OHNEGLEICHEN
Die Mannschaftsweltmeisterschaft in Havanna 1966 ist als die vielleicht prachtvollste Schacholympiade in die Geschichte eingegangen. Spieler und Presse lobten die Veranstaltung in höchsten Tönen. Dabei hatte man dem jungen kubanischen Staat die Organisation zunächst gar nicht zugetraut. Ein Rückblick von Harry Schaack.
(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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Kein Zweifel: Die Tage vom 23. Oktober bis zum 20. November 1966 sind den Teilnehmern der XVII. Schacholympiade in Havanna unvergesslich geblieben. Vermutlich war sie die aufwändigste Veranstaltung ihrer Art. Sie hat in vielerlei Hinsicht unübertroffene Maßstäbe gesetzt, die bis dato für Schachveranstaltungen völlig unbekannt waren. Für die junge Republik um Fidel Castro und Che Guevara wurde diese erste internationale Bewährungsprobe ein Prestigeobjekt, dem sich nahezu der gesamte Staat unterordnete.
VORGESCHICHTE
Als in Kuba 1966 die Schacholympiade stattfindet, ist das Land schachlich kein unbeschriebenes Blatt mehr. Zwar waren die Zeiten des dritten Weltmeister José Raúl Capablanca schon lange vorbei und die in der Hauptstadt ausgetragenen Weltmeisterschaften Steinitz – Tschigorin 1889 und 1892 sowie Lasker – Capablanca 1921 schon fast vergessen. Nach dem Tod Capablancas war Schach bedeutungslos geworden. Erst nachdem 1958 der kubanische Diktator Fulgencio Batista gestürzt wird und die Revolutionäre um Fidel Castro und Che Guevara, beide begeisterte Schachspieler, die Macht übernehmen, beginnt das kubanische Institut für Körperkultur, Sport und Erholung („INDER“) Anfang der sechziger Jahre, das Spiel entschlossen zu popularisieren. Seit 1960 nimmt Kuba wieder regelmäßig an Olympiaden teil.
Massensimultanspiele werden zu einem wichtigen Mittel, Schach zu verbreiten. Schulen werden 1961 und 1962 mit 20.000 Brettern ausgerüstet und Schachtrainer ausgebildet, die von Ort zu Ort ziehen, um zu unterrichten. 1959 melden sich lediglich 470 Schachspieler zur Landesmeisterschaft an, 1965 sind es 40.000. Schach wird zum Vorzeigeprojekt. Mit den Capablanca-Gedenkturnieren – eine Idee Che Guevaras – gibt es in Kuba von 1962-1965 wieder große internationale Veranstaltungen mit Weltklassebesetzung. Medienwirksam ist das Turnier 1965, weil Bobby Fischer teilnimmt, obwohl ihm wegen der angespannten diplomatischen Verhältnisse die Einreise vom Außenministerium der USA verweigert worden war. Er sitzt im Marshall Chess Club in New York und seine Züge werden nach Havanna telegrafiert.
Che Guevara wird es sehr bedauert haben, dass er bei der Krönung seiner Schachinitiative 1966 nicht in Kuba sein konnte. Er kämpfte bereits mit der Nationalen Befreiungsarmee ELN in Bolivien, wo er nur ein Jahr später sterben sollte.
Obwohl das Land erst seit wenigen Jahren aus seinem schachlichen Dornröschenschlaf erwacht war, entscheidet die Regierung, eine Mammutveranstaltung wie die Schacholympiade zu stemmen. Beim Kongress 1964 stimmt die FIDE trotz einiger Zweifel im Vorfeld der Bewerbung Kubas zu. Die Organisatoren orientieren sich bei der Ausrichtung im Vorfeld an der Leipziger Olympiade von 1960, die ebenfalls ein großer Erfolg gewesen war. Für die junge kubanische Nation ist es eine gute Gelegenheit, sich nach außen zu präsentieren. Und damit dies gelingt, werden keine Kosten gescheut.
ORGANISATION
Die Organisation der XVII. Schacholympiade ist eine konzertierte Aktion der gesamten einheimischen kubanischen Wirtschaft und kostet mehrere Millionen DM. Das Nationalinstitut INDER ist maßgeblich für die Durchführung der Veranstaltung verantwortlich. Schon zwei Jahre zuvor, nachdem die FIDE die Schacholympiade nach Kuba vergeben hatte, beginnen die Vorbereitungen. INDER sorgt für die gesamte Abwicklung der Olympiade, kümmert sich um Reise, Verpflegung, Unterbringung, Nebenveranstaltungen und „Verschönerung der Hauptstadt und anderer Orte in der ganzen Republik“. Die einheimische Industrie produziert für die Olympiade spezielle Artikel. INDER rekrutiert 1000 Freiwillige und bildet sie fast ein Jahr lang zu Schiedsrichtern, Dolmetschern und Helfern aus. Kubanische Techniker entwickeln ein riesiges elektronisches Demonstrationsbrett – eine Neuheit, auf die die Organisatoren besonders stolz sind. Auf einem großen Platz können viele Menschen so die Partien live verfolgen – eine frühe Form des „Public Viewing“. Fernsehen und Radio übertragen stundenlang, oft live, die Tageszeitungen widmen einen Großteil ihrer Auflagen der Olympiade, mehr als 300 Journalisten berichten vor Ort.
Bemerkenswert ist die Anteilnahme der kubanischen Bevölkerung. Die in der Hotelhalle aufgestellten großen Schachbretter sind bis nach Mitternacht von Schachfans umringt und eine große interessierte Öffentlichkeit sorgt für volle Zuschauerräume. Der Spielsaal im Hotel Habana Libre kann nur wenige Menschen fassen, für die meisten werden in anderen Räumen mit Demonstrationsbrettern und vielen Fernsehbildschirmen die Begegnungen analysiert. Und auch auf dem Platz vor dem Hotel verfolgt das Publikum auf einer großen Leinwand die Partien mit.
Zudem baut INDER das „Haus des Schachs“, das zur Olympiade feierlich eröffnet wird – ein Museum, in dem u.a. der Spieltisch zu sehen ist, an dem Capablanca 1921 Lasker entthronte. Auch ein Sonderpostamt für die Schach-Sondermarken und -stempel wird eingerichtet.
Kuba lässt jedes einzelne Team auf Staatskosten mit Charterflügen von Madrid, Prag und Mexiko City einfliegen. Die Spieler werden schon am Flughafen mit Volksmusiktruppen und von zahlreichen Medienvertretern empfangen. Zur Begrüßung wird ihnen ein Rumcocktail namens „Rochade“ gereicht. Die Organisatoren stellen den einzelnen Teams 150 amerikanische Luxuskarossen samt Chauffeur sowie Dolmetscher dauerhaft zur Verfügung.
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