Harry Schaack

EDITORIAL

LIEBE LESER,

im November wird in Dresden die größte Schacholympiade aller Zeiten ausgetragen. An der Elbe treffen sich 275 Teams aus 152 Nationen zu einer gigantischen Veranstaltung. Eine solche weltweite Begeisterung hatten die Ideengeber bei der ersten offiziellen Austragung in London 1927 sicher nicht vorhergesehen. Seither hat es in über 80 Jahren 37 Ländertreffen gegeben, seit 1950 im Zwei-Jahres-Rhythmus. In unserer vorliegenden Ausgabe konzentrieren wir uns auf die deutschen Schacholympiaden.

Den Beginn machte Hamburg 1930, das Austragungsort der dritten offiziellen Auflage war. Unser Autor Mario Tal legte kürzlich eine Kulturgeschichte der Schacholympiaden vor. Sein Beitrag, der eine gekürzte Fassung eines Kapitels aus seinem Buch Bruderküsse und Freudentränen ist, beschreibt einen organisatorischen Kraftakt in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, in der schon die baldige deutsche Zukunft ihre Schatten wirft.

Die zweite deutsche Schacholympiade war eine inoffizielle. Im Zuge der Olympischen Sommerspiele in Berlin von 1936 schloss sich der Großdeutsche Schachbund mit einer eigenen Veranstaltung in München an. Das nationalsozialistische Deutschland war kurz zuvor aus der FIDE ausgetreten, um wegen des Arierparagraphen einem Ausschluss zuvorzukommen. Daher erkannte der Weltschachbund die Olympiade nicht an. Michael Negele beschäftigt sich mit einem Schachbund, der um Anerkennung und Aufnahme in den Sportbund buhlte, und einem Turnier, das sich im Spannungsverhältnis zwischen Propaganda und Wirklichkeit vollzog.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es drei weitere Olympiaden in Deutschland, zu denen wir authentische Stimmen von Zeitzeugen eingefangen haben. Wolfgang Uhlmann spannt den Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Die Dresdner Schachlegende nahm nicht nur an allen deutschen Nachkriegsolympiaden am ersten Brett des DDR-Teams teil, sondern wirbt auch aktiv als Botschafter für die kommende in ihrer Heimatstadt. Im Gespräch mit KARL erinnert er sich an München 1958 und Leipzig 1960.

In Siegen 1970 lehnten die Veranstalter vier Teams ab, die sich zu spät angemeldet hatten – ein Novum in der Geschichte. Der Platz reichte dafür nicht aus und auch so herrschte in der Siegerlandhalle eine enorme Enge, wie sich der deutsche Nationalspieler Hajo Hecht erinnert.

Der Nationalspieler Klaus Bischoff blickt zurück auf sechs Olympiadeteilnahmen. Besonders gern erinnert er sich an seine sensationelle Silbermedaille von Istanbul 2000. Auch bei der kommenden in Dresden wird er dabei sein – diesmal als Kommentator. Im Streifzug durch die letzten zwei Jahrzehnte Olympia-Geschichte wird auch ein Wandel der Zeit sichtbar.

Passend zum Schwerpunktthema stellen wir in den Rezensionen eine der besten statistischen Internet-Schachseiten vor. Die interaktive OlympBase hat ein Pole in einer bemerkenswerten Eigeninitiative über Jahre hinweg aufgebaut. KARL sprach mit dem Kopf hinter den Daten.

Schließlich findet der Leser in diesem Heft alles Wissenswerte zur Dresdner Schacholympiade wie Zeitpläne, Rahmenturniere, kulturelle Veranstaltungen – kurz: das Rüstzeug für einen Elbflorenz-Besuch. Drücken wir den Organisatoren die Daumen, dass die Veranstaltung ein voller Erfolg wird.

Harry Schaack