STREAMER DER ERSTEN STUNDE

Von Harry Schaack

ChessBase TV

Streamer sind ein recht junges mediales Phänomen, besonders im Schach. Daher mag es erstaunen, dass es sie schon vor fast 20 Jahren gab. Am 24.10.2003 strahlte ChessBase Radio seine erste Sendung aus. Wenige Wochen später wurde das Format zu ChessBase TV, jetzt als Videoliveübertragung. Seither gehen André Schulz und der Internationale Meister Oliver Reeh wöchentlich „on air“, womit sie zu Pionieren einer neuen Kommunikationsform wurden.
„Zu jener Zeit saß Oliver oft bei mir im Büro und wir plauderten miteinander“, erinnert sich André Schulz an die Anfänge. „Matthias Wüllenweber, einer der Geschäftsführer von ChessBase, meinte, wenn wir schon die ganze Zeit zusammensitzen, könnten wir das auch vor der Kamera als Multimedia-Sendung tun. Er stellte uns die Technik zur Verfügung und erklärte uns kurzerhand zu den Moderatoren.“
Zu Beginn war die Sendung frei für jeden, der auf dem ChessBase-Server unterwegs war. Danach gab es unterschiedliche Modelle. Mal musste man die Sendung einzeln bezahlen, was aber nicht gut angenommen wurde. Dann gab es das Mitgliedschaften-Modell und pauschaler Bezahlung. Seit 2020 wird ChessBase TV nicht mehr auf dem eigenen Server ausgestrahlt, sondern live und wieder kostenlos auf Twitch und YouTube, wo die Clips später gespeichert werden.
Um das Inhaltliche der Sendung kümmert sich Reeh, Schulz ist der Sidekick, der das Publikum vertritt und Verständnisfragen stellt. Bei der Präsentation steht die Didaktik im Vordergrund. Reeh zeigt zunächst einige Taktikauf­gaben und dann eine meist aktuelle Partie, wobei er viele Fragen an die Zuschauer stellt, die sich per Chat beteiligen. Gelegentlich gibt es auch Preise.
Besonders interessant sind die Gäste, die häufig zu ChessBase TV geladen werden. Das können Schachspieler sein, die gerade bei ChessBase DVDs aufnehmen, oder die in Hamburg in der Bundes­liga spielen, aber auch junge Talente und Funktionäre. Die Interviews mit den Gästen macht meistens Schulz, dessen Hauptaufgabe in der Betreuung der deutschen Internetseite von ChessBase besteht.
„Ein Highlight war der Besuch von Nigel Short, der ein be­geisterter Gitarrenspieler ist“, erinnert sich Schulz. „Er übte für seinen vorabendlichen Auftritt bereits den ganzen Tag in unseren Firmenräumen, so laut, dass die Sekretärin fast durchdrehte. In der Show spielte Nigel dann einige bekannte Riffs.“
Die Sendungen dauern etwa eine Stunde, fast immer freitags von 17-18 Uhr. Nur in Ausnahmefällen weicht man auf einen anderen Termin aus. Der Sendeplatz ist nicht ideal, „aber es muss auch kompatibel mit unserer Arbeitszeit sein“, sagt Schulz. „Zu einer Primetime um 19 oder 20 Uhr hätten wir vermutlich mehr Zuschauer. Das ist aber außerhalb der Bürozeiten und wurde bei ChessBase nie angestrebt.“
„Wir haben ein Stammpublikum von ein paar hundert Leuten“, erklärt Schulz. „Dass es nicht mehr sind, mag auch daran liegen, dass wir beide älter geworden sind. Das Sendekonzept ist im Grunde immer gleichgeblieben und vielleicht für das jüngere Streamerpublikum nicht modern genug. Wir hätten bekannter werden können, wenn wir nicht so lange hinter einer Bezahlschranke gewesen wären. Ursprünglich war ChessBase TV als
Kundenbindung gedacht und ein Mittel, um den Server bekannter zu machen.“
Als wegen der Pandemie die Zahlen bei Twitch und YouTube in den letzten zwei Jahren explodierten, haben andere wie Georgios Souleidis, alias The Big Greek, plötzlich ein riesiges Publikum erreicht. Der Hauptgrund ist, glaubt Schulz, dass Souleidis sehr schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren kann und schon wenige Stunden nach Ende einer wichtigen Partie seine Analyse als Video-Clip bringt, während ChessBase TV erst eine Woche später dran ist. „Bei uns steht eher das didaktische Konzept als die Aktualität im Vordergrund“, sagt Schulz. „Vor 20 Jahren waren wir Pioniere, als es noch keine anderen Streamer-­Plattformen gab. Damals wurde noch nicht so sehr auf Reichweite geachtet. Zudem sind Oliver und ich 20 Jahre älter geworden. Wir sprechen ein anderes Zielpublikum an. Irgendwann spricht man nicht mehr die Sprache der jungen Streamergeneration. Außerdem ist ChessBase eine deutsche Firma, die auf den deutschen Markt abzielt, sodass man uns nicht mit internationalen Anbietern vergleichen kann.“
Schulz ist mittlerweile 63 Jahre alt und wird in wenigen Jahren in Rente gehen. Große Änderungen wird es mit ihm bei ChessBase TV wohl nicht mehr geben. „Ich habe mir immer eine junge Dame als Co-Kommentatorin gewünscht, anstatt dieses alten Mannes, der seit fast 20 Jahren immer neben mir sitzt. Und ich glaube, Oliver ging es genauso“, sagt Schulz augenzwinkernd zum Abschluss.