LASKER LUDENS
Von Harry Schaack
Forster, Negele, Tischbierek (Hrsg.),
Emanuel Lasker, Volume II,
Choices and Chances. Chess and other Games of the Mind,
Exzelsior Verlag 2020,
Hardcover, 452 S., 59,- Euro
(Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise
von Michael Negele zur Verfügung gestellt.)
Im Mai ist der zweite Band der umfassenden englischsprachigen Emanuel Lasker-Biographie erschienen. Im mittleren Werk dieser Trilogie, an der ein internationales Forscherteam arbeitet, nimmt Laskers Leidenschaft für vielerlei Spiele eine zentrale Rolle ein.
Vorangestellt ist auch im neuesten Band als roter Faden die biographische Klammer von Negele und Forster, die die einzelnen Artikel zusammenhält. Sie umfasst die Zeitspanne von 1901 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914.
Die Zeit zwischen 1901-1904 sind Jahre der Unruhe, die Lasker von Berlin nach Großbritannien und in die USA bringen, in der er vergeblich um eine akademische Anstellung kämpft und seine spätere Frau Martha kennenlernt.
Die Auswertung erst in jüngerer Zeit zugänglicher privater Briefe von Lasker und seiner späteren Frau Martha Cohn erwiesen sich auch für diesen Band als fruchtbare Quelle. Sie zeigen, wie sehr Martha für Lasker ein Anker war, auch wenn sich beide oft über lange Zeit nicht sahen und räumlich getrennt lebten.
Dabei war das erste Treffen für Martha nicht gerade vielversprechend. Nach nur fünf Minuten entschuldigte sich Lasker und ging nach Hause. Er sei von Martha so inspiriert gewesen, beichtete er später, dass ihm plötzlich die Lösung eines mathematischen Problems in den Sinn kam, an dem er seit Jahren gearbeitet hatte. Erst 1909 stirbt Marthas Mann, wodurch der Weg zur Heirat mit Lasker frei wird.
1904 gründete der Weltmeister Laskers Chess Magazine, in dem er seine eigene Sicht auf Schachereignisse in aller Welt kundtun konnte. Doch weil die Zeitschrift zur selben Zeit auf den Markt kam wie das American Chess Bulletin, war ihr nur ein mäßiger Erfolg vergönnt.
1907 gab er mit The Chess Players Scrap Book eine weitere Zeitschrift heraus, die nur sechs Ausgaben überlebte. Auch sein Chess Magazine ging ein, weil sich Lasker zu lange in Europa aufhielt und einige seiner Mitarbeiter mit The Chess Weekly eine eigene Zeitschrift gründeten.
In die Vorkriegsjahre fallen auch die gescheiterten WM-Verhandlungen mit Maróczy, sowie die Titelverteidigungen gegen Marshall 1907, Tarrasch 1908, Schlechter und Janowski 1910.
Schon 1910 begann Lasker darüber nachzudenken, Schach allmählich aufzugeben und sich auf die Mathematik zu konzentrieren. Nachdem er 1911 geheiratet hatte, nahm sein Interesse an Turnieren ab und er schlug mehrere Einladungen aus.
Vor dem Ersten Weltkrieg scheiterte die erste Verhandlung mit Capablanca für ein WM-Match, weil Lasker den Eindruck gewann, Capablanca wolle die Bedingungen diktieren. Doch es war wohl vor allem Capablancas Ton, ein angeblich mangelnder Respekt, der Lasker verärgerte. Oft sind verletzter Stolz und Ehrverletzung die Ursachen für Konflikte, die sich durch Laskers ganzes Leben ziehen.
1912 arbeitete er an seinem philosophischen Werk Das Begreifen der Welt, 1913 brachte er mit der Berliner SG den Schachwart heraus, der aber mit Beginn des Ersten Weltkriegs rasch wieder einging. In diesem Jahr waren zudem die Verhandlungen zu einem WM-Match mit Rubinstein weit gediehen, doch der Kriegsbeginn ließ auch dieses Vorhaben scheitern.
Nach fünf Jahren Pause spielte er 1914 wieder ein großes Turnier in St. Petersburg, das zu einem Triumph wurde, weil er in der Finalrunde den schon fast als Sieger feststehenden Capablanca noch abfing.
Im schachlichen Teil präsentiert Großmeister Marin Laskers wichtigste Partien, beginnend mit einem neuen Blick auf die entscheidende zehnte Partie im WM-Match gegen Schlechter, über den großen Turniersieg in St. Petersburg 1914, der WM gegen Capablanca sowie dem Turniersieg in Mährisch-Ostrau 1923 und den zweiten Platz hinter Bogoljubow (aber erneut vor Capablanca) in Moskau 1925, wo Lasker sein berühmtes Damenopfer gegen Iljin-Schenewski spielte.
Immer wieder staunt der Leser über die gewaltige Spielstärke, die Lasker trotz längerer Pausen und seinem hohen Alter abrief. Einen Grund für seinen Erfolg nennt Kramnik in seinem Vorwort zu dieser Ausgabe: Lasker war der erste, der in einer Zeit, als man noch in schachlichen Kategorien wie richtig oder falsch dachte, ein viel feineres Stellungsverständnis entwickelte und erkannte, dass viele Vorteile unter bestimmten Umständen ihre Bedeutung verlieren.
Donaldson würdigt den letzten großen und vielleicht bedeutendsten Erfolg Laskers in New York 1924, eines der stärksten Turniere der Geschichte. Wegen einer Erkältung hatte Capablanca mit 2/5 einen schlechten Start, wonach sich auch mit seinem furiosen Endspurt die entstandene Lücke zu dem nicht nachlassenden Lasker nicht mehr schließen ließ. Der Ex-Weltmeister gewann die letzten vier Partien und siegte vor der fast vollständig versammelten Weltelite mit eineinhalb Punkten Vorsprung – und das im Alter von 55 Jahren.
Lasker musste nur eine einzige Niederlage hinnehmen, ausgerechnet gegen Capablanca. Diese Begegnung wurde von einer defekten Uhr überschattet. Forster untersucht diesen berühmten Uhrenstreit in allen Facetten und zeigt, dass die Auseinandersetzung weit über die kaputte Uhr hinausging. Es ist erstaunlich, dass Lasker trotz des überwältigenden Turniererfolges 1924 auch im Nachgang seiner Verärgerung über den Vorfall noch heftig Ausdruck verlieh, wodurch er viele Sympathien verspielte. Forster sieht den Ursprung der gesamten Auseinandersetzung in der schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnenen und von Animositäten begleiteten Rivalität beider.
Lasker hatte enge Verbindungen zu den Niederlanden, wo er viel Anerkennung genoss. Zu seinem 60. Geburtstag veranstaltete man ihm zu Ehren eine große Feier. Die Holländer bezeichneten ihn sogar als „onze (unser) Lasker“. Im Gegensatz zu deutschen Zeitungen gab es in den Niederlanden nach Laskers Tod 1941 mehrere seitenfüllende Nachrufe, einer von Euwe, obwohl die Holländer von den Deutschen besetzt waren.
Lasker sprach Holländisch und sein Rat war gern gehört. 1923 beriet er die Veranstalter eines Vergleichskampfs in Scheveningen hinsichtlich des Modus und war so Miterfinder des nach dem Seebad benannten Systems, das man auf seinen Vorschlag hin anwendete.
Allerdings erlebte Lasker in Holland auch Enttäuschungen, zuletzt seine Nichteinladung zum AVRO-Turnier, weil man ihn 1938 nicht mehr als WM-Kandidaten ansah.
Laskers Interesse an diversen Spielen ist schon in seinem Buch Brettspiele der Völker verbürgt. Um das remisträchtige Dame-Spiel attracktiver zu machen, erfand er sein eigenes Spiel „Laska“, das 1911 auf den Markt kam. Auf Initiative von Laskers Freund Baudet gründete sich 1920 die „Laska-Vereinigung“ in Holland. Wie Angerstein schreibt, wird es bis heute gespielt und hat durch das Internet sogar an Popularität gewonnen.
Auch das heute vergessene Brettspiel Salta, an dem sich mehrere Weltklasseschachspieler versuchten, spielte Lasker ordentlich. 1900 stellte er sich in einer Partie für ein deftiges Antrittsgeld von 1000 Mark einem der besten deutschen Spieler und gewann.
Ab 1908 widmete sich Lasker verstärkt dem Go. Laut Theo van Ees und Hans-Christian Wohlfahrt zählte Lasker zu Deutschlands besten Go-Spielern und veröffentlichte gelegentlich auch Beiträge dazu. Lasker gestand, dass er wohl nie Schachweltmeister geworden wäre, hätte er das Go früher entdeckt.
Van der Velde schreibt über eine der intensivsten Leidenschaften des zweiten Schachweltmeisters. Ab 1925 beschäftigte sich Lasker zehn Jahre lang intensiv mit Bridge, siedelte ins bridgebegeisterte Holland über, und wollte sich damit – mit Spielen, Lehren und Schreiben – seinen Lebensunterhalt verdienen. 1929 erschien Das verständige Kartenspiel, doch schon 1932 hatten sich seine ökonomischen Verhältnisse sehr verschlechtert [s. S. 48 ff. in diesem Heft]. Grund dafür war, so van der Velde, die Persönlichkeit Laskers. Im Gegensatz zu seinem Vorbild Culbertson, der mit Bridge in den USA zum Millionär geworden war, verstand es Lasker nie, Marketing in eigener Sache zu betreiben. Doch er blieb seiner Leidenschaft treu und gründete noch kurz vor seinem Tode 1940 in New York die „Bridge Academy Dr. Lasker“.
Laskers Bridgebücher ließen es jedoch laut van der Velde an der Didaktik missen, inhaltlich unterliefen ihm einige Fehler, auch an der Systematik mangelte es. Dennoch hat Lasker einige Aspekte erstmals herausgestellt, was ihm einen Platz in der Bridgegeschichte verschafft. Hätte Lasker erkannt, dass sein Vorschlag zur „Biet-Theorie“ ein Meilenstein war, dem das erst 40 Jahre später etablierte Konzept des Fragens anstatt des Zeigens zugrunde liegt, wäre er im Bridge unsterblich geworden, meint der Autor.
Erstmals gibt es auch eine ausführliche Darstellung zu Laskers Beitrag zur Spieltheorie, die Jörg Bewersdorff besorgt hat. Als Geburtsstunde der Spieltheorie gilt John von Neumanns Theory of games and economic behavior von 1944. Lasker hatte aber bereits in Brettspiele der Völker 1931 und auch im Verständigen Kartenspiel 1929 einige einzelne Aspekte der Spieltheorie vorweggenommen, und mit seiner damit verbundenen Hoffnung, dass die Theorie mathematischer Spiele irgendwann als effektive Entscheidungshilfe dienen könne, Weitsicht gezeigt.
Der schöne Prachtband ist für den Leser eine Begegnung mit einer Fülle an Interessensgebieten, mit denen sich Lasker während seines Lebens intensiv befasst hat. Und Ulrich Dirrs großartige Bildbearbeitung kann man wohl nur adäquat würdigen, wenn man die oft miserablen Vorlagen kennt. Die vielen, teils seltenen Fotos machen zusammen mit dem Layout die Lektüre auch zu einem optischen Genuss.