EDITORIAL
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt spaltet auch die Schachgemeinde, die sich zwischen Kulturpessimismus und einer Brave New World, zwischen privater Einsamkeit und globaler Vernetzung positioniert. Mit den Schachprogrammen und ihrem Probierfeld für die Künstliche Intelligenz, dem Internet und den Möglichkeiten der online-Übertragungen, sei es zum Selbstspielen, zum Live-Schauen oder einfach zur Unterhaltung, hat sich die Schachszene seit Ende des 20. Jahrhunderts dramatisch verändert.
Über 20 Jahre ist es her, dass wir einen KARL dem Thema „Internet“ gewidmet haben, ein Medium, dessen Möglichkeiten damals gerade erst vom Schach entdeckt wurden. Wie man mit dem Schach im Internet Geld verdienen kann, fragten wir damals die Schachunternehmer Jürgen Daniel, Axel Fritz und Matthias Wüllenweber. Jetzt, zwei Dekaden später, sprach Stefan Löffler noch einmal mit ihnen und wollte wissen, was aus ihren Hoffnungen geworden ist. Außerdem wirft er einen Blick auf die heutigen großen ökonomischen „Spieler“ und die zunehmende Oligopolisierung durch Firmen wie der Play Magnus Group und Chess.com.
Das Internet ist ein Raum der globalen Überbrückung. Die Digitalisierung hat die Weltstars, die man zuvor meist nur durch Fotos aus Fachmagazinen kannte, ganz nah ans Publikum gebracht. Heute kann man mit seinen Idolen von zu Hause aus in Online-Shows chatten oder gar gegen sie spielen, selbst gegen den Weltmeister, wenn man Glück hat. Die Pandemie hat innerhalb von nur zwei Jahren dem Schach eine weitere Facette hinzugefügt. Seither sind unzählige Streamer und YouTuber aus dem Boden geschossen und haben innerhalb kurzer Zeit eine enorme Fangemeinde um sich geschart. Um virtuell erfolgreich zu sein, gibt es unterschiedliche Strategien, die Franz Jürgen Schell in unserem großen Überblick vorstellt.
Ernst Strouhal macht in seinem Beitrag „Der digitale Karneval“ deutlich, dass Schach immer schon ein Brennglas der soziokulturellen Entwicklung gewesen ist und es auch bleiben wird. Gerade deshalb ist das Spiel so langlebig und konnte über Jahrhunderte als Geschichtengenerator funktionieren. Die Digitalisierung fördert die in der Schachkultur angelegten Aspekte nur deutlicher zu Tage.
Unser Porträt widmet sich Lothar Vogt, der in diesem Jahr seinen siebzigsten Geburtstag feierte. Der Görlitzer zählt zu den erfolgreichsten Spielern der DDR und sammelte nach der Wende zahlreiche Mannschaftsmeistertitel mit der SG Porz. Ein Grund für seinen Erfolg war die Analysearbeit in Trainingsgemeinschaften, wie er verrät.
Leider erreichte uns nur einen Monat nach Erscheinen unseres letzten Heftes, das wir Juri Awerbach gewidmet hatten, die traurige Nachricht von seinem Tod. Wladimir Barski war bei der Trauerfeier und berichtet über die Umstände der Beerdigung.
Bleibt noch, die beiden Sieger unserer Schachnovellen-Verlosung zu nennen: Die DVD von Philipp Stölzls Neuverfilmung von Stefan Zweigs Klassiker gewann Ralph Bienert aus Gaimersheim, das von Christoph Maria Herbst gelesene Schachnovellen-Hörbuch Herbert Huber aus Wasserburg am Inn. Herzlichen Glückwunsch!
Harry Schaack
Errata: Im letzten Heft 1/22 hat sich in die Bildunterschrift auf S. 18/19 ein Zahlenfehler eingeschlichen. Statt 1951 muss es richtig 1956 heißen.