EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

es ist gar nicht so einfach zu erklären, was Schachstrategie eigentlich ist. Viele verstehen darunter vor allem die Unterwerfung des Spiels unter einen Plan, der mehr oder weniger durchgängig ist. Doch schon Suetin schrieb, Strategie sei „im weitesten Sinne des Wortes die Gesamtheit der Anschauung eines Spielers […] über die Kampf­führung schlechthin. Die Strategie umfasst alles, was sich auf das abstrakte schach­liche Denken bezieht“.

Der Begriff Strategie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Kunst der Kriegsführung. Der Pyrrhussieg mag den Unterschied zwischen Strategie und Taktik deutlich machen. Während sich die Taktik auf ein Gefecht bezieht, beschäftigt sich die Strategie mit dem Gesamterfolg.

Allerdings zeigt unser Heft, dass diese Begrifflichkeiten gar nicht so leicht auf das Schach zu übertragen sind. Willy Hendriks und Mihail Marin kommen in ihren Beiträgen auf unterschiedlichen Wegen zu einem ähnlichen Resultat: Strategie und Taktik sind zwei Begriffe, die man verschmelzen kann. Während des praktischen Spiels vermischen sich beide Aspekte in unserer Entscheidungsfindung.

Differenzierung und Kategorisierung sind wichtige Werkzeuge der Erkenntnis. Sie klären Bereiche, machen Aspekte sichtbar, doch sie grenzen auch ab. Wenn sich die Felder zu sehr verselbstständigen, fällt es schwer, sie wieder zusammenzubekommen. Insofern stellen sich beim Thema Strategie ganz ähnliche Fragen, die auch über unser Denken im Allgemeinen reflektieren.

Die Artikel in diesem Heft zeigen jedenfalls eine Tendenz zu einem Umdenken. Frank Zeller beschäftigt sich mit dem Wandel von Stellungsbewertungen. Heute nimmt man Bauernschwächen in Kauf, die man früher als positionelle Nachteile gebrandmarkt hätte. Der Einfluss leistungsstarker Schachprogramme hat den Blick auf das Schach verändert und die dynamischen Aspekte gegenüber den statischen aufgewertet. Flankenvorstöße, zerrüttete Bauernstrukturen bis hin zu Triplebauern gehören zum Rüstzeug heutiger Schachspieler.

Dass es dennoch auch in der Gegenwart Partien mit langfristigen strategischen Plänen gibt, zeigt Erik Zude. Auch wenn die Zielsetzungen heute etwas flexibler formuliert werden, als es in der guten alten Klassik der Fall war, weil im modernen Schach gegnerischen Plänen frühzeitig entgegengearbeitet wird.

In unserem Porträt stellen wir Ulrich Stock vor, den wir auf seiner Lieblingsinsel Sylt besucht haben. Der Journalist zeigt seit über zehn Jahren mit seinen vielgelesenen Reportagen über die Weltmeisterschaften in der Wochenzeitung Die Zeit, dass Schach massentauglich ist.

Harry Schaack