DEM PLAYMATE UNTERLAG ER

Über den Hamburger ZEIT-Reporter und
Karl-Kolumnisten Wolfram Runkel
(*24.10.1937 †19.7.2019)

VON ULRICH STOCK

Wolfram Runkel
Wolfram Runkel (Foto: Mona Li Schmidt)

Wolfram Runkel, der zuletzt für Karl jahre­lang Kolumnen schrieb, schlägt kein Schachbuch mehr auf, und in meine Trauer mischt sich Unglaube: 81 soll er gewesen sein? Ja, doch, klar, er war ja schon lang in Rente. Aber wann immer ich ihn in Hamburg irgendwo traf – auf der Weihnachtsfeier der Zeit-Redaktion, beim Betriebsschach oder im Wartezimmer von Dr. Heinen –, stets zeigte er sein sprühendes Interesse, seine heitere Lebendigkeit. Ein „Talent zum Jungbleiben“ attestiert ihm sein Freund und Kollege Christof Siemes im Nachruf unserer Wochenzeitung.

Wolfram, aufgewachsen in Duisburg, studierter Jurist, kam 1971 ins Pressehaus am Speersort, und er wurde gewiss nicht eingestellt, weil er Schach spielen konnte. Es zeigte sich aber bald, dass er neben seinem Faible für Irland und komplex Literarisches (James Joyce) noch eine weitere Passion hatte: das Königliche Spiel und wohin es sich entwickelt. 1973 wagte er als erster Deutscher einen Selbstversuch im Drei-Personen-Schach, das ein amerikanischer Bootsbauer gezimmert hatte. 1976 sah er den plötzlich schachblinden Robert Hübner im Bieler Interzonen­turnier das Recht zur WM-Herausforderung verspielen. 1985 saß er im Salzburger Café Mozart der schönen Meisterin Brigitta Cimarolli gegenüber, die es von der Klosterschülerin bis zum Playmate gebracht hatte. Er unterlag ihr in 42 Zügen.

Oft tauchte er über Wochen ab und in die Schachwelt ein, Berichte durchtelefonierend oder faxend, die möglicherweise mehr Leser fanden, als man in der Redaktion annahm. Aber Resonanz war damals noch kein Kriterium: Die Journalisten schrieben über das, was sie interessant fanden. So hat Wolfram Runkel im Alleingang das Thema Schach in einem großen deutschen Printmedium etablieren können. Vergleichbares ist nur dem Fernsehredakteur Claus Spahn mit der Sendereihe Schach der Großmeister gelungen, die bis 2005 im WDR zu sehen war.

Wolframs Pionierleistung hat einiges ausgelöst. Frederic Friedel beschreibt in seinem Nachruf, wie er „am 28. Juli 1978“ auf den Zeitmagazin-Artikel „Schach sagt der Computer“ aufmerksam wurde. Die Lektüre über die ersten mattsetzenden Elektronen­gehirne sollte sein Leben verändern und zur Gründung von ChessBase führen. Als Verneigung vor dem Autor und späteren Freund hat Friedel den 41 Jahre alten Text jetzt übersetzt und auf die englische Webseite seiner Firma gestellt – die Welt soll teilhaben.

Der Frankfurter Organisator Hans-Walter Schmitt hatte 1992 in der Zeit über einen jungen, lichtschnellen Inder gelesen, den „geheimnisvollsten Stern am internationalen Schachhimmel“, und sich von der Begeisterung des Autors anstecken lassen. Schmitt holte Viswanathan Anand zu zwei Simultanvorstellungen an den Main und betreute ihn in acht WM-Kämpfen. Noch heute sind sie Nachbarn in Bad Soden, wo der Inder eine Wohnung hat. „Niemals werde ich den Artikel und den Typen Wolfram Runkel vergessen!!“, schreibt mir Schmitt, mit gleich zwei Ausrufezeichen.

Ein Typ, ja, das war er, im besten Sinne. Jemand, der seine Eigenheiten nicht verleugnete, sondern lustvoll lebte. Ein paarmal war er verheiratet, ein paarmal nicht, sechs Kinder hatte er; auch das überrascht manchen, weil Wolfram bei aller Nähe, die er im Nu mit Wildfremden herzustellen wusste, sehr diskret sein konnte.

Das letzte Vierteljahrhundert lebte er, Kontrapunkt zu seiner Geselligkeit, allein in Övelgönne, jenem Uferweg an der Elbe, in der er schwimmen ging, täglich oder mehrmals täglich. Wasser war ihm ein Elixier. Er verbrachte viel Zeit am Strand, in den letzten Wintern auf Gran Canaria. Leute lernte er überall kennen, deshalb konnte er gut allein bleiben, jeden Tag mit einer Meditation und etwas Qi Gong beginnend. Er übte sich seit je streng darin, das Dasein mit allen Widrigkeiten anzunehmen.

In seinen letzten Monaten war er zermürbt ob einer Tortur, die ihn von Klinik zu Klinik führte und in den Rollstuhl zwang. Manches Mal mochte er nicht mehr. Aber dann wieder, erzählt sein Sohn Finn, habe er gesagt, diese schwere Krankheit, aus der man nicht mehr herauskommen kann, dieser Weg zum Tod hin, das sei eine sehr interessante neue Lebenserfahrung.

Ulrich Stock ist Schachreporter der „Zeit“.
Von Wolfram Runkel erschien 1995 „Schach – Geschichte und Geschichten“. Lesenswert sind auch seine 1990 erschienenen Sozialreportagen „Besonderes Kennzeichen: Deutsch“ mit knallharten Schwarzweißfotografien von Dirk Reinartz. Beide Werke sind antiquarisch leicht erhältlich.