Harry Schaack Editorial 2

EDITORIAL

LIEBE KARL-LESER,

die Alterspyramide kann aufgrund der demographischen Verwerfungen schon lange nicht mehr als solche bezeichnet werden, weshalb heute sarkastisch von Altersurne gesprochen wird. Auch im Schach wächst der Anteil Älterer stetig und die etwa 17000 Senioren repräsentieren im Moment fast ein Fünftel der gesamten Mitgliederzahl des Deutschen Schachbundes. Daraus entstehen zum einen neue Anforderungen hinsichtlich der Turnierdurchführung, wie der Seniorenreferent des DSB, Helmut Escher, im Interview mit KARL zu erzählen weiß. Zum anderen eröffnen sich auch Chancen, denn es gibt mittlerweile viele durch Studien gestützte Belege dafür, dass rege geistige Tätigkeit im Alter einer Demenz vorbeugen kann. Und was wäre dazu besser geeignet als das Schach. Freilich steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen, doch gelänge es, den Zusammenhang wissenschaftlich zu belegen, würden vermutlich goldene Zeiten auf das Schach zukommen. Unterstützung würde nicht mehr aus dem Kulturtopf, sondern aus dem weit üppiger gefüllten Gesundheitsbudget kommen.

Die Motivation der Schachspieler ist zwar unterschiedlich, aber Streben nach Glück und die Glückserfahrung nach einer gelungenen Partie sind etwas, was man auch in hohem Alter noch erleben kann. Insofern ist auch Sigbert Geberts Essay über eine Philosophie des Schachs passend zu unserem Thema.

Mihail Marin untersucht in seinem Beitrag kritisch eine Äußerung des großen Ungarn Lajos Portisch, der einmal etwas paradox gesagt hat, sein Spielstil sei im Alter schärfer geworden. Unser Autor kann die Äußerung nur teilweise belegen, zeigt aber glänzende Partien mit ungewöhnlichen Motiven, die ein Höchstmaß an Kreativität und eröffnungstheoretischer Experimentierfreude verraten.

Michael Negele widmet sich Jacques Mieses, der mit Anfang Siebzig trotz vieler Hindernisse seinem Leben noch einmal einen neuen Inhalt gab. Der bislang nur unzureichend gewürdigte Altmeister erscheint dank der akribischen Recherche unseres Autors in neuem Licht.

Klaus Darga zählte in den Sechzigern zu einer damals noch kleinen Elite von Großmeistern. Er war neben Wolfgang Unzicker und Lothar Schmid der beste west­deutsche Spieler nach dem Krieg und einer der ersten, die das Spiel zum Beruf machten. In unserem Porträt erzählt Darga, wie mit Dreißig seine Schachkarriere an den Nagel hängte, wie er als Bundestrainer wieder zum Schach zurückkam und wie er fast zum IBM-Entwicklungsteam gestoßen wäre, das den Schachcomputer Deep Blue zusammenbaute, der 1997 Garri Kasparow besiegte.

Harry Schaack