie vertrauen sollen. Der Erfolg hängt letztlich nicht alleine vom talentierten Kind, sondern auch von einigermaßen vernünftigen Eltern ab. Deshalb muss man ein funktionierendes Team aus dem Kind, dem Trainer und den Eltern formen.

Lassen Sie uns auf den DSB zurück­kommen. Der hatte vor einigen Jahren mit den Prinzen ein besonderes Förderprogramm auf den Weg gebracht. Wie beurteilen Sie dieses Projekt rück­blickend?
Das Prinzenprojekt des DSB war sehr, sehr erfolgreich. Eine wirklich gute Initiative des Verbandes. Damals gab es sechs sehr talentierte Kinder, die eine spezielle Ausbildung bekamen und viel erreichten: Filiz Osmanodja wurde zweimal in ihrer Alters­klasse WM-Zweite, Hanna Marie Klek einmal. Und Matthias Blübaum, Alexander Donchenko, Rasmus Svane sowie Dennis Wagner haben sich zu führenden Spielern unseres Landes entwickelt.
Ich habe aber ein bisschen Zweifel, ob das jetzige Kadersystem ebenso effektiv sein kann. Weil die Prinzengruppe so gut funktioniert hat, sollte man sich überlegen, ob man nicht aus den Kadern die Crème de la Crème herausnimmt und intensiv unterstützt. Eine Idee wäre vielleicht, kleinere Teams zu formen, die dann als Nationalmannschaften fungieren und diese dann stärker zu fördern. Mittlerweile werden Wettbewerbe für Jugendnationalteams in den Altersklassen U12-U18 ausgetragen. Diese Jugendlichen könnte man dann auch intensiv auf diese konkreten Turniere vor­bereiten. Will man starke GMs oder gar Weltklassespieler hervorbringen, muss man sich auf einige wenige konzentrieren. Eine Intensivförderung ist ein wahnsinnig aufwändiger Prozess. Es bedarf großer finanzieller Investitionen und viel Zeit. Aber das bringt Ergebnisse, wie die Prinzen­gruppe gezeigt hat.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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