EDITORIAL
LIEBE LESER,
aus aktuellem Anlass widmet sich unser Herbst-Heft der Vergangenheit. Vor 200 Jahren wurde in Berlin Schadows Schachclub gegründet, der erste Schachverein der Welt. Seinen Namen verdankt er dem Bildhauer Johann Gottfried Schadow, einem der bekanntesten Künstler seiner Zeit, Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor und leidenschaftlicher Schachspieler. Eine von Oktober bis November dauernde Ausstellung in der Kunstbibliothek in Berlin rekonstruiert jetzt die Geschichte dieses Vereins, die zeigt, welch hohen gesellschaftlichen Stellenwert das Schach damals hatte. KARL-Redakteur Johannes Fischer sprach mit Prof. Dr. Hans Holländer und seiner Frau Barbara, den Kuratoren der Ausstellung. Sie erzählen, wie sie auf die Spur von Schadows Schachclub kamen, und was sie an diesem Club immer noch fasziniert.
Warum Schachgeschichte reizvoll ist, verraten Dr. Ulrich Sieg, Mitherausgeber eines viel gelobten Buches über Emanuel Lasker und Gewinner des Nachwuchshistorikerpreises 2000, und Harald Ballo, Onkologe, Vorsitzender des Hessischen Schachverbandes, Schachsammler und Schachhistoriker aus Leidenschaft. Sie berichten, wie sie bei ihren Entdeckungsreisen in die Schachgeschichte vorgehen, welche Gebiete sie besonders faszinieren – und warum sie eine Leidenschaft für Dr. Lasker und ein Interesse an Dr. Tarrasch teilen.
Fragt man nach bedeutenden Schachhistorikern, nennen viele Leute den kürzlich verstorbenen Kenneth Whyld. Egbert Meissenburg würdigt das Schaffen des Engländers in einem Nachruf. Wie brillant der Schachhistoriker war, zeigen fünf Porträts bedeutender europäischer Schachspieler und Zeitgenossen Schadows, die wir aus dem Oxford Companion, Whylds bedeutendstem Werk und unentbehrliche Nachschlagequelle für Schachspieler, ins Deutsche übertragen haben.
Mit der Gründung von Schadows Schachclub 1803 beginnt die Erfolgsgeschichte der deutschen Schachvereine. Lange Zeit blieb er der einzige seiner Art. Die damaligen Vereine hatten in jenen bewegten Zeiten oft nur eine kurze Lebensdauer, aber in ihrer Geschichte spiegelt sich die Entwicklung des deutschen Schachs. Bernhard Schmid hat sich in seiner Magisterarbeit mit den deutschen Schachvereinen im 19. Jahrhundert beschäftigt. KARL gibt einen Überblick über die Ergebnisse seiner Recherche.
Bevor es Vereine gab und auch noch danach spielte sich – im wahrsten Sinne des Wortes – das Schachleben in den Schachcafés ab. Ihr Einfluss auf die Entwicklung des Schachs ist gar nicht zu unterschätzen. Michael Ehn und Ernst Strouhal spüren den Sitten und den Veränderungen nach, die dieser Mittelpunkt des Schachlebens im Laufe der Jahrhunderte gesehen hat.
In unseren Rubriken stellt Ivan Sokolov, die Nummer 20 der Welt, seine Lieblingspartie vor, ein Sieg mit Schwarz gegen Vishy Anand. „Man kann nicht alles sehen“, lautet das Credo des in Holland lebenden Bosniers und auch dieser Sieg ist nicht fehlerfrei. Beeindruckend bleibt er trotzdem.
Im Porträt stellen wir mit Robert Rabiega einen der besten deutschen Blitz- und Schnellschachpieler vor. Er spricht über seine Schachkarriere, seine Jugend im Berliner Schachcafé Belmont und über seine Pläne für die Zukunft.
In ihrer Rubrik würdigen Michael Ehn und Ernst Strouhal den Rätselkönig Sam Loyd, der in vielerlei Hinsicht einer der interessantesten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts ist. Leider konnten wir ihm nicht mehr Platz schenken. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …
Zuletzt noch der Dank an Prof. Hans Holländer, Michael Ehn, Harald Ballo und Dr. Jean Mennerat, die uns bei der schwierigen Bildbeschaffung behilflich waren.
Harry Schaack