STREITEN FÜR DIE SCHACHKULTUR

Am 11. Januar 2021 feierte die Emanuel Lasker Gesellschaft ihr 20-jähriges Bestehen. KARL sprach mit dem 1. Vorsitzenden der ELG, Thomas Weischede, über ihre Geschichte, Leistungen und Pläne.

Thomas Weischede
Thomas Weischede bei der Verleihung der Lasker-Trophäe an das ELG-Ehrenmitglied Helmut Pfleger anlässlich des Schach­events „30 Jahre Deutsche Einheit“ der Schachstiftung GK in Leipzig im Oktober 2020. (Foto: © Harry Schaack)

KARL: Herr Weischede, die Emanuel Lasker Gesellschaft feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Welchen Aufgaben widmet sich die ELG?
THOMAS WEISCHEDE: Die ELG ist ein gemeinnütziger Kultur­verein, der 2001 gegründet wurde, um die Brücke zwischen Schach als Sport und Spiel sowie Kultur und Bildungsgut zu schlagen.

Die ELG ist damit auch ein Bindeglied zwischen Vereins- und Hobbyspielern.
Wir versuchen, organisierte Schachspieler mit kulturinteressierten Nichtschachspielern zusammenzubringen. Dabei wollen wir Schach nicht vorrangig als Spiel, sondern mit seinen vielen Mehrwerten mit diversen Veranstaltungen und Aktivitäten in den Mittelpunkt stellen. Eigentlich setzen wir damit die Idee Laskers fort, eine Schule des Verstandes zu gründen. Denn die Vorteile, die man sich über Schach aneignen kann, können auch auf andere Elemente des gesellschaftlichen Lebens übertragen werden.

Hat sich denn der große Erfolg der Netflix-Serie „The Queen’s Gambit“ auch bei der ELG niedergeschlagen?
Allerdings. Diese Serie hat sehr viele interessierte Laien zum Schach gebracht und für diese Gruppe, die keine organisierten Schachspieler sind, sich dennoch für Schachkultur interessieren, sind wir der richtige Ansprechpartner. Das merke ich nicht nur über die ELG, sondern auch über meine beruflichen Kontakte weltweit. Ich glaube übrigens, dass dieser Boom nachhaltig bleiben wird.

Diese Idee des Brückenschlagens spiegelt sich auch in der Mitgliederstruktur der ELG wider.
Unsere Mitgliederliste umfasst Ex-Schachweltmeister, Sammler, Kulturwissenschaftler bis hin zu Vorstandsvorsitzenden von Konzernen, wobei sich die Schachspieler und die Nichtschachspieler etwa die Waage halten. Diese Mischung findet sich auch bei unseren Events. So haben wir Deutsche Meisterschaften für verschiedene Berufe ins Leben gerufen oder unterstützen künstlerische Darbietungen, veranstalten Lesungen oder aus aktuellem Anlass ein Benefizsimultan für Flüchtlingskinder. Wir bieten also eine große Vielfalt an.

Wo liegen die Stärken und Kompetenzen der ELG? Was kann die ELG besser als Schachorganisationen?
Wir haben den Vorteil, relativ ungebunden zu sein. Ein Geflecht vieler Organisationsstrukturen wie beim DSB oder der FIDE gibt es bei uns nicht, weshalb wir sehr viel flexibler sind. Wir müssen lediglich unsere Satzungsziele beachten, die recht weit gefasst sind. Das gibt uns Freiheiten, die andere Verbandsstrukturen nicht haben. Zudem verfügen wir durch unsere knapp 120 Mitglieder über ein sehr gutes Netzwerk, das in ganz unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche hineingreift. Allerdings können wir unsere Aktivitäten nicht alleine über unsere Mitgliederbeiträge bestreiten. Wir leben vor allem von Sponsoren und Förderern.

Kooperationen sind ein wichtiges Mittel für die ELG.
Mit Schach kann man für einen relativ geringen finanziellen Aufwand Werte vermitteln, die in anderen Bereichen nur mit einem deutlich größeren Beitrag zu realisieren währen. Dafür sind Koope­rationen ein wichtiges Mittel, insbe­sondere wenn man international agieren will.

Eine internationale Ausrichtung der ELG ist ja geradezu im Weltbürger Lasker angelegt.
Natürlich hat Lasker als dienstältester Weltmeister und auch noch nach seinem Titelverlust 1921 mit großen Turniererfolgen das Schach seiner Zeit maßgeblich mitgeprägt. Aber in der Tat bietet Lasker mit seinem jüdischen Background, mit seinen breit angelegten Interessen, mit seinen Kontakten zu bedeutenden Persönlichkeiten in einem bewegten Abschnitt der Welt­geschichte sowie durch seinen Aufenthalt in verschiedenen Ländern und Kulturkreisen vielfältigste Anknüpfungspunkte.

Waren diese Aspekte auch ausschlaggebend für die Gründung der Emanuel Lasker Gesellschaft?
Die ELG ist aufgrund der Lasker Konferenz 2001 entstanden, die anlässlich des 60sten Todestages von Lasker maßgeblich durch Paul Werner Wagner veranstaltet wurde. Ich glaube, dass es damals ein großes Bedürfnis gab, die Lücke zwischen Schachsport und Schachkultur zu füllen. Ein konkreter Anlass zur Gründung der ELG war die Rettung des Lasker-Hauses in Thyrow, was aber trotz jahrelangem Bemühen letztlich nicht gelang.

Was waren für Sie die Highlights in der 20-jährigen Geschichte der ELG?
Ein Höhepunkt war bereits die Initialzündung zur Gründung der ELG, die Lasker Konferenz 2001. Damals gelang es, viele Schach­interessierte aus unterschiedlichen Bereichen zusammen­zu­bringen und unter einer Idee zu einen.
Dann erinnere ich mich noch sehr lebhaft an den Besuch in Bamberg 2004. Lothar Schmid präsentierte den ELG-Mitgliedern seine wertvolle Schachsammlung, wir besuchten die Oper Tom Jones, die Philidor geschrieben hatte und es gab einen Vergleichskampf mit dem Schachverein Bamberg auf einem Lebendschachbrett mit historischen Figuren. Nicht nur ich habe das als ein Stück gelebter Schachkultur empfunden.
Natürlich muss die Herausgabe der großen Lasker-Monographie 2009 erwähnt werden, an deren Kosten sich die ELG beteiligte. Dann waren wir in die prächtige Veranstaltung „Trans Europa Schach-Express“ der Deutschen Bahn in Potsdam 2012 involviert, wo wir unsere Wanderausstellung zu Lasker vorgestellt haben. Und 2018, im weltweit be­gangenen Lasker-Jahr, wurde die erste englischsprachige Ausgabe der Lasker-­Trilogie präsentiert, die wir ebenfalls finanziell unterstützt haben.

Seit dem Lasker-Jahr 2018 ehrt die ELG mit Preisen, dem „Viktor“ und dem „Lasker“, besondere schachliche Erfolge und kulturelle Leistungen, wovon auch unser Schachmagazin profitiert hat, als ihm 2018 die Lasker-­Trophäe verliehen wurde. Wie kam es dazu?
Wir glauben, dass die beiden Felder des Schachs – als Kultur- und Bildungsgut auf der einen und als Sport auf der anderen Seite – einer besonderen Ehrung bedürfen, was es in dieser Form zuvor nicht gab. Damit wollen wir Institutionen und Personen, die sich in besonderer Weise verdient gemacht haben, auszeichnen. Der Preis für kulturelle Leistungen ist nach Lasker benannt, der andere für die sportlichen Erfolge nach unserem verstorbenen Ehren­mitglied Viktor Kortschnoi. Die Liste der Preisträger kann sich sehen lassen. Darauf bin ich auch ein wenig stolz. Mit diesen Auszeichnungen haben wir eine gewisse Öffentlichkeit für Leistungen erzeugt, die es ohne diese Preise vielleicht nicht gegeben hätte.

Unter welchen Aspekten wurden die Preise vergeben?
Wir wollten die Sieger großer Turniere im deutschsprachigen Raum ehren, die Deutschen Meister, aber auch herausragende Erfolge wie den von Annemarie Mütsch, die 2018 U16-Weltmeisterin wurde. Ich erinnere mich noch an die erste Verleihung des „Viktors“ in Baden-Baden, wo ich zwischen Carlsen und Caruana stehe, der unsere Trophäe in der Hand hält – das ist sportlich nicht mehr zu toppen.
Bei den Kulturpreisen haben wir uns bei der Vergabe vor allem daran orientiert, wer sich schon über einen längeren Zeitraum für Schachkultur engagiert hat.

Wie sind Sie selbst Mitglied der ELG geworden?
Paul Werner Wagner hat mich kooptiert. Ich besuchte 2001 arglos die Lasker Konferenz. Dann gab es ein juristisches Problem, zu dem mich Paul hinzuzog, weil er wusste, dass ich Anwalt bin. Und ehe ich mich versah, war ich im Vorstand der ELG. Da ahnte ich noch nicht, welche Dynamik das entwickelt. In den ersten zehn Jahren waren noch Paul Werner Wagner und Stefan Hansen feder­führend, ab 2011 habe ich mich mehr und mehr in die ELG eingebracht und bin schließlich 2019 zum 1. Vorsitzenden gewählt worden.

Haben Sie andere Akzente gesetzt als Paul Werner Wagner, der der ELG 19 Jahre vorstand?
Wahrscheinlich betone ich die inter­natio­nale Ausrichtung mehr als er. Paul, der im Rahmen der ELG zahlreiche Gesprächsrunden moderiert hat, hatte das Problem, dass er nicht gut Englisch sprach. Deshalb waren die Möglich­keiten in dieser Hinsicht etwas limitiert.

Diese internationale Ausrichtung ist auch auf der neuen Internet­seite der ELG zu erkennen, die jetzt auch als englische Version verfügbar ist. Was war der Grund für die Neuge­staltung?
Unsere alte Homepage hatte ein Sicherheitsdefizit und ist quasi zerschossen worden. Daher musste sie sowieso erneuert werden. Dabei haben wir die Seite um viele neue Aspekte erweitert.

Neben der neuen optischen Erscheinung und dem übersicht­licheren Aufbau gibt es nun auch zahlreiche neue Angebote für die Benutzer …
Wir wollen jetzt regelmäßig Newsletter und neue Angebote auf unsere Seite stellen und damit eine größere Öffentlichkeit erreichen. Dafür haben wir Elisabeth Pähtz gewonnen, die mit ihren Videos zu Lasker-Partien ein schachliches Angebot macht, sowie den Kabarettisten Matthias Deutschmann, der die ersten Ausgaben für den Lasker-Corner übernommen hat, in der regelmäßig kulturelle Beiträge erscheinen werden. Dieser Lasker-Corner soll aber künftig ein Forum werden, in dem sich auch andere zu diversen schachkulturellen Themen zu Wort melden können.

Durch die Coronakrise war lange nicht sicher, ob die ELG überhaupt ihr 20jähriges Jubiläum mit einer Veranstaltung begehen kann. Doch mittlerweise ist ein gewisser Optimismus angebracht. Was ist geplant?
Ich bin zuversichtlich, dass wir Mitte August ein Europa­schachfest durchführen können, das gleichbedeutend mit unserer 20 Jahr-Feier ist. Eigentlich waren mehrere Veranstaltungen für unser Jubiläumsjahr geplant, die aber alle der Pandemie zum Opfer fielen. Dieses Fest mit internationaler Beteiligung soll auch ein Bekenntnis zum Zusammenwachsen Europas werden. Ferner wollen wir für uns wichtige Aspekte wie das Frauenschach betonen. Dazu planen wir eine Podiumsdiskussion, die wahrscheinlich komplett weiblich besetzt sein wird.

Welchen Kurs wird die ELG in den kommenden Jahren einschlagen, welche Veranstaltungen sind geplant?
Noch in diesem Jahr werden wir im September ein Theaterstück unterstützen, das sich in freier Anlehnung an die Schachnovelle mit Flüchtlingsthemen be­fasst. Zudem hat unser Vorstandsmitglied Dr. Gerhard Köhler mit seiner Schachstiftung GK garantiert, dass er die nächsten zehn Jahre regelmäßig zum Tag der Deutschen Einheit eine Veranstaltung auf die Beine stellen wird, so wie sie 2020 erstmals in Leipzig stattfand. Da sind wir als ELG natürlich auch vertreten und werden den Anlass nutzen, um einige unserer Trophäen an künftige Preisträger zu überreichen.
Wir wollen uns aber künftig etwas internationaler aufstellen. Schon für 2020 hatten wir mit dem Goethe-Institut eine Ver­anstaltung in der europäischen Kulturhauptstadt Galway in Irland geplant, die der Coronapandemie zum Opfer gefallen ist. Dort soll 2022 der dritte Band der englischsprachigen Lasker-­Trilogie präsentiert werden. Aber auch in Wien und Zürich sind bereits Events geplant. Wir verstehen diese Veranstaltungen auch als einen Beitrag, um die europäische Schachkulturszene besser zu vernetzen – eines der Ziele, das wir uns auf die Fahnen ge­schrieben haben. Im nächsten Jahr sollen auch die von uns initiierten Deutschen Meisterschaften für Berufsgruppen wieder stattfinden. 2024 planen wir anlässlich des großen Turniererfolg Laskers von 1924, etwas in New York zu organisieren.
Aber der Kosmopolit Emanuel Lasker wird uns auch darüber hinaus reichlich Anlässe zu Veranstaltungen liefern – da bin ich mir sicher.

Das Interview führte Harry Schaack

INFO UNTER: www.lasker-gesellschaft.de