WEDER FAUL NOCH FEIGLING

Von Harry Schaack

Sosonkos Evil-Doer Cover

Genna Sosonko,
Evil-Doer: Half a Century with Viktor Kortchnoi,
Elk and Ruby 2018,
Paperback, 314 S.,
26,95 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Viktor Kortschnoi ist einer der Giganten der Schachgeschichte. Er wurde zwar nie Weltmeister, kämpfte aber 30 Jahre lang um den Titel. Doch so filigran Kortschnoi auf dem Brett operierte, so grob agierte er in seinem sozialen Umfeld. Viele enge Freundschaften sind im Laufe seines langen Lebens zerbrochen. Genna Sosonko, der in seiner Jugend in Leningrad in derselben Straße wohnte wie Kortschnoi, war bis zuletzt eng mit diesem schwierigen Charakter verbunden. Mit Evil-Doer ist nun ein Buch mit Sosonkos warmherzigen und doch ungeschönten Erinnerungen erschienen. Der zwölf Jahre jüngere Sosonko schildert Kortschnoi schonungslos mit all seinen Fehlern. Einmal heißt es: „He was in his element in stand-offs, conflicts and struggles.“

Sosonko erzählt nicht chronologisch, sondern in thematischen Episoden. Er beginnt mit dem Antrag auf politisches Asyl, den Kortschnoi nach einem Simultan 1976 in Amsterdam stellte. Es war dieses außerordentliche Ereignis, das Kortschnois Leben mehr prägte als alles andere. Die Entscheidung zur Emigration war sehr schwierig, weil Kortschnois Frau und sein Sohn in der UdSSR blieben und mit Repressalien rechnen mussten. Die enge Verbundenheit zwischen dem Autor und Kortschnoi kommt auch daher, weil beide das Schicksal eines Abtrünnigen teilten. Sosonko hatte die UdSSR schon 1972 verlassen.

Kortschnoi war nicht der einzige Dissident, wohl aber einer der prominentesten. Während Größen wie der Balletttänzer Nurejew in der Sowjetunion einfach nicht mehr erwähnt wurden, konnte man Kortschnoi nicht ignorieren. Er war im Sport erfolgreich und schließlich durch seine beiden WM-Kämpfe in der aktuellen Berichterstattung allgegenwärtig. Doch die Presse versah ihn mit wenig schmeichelhaften Attributen, eines davon, Evil-Doer (Übeltäter), gab dem Buch den Titel.

Die Probleme für Kortschnoi begannen, nachdem er sich nach dem Kandidatenfinale 1974 nicht nur negativ über seinen Gegner Karpow, sondern auch despektierlich gegenüber den Verantwortlichen äußerte. Daraufhin durfte er ein Jahr nicht mehr im Ausland spielen.

Nach seiner Flucht litt Kortschnoi unter starker Paranoia, versteckte sich, öffnete niemandem die Tür. Aber er hatte, wie auch andere sowjetische Großmeister ein (illegales) Konto im Ausland, was ihm den Neuanfang erleichterte.

Kortschnoi war 45, als er sich absetzte. Doch erst 1977-78 erreichte er den Zenit seiner Laufbahn. Diese nochmalige Leistungssteigerung im Alter hing vielleicht auch mit seiner neu ge­wonnenen Freiheit zusammen, meint Sosonko.

Aber nachdem er übergelaufen war, verstärkte die UdSSR den Druck. Sie boykottierten sieben Jahre lang Turniere, an denen Kortschnoi teilnahm. Deshalb luden die Veranstalter den damaligen Weltranglistenzweiten nicht mehr ein. Erst nachdem Kortschnoi keine Bedrohung mehr für die UdSSR war, entspannte sich die Lage.

Seine Zähigkeit ließ Kortschnoi auch diese Zeit überstehen. Er war kein Wunderkind, obwohl er das Spiel schon mit sechs Jahren erlernte, sondern ein harter Arbeiter, der nach dem Wettkampf dürstete. Neben seinem Kampfgeist war Kortschnois Energie am Schachbrett unvergleichlich. Endlose Analysen, ohne zu ermüden, zermürbten selbst seine meist jüngeren Sekundanten und Trainingspartner. Eben diese Hartnäckigkeit und Ausdauer unterschied ihn von allen anderen, schreibt Sosonko anerkennend. „Sei nicht faul und sei kein Feigling“ war das Credo Kortschnois.

1978 siedelte Kortschnoi in die Schweiz über, wo er seine zweite Frau Petra Leeuwerik lebte. Die gebürtige Wienerin war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Zone wegen angeblicher Spionage verhaftet worden und hatte zehn Jahre in einem Arbeitslager in der UdSSR verbracht. Es war der Hass gegen die Sowjetunion, der beide innig verband.

Sosonko war mit Kortschnoi seit 1968 eng befreundet. Allerdings gab es auch zwischen ihnen eine Phase, in der sie wegen einer Nichtigkeit über Jahre hinweg nicht mehr miteinander sprachen. Sosonko bezweifelt mit etwas Sarkasmus, dass Kortschnoi überhaupt Freunde im eigentlichen Sinne hatte – außer seinen Schachfiguren, denen er auch im Rollstuhl noch treu geblieben ist.

Evil-Doer ist mal humorvoll, mal tragisch – auch weil der Protagonist nicht aus seiner Haut kann. Sosonkos empathische Geschichten, die Kortschnoi sowohl in seiner existenziellen Beschränktheit und Größe zeigen, bringen dem Leser das Mysterium dieses großen Schach­spielers ein wenig näher.