EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

„Dynamik ist wichtiger als Material. Wenn du das Spiel diktierst, gehört es dir“, sagte einst Garri Kasparow. Der Stil des 13. Weltmeisters ist eng mit der dynamischen Spielweise verbunden. Was aber Dynamik ist, lässt sich gar nicht so leicht erklären. Dynamik offenbart sich in Stellungen, in denen es, im Gegensatz zu statischen Positionen, den Figuren an festem Halt mangelt und z.B. durch mobile Bauern­strukturen ein großes Potential an Ver­änderung vorherrscht. In dynamischen Stellungen ist Aktivität mehr wert als Sicherheit. Die Zeit wird ein entscheidender Faktor, bedeutender als das Materialverhältnis. Initiative ist dabei wichtig, aber häufig nur ein flüchtiges Phänomen. Wenn sie ausläuft, muss man darauf achten, einen Gegenwert zu erhalten, etwa ein positionelles Übergewicht oder einen Angriff.
Durch die Entwicklung der Engines in den letzten zwei Jahrzehnten hat die Dynamik an Bedeutung gewonnen, weil Schachprogramme zeigen, „was man sich alles leisten kann“, ohne das Gleichgewicht der Partie aufzugeben.
Wir wollen in diesem Heft einige dieser Aspekte untersuchen.

Willy Hendriks behandelt in seinem Beitrag die Bedeutung des Begriffs „dynamisch“ in Bezug auf Spielstile, Stellungen und die historische Entwicklung des Schachspiels. Er zeigt, dass man die Schachgeschichte nicht einfach in dynamische und statische Epochen unterteilen kann, sondern dass die Dynamik im Schach ein kontinuierlicher Prozess ist.

Mihail Marin bespricht in seinem Artikel Partien, in denen Dynamik und Statik im permanenten Widerstreit um die Deutungshoheit einer Stellung kämpfen. Sehr oft wechseln Phasen innerhalb einer Partie von statischen zu dynamischen Stellungen. Durch diesem Vergleich wird besonders deutlich, was Dynamik ist.

Erik Zude hat mit seinen beiden Porträts die dynamischen Spielstile zwei der spannendsten Spieler unserer Zeit untersucht. Dabei versucht er, die Entwicklung der beiden Spieler von Jugend an nachzuzeichnen.
Der Inder Arjun Erigaisi überwand kürzlich die 2800er Marke. Diesen Erfolg erkämpfte er sich mit seinem unbedingten Siegeswillen und seiner Risikobereitschaft, die zu zentralen Elementen seines Spiels wurden.
Der Spielstil des Usbeken Nordirbek Abdusattorov ist gekennzeichnet durch solide Eröffnungsstrukturen und dem Streben, die Möglichkeiten des Gegners einzuschränken, wofür er gerne dynamische Mittel verwendet.

Und Johannes Fischer erinnert sich an John Nunns Klassiker Secrets of Grandmaster Chess, der ihn inspiriert hat, sein Schachspiel zu verbessern und dynamischer zu spielen.

Harry Schaack