
EDITORIAL
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
Ungarn ist ein kleines Land mit etwas mehr als 9,5 Millionen Einwohnern. Trotzdem gehörte es über eine lange Periode hinweg zu den stärksten Schach-Nationen der Welt. Der Motor des ungarischen Schachs war von jeher die Hauptstadt Budapest, die auf eine lange Schachtradition zurückblicken kann. Vom 10.-23. September wird die Donaumetropole wieder für einige Wochen im Mittelpunkt der Schachwelt stehen, wenn dort die Schacholympiade stattfindet.
Als Initialzündung des ungarischen Schachs gilt gemeinhin der Korrespondenzwettkampf über zwei Partien, der zwischen dem in Pest beheimateten Café Wurm und dem Pariser Café de la Régence zwischen 1842 und 1846 ausgetragen wurde. Die Pester Spieler gewannen 2:0, was einem Paukenschlag gleichkam, galt doch Paris neben Berlin und London als eines der Schachzentren der Welt, in der die stärksten Spieler beheimatet waren. Mit diesem Erfolg trat auch das Triumvirat József Szén, Johann Jacob Löwenthal und Vincenz Grimm auf die internationale Schachbühne. Michael Ehn erzählt in seinem Beitrag „Die Kinder der Revolution“ die Geschichte dieser Vorreiter des ungarischen Schachs.
Wie sehr Budapest mit seinen Schachcafés, Sponsoren, internationalen Turnieren und Weltklassespielern, die dort geboren sind oder dort lebten, über die Landesgrenzen hinaus wirkte, beschreibt László Jakobetz in seiner Liebeserklärung an seine Stadt, die er als die schönste der Welt bezeichnet. Er spannt den Bogen von der Gründung Budapests 1873 bis in die Gegenwart. Mit der Errichtung zahlreicher Prachtbauten Ende des 19. Jahrhunderts ging auch der Aufstieg des ungarischen Schachs einher. Seit Beginn der Schacholympiaden zählten die Ungarn zu den erfolgreichsten Teilnehmern. Daran änderte auch der Ungarische Volksaufstand nichts, denn Ministerpräsident János Kádár war ein Schachliebhaber, der auch nach 1956 viele bedeutende Veranstaltungen nach Budapest holte. Und schließlich sind in den achtziger und neunziger Jahren die Polgár-Familie oder Bobby Fischer mit der Stadt verbunden.
Der Grandseigneur des ungarischen Schachs war Géza Maróczy, über den Jakobetz eine Monografie geschrieben hat, die gerade auf Englisch erschienen ist. Der Schachhistoriker beschreibt die bewegte Vita dieser Legende und bedauert, dass es niemals zu dem schon geplanten WM-Kampf mit Emanuel Lasker gekommen ist.
Der beste Spieler Ungarns Mitte des 20. Jahrhunderts war der Budapester László Szabó. Er vertrat sein Land dreimal beim Kandidatenturnier, unter anderem 1950 in Budapest. Bis er 1962 von Portisch abgelöst wurde, war er der Frontmann der Ungarn. Mihail Marin untersucht in seinem Artikel den Spielstil des gefürchteten Angriffsspielers, der jedem gefährlich werden konnte.
Natürlich will Ungarn als Gastgeber der Schacholympiade im September ein gutes Bild abgeben und, wenn möglich, um Medaillen spielen. Das wird schwer. Aber der Ungarische Schachverband hat nun einen Coup gelandet und den besten Spieler des Landes, Richárd Rapport, der wegen mangelnder Unterstützung zuletzt für Rumänien spielte, wieder zurückgeholt. Er und auch Péter Lékó werden das Team verstärken. In einem Gespräch mit Karl erklären Vertreter des Schachverbandes, was im September für die Schacholympiade geplant ist.
Harry Schaack