EDITORIAL
LIEBE KARL-LESER,
unser Schwerpunkt widmet sich diesmal mit Akiwa Rubinstein einem Giganten der Schachgeschichte. Er war ein Endspielvirtuose und er hat die Eröffnungstheorie wie kaum ein anderer beeinflusst. Seine schachliche Bedeutung reicht bis in die Neuzeit. Nachdem er 1912 jedes Turnier gewann, an dem er teilnahm, sahen in ihm viele schon den kommenden Weltmeister. Aber wenig später – 1913, vor genau hundert Jahren – verschwand er plötzlich für mehrere Monate von der Bildfläche. Michael Negele kann nun in diese bislang unbekannte Lebensphase erstmals Licht bringen. Es war das erste Mal, dass sich Rubinsteins psychisches Leiden bemerkbar machte, das er in Bad Reichenhall vergeblich auszukurieren suchte und das ihn fortan sein Leben lang begleitete.
Vieles in Rubinsteins Leben ist immer noch ein Mysterium, die Unklarheiten beginnen schon mit seiner Geburt. Heute hält man den 12. Oktober 1882 für wahrscheinlich, ein Datum, das auf einen Eintrag in einem Turnierbuch in St. Petersburg 1906 beruht. Kmoch gibt in seiner Biographie den 12. Dezember 1882, Rubinsteins Grabstein nennt den 1.12.1880.
Auch sein Name macht Schwierigkeiten, kannte man ihn doch von jeher als Akiba. Doch das Hebräische „bet“ ist mehrdeutig und kann als „b“, „v“ und „w“ aufgefasst werden. Im Deutschen ist Akiwa die sauberste Übersetzung, eine Schreibweise, die Rubinstein auch bei seiner Signatur auf unserem Titelbild verwendet.
Selbst seine Herkunft bedarf einer Erklärung. Er ist eigentlich polnischer Jude. Doch das Königreich Polen wurde im 19. Jahrhundert zwischen den Mächten Preußen, Russland und Österreich aufgerieben. Rubinstein ist im russischen Teil des Landes geboren, spielte aber nach dem Ersten Weltkrieg bei den Olympiaden 1930 in Hamburg und 1931 in Prag für das wiederentstandene Polen.
Rubinsteins Biographie ist eine Tragödie, weil sie eine tiefe Wunde aufweist, die sein Leben unvollendet lässt. Obwohl er lange Zeit zu den stärksten Spielern gehörte und 1912 wohl der beste der Welt war, gelang es ihm aus verschiedenen Gründen nie, um die Weltmeisterschaft zu spielen. Einige der Ursachen für dieses Scheitern kann Toni Preziuso in seinem Beitrag „Amerika! Amerika!“ klären.
Wenig bekannt ist auch, dass Rubinstein 1931 zu einer Simultantournee nach Palästina reiste, die vielfältige positive Folgen für das Land hatte, für Akiwa aber unerfreulich endete, wie Avital Pilpel zu berichten weiß.
Einiges in Rubinsteins Leben sollte mit diesem KARL klarer geworden sein. Dafür gilt mein Dank Michael Negele für diverse Unterstützung, Tomasz Lissowski für Materialien sowie Hans-Jürgen Fresen und Luc Winants für seltenes oder bislang unveröffentlichtes Bildmaterial.
Noch ein Wort in eigener Sache: Obwohl zu Beginn so mancher gezweifelt hat, ob unser Themenkonzept tragfähig ist, feiern wir mit dieser Ausgabe unseren 50. Schwerpunkt! Zum Jubiläum gibt es bis Ende Oktober alle älteren KARLs zum Sonderpreis von 4,00 Euro (s. Anzeige auf der vorletzten Seite).
Harry Schaack