THE PLACE TO BE

Michael Dombrowsky über die Geschichte des Londoner
Simpson’s-in-the-Strand,
das eine der wichtigsten Institutionen
für Schachspieler des 19. Jahrhunderts war.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 2/20.)

Simpson's-in-the-Strand
Heutiger Eingangsbereich des Simpson's-in-the-Strand (Foto: © Michael Negele)

Eigentlich passt diese Geschichte so ganz zum skurrilen Humor der Engländer. Im 19. Jahrhundert machte ein Mann London zum Mittelpunkt der Schachwelt, der gar kein Schach spielen konnte. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass der Gründer des Grand Cigar Divan mehr den blauen Dunst vor Augen und den Geruch eines kräftigen Kaffees in der Nase hatte, als er 1828 im Haus 101-102 in der Straße, die Londoner nur The Strand nennen, ein oriental anmutendes Café eröffnete, in dem man auch rauchen konnte und hochprozentige Getränke bekam. Damals lag die Straße, die das Bankenviertel City of London mit dem Trafalgar Square verband und verbindet, direkt an der Themse. Es dauerte noch ein halbes Jahrhundert, ehe die Stadtverwaltung den Fluss eindeichen ließ und ihm so Teile der Überschwemmungsauen abtrotzte.

Es war nicht der erste Laden dieser Art, der in London von Bernard Reis eröffnet wurde. Reis war, anders als sein Name vermuten lässt, in Portugal geboren und mit seiner Familie als Kind nach England gekommen. Sein Lokal war aber das schönste und erfolgreichste in der Stadt. Diese Mischung aus Wiener Café auf britisch und einem englischen Club auf orientalisch kam in jener Zeit gut an. Man konnte zwischen Kissenbergen auf großzügigen Sofas herumlümmeln und Tabak aus dem Orient, starken Kaffee aus Afrika, Asien oder Südamerika genießen, Zeitungen und Zeitschriften studieren oder über Politik schwadronieren. Zu diesem Ort der Entspannung gehörten auch Schachspiele. Eine Partie um Geld zu spielen, zählte zu den schon lange gepflegten Traditionen im Land des Wettens und galt keineswegs als ehrenrührig.

1836 änderte sich eine Menge für die Familie Reis und den Diwan. Zunächst zog sich Bernard aus dem aktiven Geschäft zurück und übergab die Verantwortung an seinen jüngeren Bruder Samuel. Außerdem zog der Grand Cigar Divan in den räumlich größeren ersten Stock des Hauses 101-102. Damit war Raum für das Restaurant und das Ladengeschäft geschaffen worden. Aber das Wichtigste war die Änderung des Familien­namens, auch wenn es nur eine Um­stellung der Buchstaben von Reis zu Ries bedeutete. Mit dieser Änderung erreichte man, dass nun für alle englischsprachigen Menschen die phonetische und die geschriebene Version des Namens über­einstimmten. Solche Anglisierungen von Namen waren im 18. und 19. Jahrhundert weltweit nicht unüblich. Als zum Beispiel die Familie Reiß aus dem pfälzischen Wachenheim an der Weinstraße 1856 nach Amerika auswanderte, wurde aus dem Familiennamen Reiß nun Rice, was phonetisch keinen Unterschied machte. Isaac L. Rice wurde ein erfolgreicher Anwalt in New York City und ein großer Schachmäzen. Nach ihm wurde im Königs­gambit das „Rice-Gambit“ benannt.

1834 machte der Diwan einen ersten großen Schritt in die Richtung, die ihn zum Mittelpunkt der Schachwelt werden ließ (was auch in dem Buchtitel „Simpson’s – Headquarters of the World“ des britischen Schachhistorikers Kenneth Whyld anklingt). Ab Juni des Jahres trafen Louis Charles Mahé de La Bourdonnais aus Paris und der Brite Alexander McDonnell aus Belfast in London aufeinander.

Louis Charles de La Bourdonnais stammte aus einem alten französischen Adels­geschlecht und wurde auf La Réunion, der kleinen Nachbarinsel von Madagaskar geboren. Er trug bereits den Zusatz „Mahé“ im Namen. Für beides war Großvater Bertrand Francois (*1699 in St. Malo – †1753) verantwortlich. Er war Kapitän in der Marine der französischen Ostindien-­Compagnie und hatte 1724 mit der Einnahme der Festung Mahé an der indischen Westküste ein Husarenstück vollbracht, das ihm die Beförderung zum Admiral einbrachte und mit den Ämtern eines Gouverneurs über die Inseln Mauritius und eben La Réunion belohnt wurde. Und deshalb waren die Eltern von Louis Charles auf der Insel im Indischen Ozean als er Ende des 18. Jahrhunderts (bei Historikern liegt das Geburtsjahr bei 1795, 1797 und 1798) zur Welt kam. Er kam früh nach Paris und in der Studenten­zeit führte er ein ausschweifendes Leben, wobei viel Hochprozentiges eine tragende Rolle spielte. Dann entdeckte er das Schach und widmete dem Spiel seine ganze Aufmerksamkeit, das Erbe von seinem Vater – Geld und ein Gut in der Nähe von St. Malo – machten dieses Leben möglich. Doch bei einer Bauspekulation in St. Malo verlor er sein gesamtes Vermögen und musste mit Schach seinen Lebensunterhalt verdienen.

Damit ist das Geheimnis um seine Reise nach London gelüftet. In England waren die Möglichkeiten, mit Schach Geld zu verdienen, für La Bourdonnais einfach viel besser. Und der Vergleichskampf gegen McDonnell kam ihm sehr gelegen, auch wenn der Preisfond, den man ge­sammelt hatte, ziemlich enttäuschend war. Nach etwas schwierigen Verhand­lungen über die Modalitäten (und Geld) einigte man sich auf eine ganze Serie von Wettkämpfen. Schließlich wollte man ja herausfinden, wer der beste Schachspieler der Welt ist.

Simpson's Divan Tavern
Simpson’s Divan Tavern (Foto: © Michael Negele)

 

Denn La Bourdonnais residierte an seinem Tisch im Café de la Régence und regierte über die internationale Schar von Schachmeistern in Paris ebenso unangefochten wie es Alexander McDonnell im Grand Cigar Divan in London tat. Dass man einen Schachklub in Westminster gegründet hatte und er seitdem Mitglied des Vereins war, spielte dabei keine Rolle. Sein Stammsitz war im Grand Cigar Divan.

Als er die Schachwelt in London 1834 dominierte, hatte er bereits ein aufregendes Leben geführt. In Belfast geboren, erhielt er eine Ausbildung als Kaufmann. Danach arbeitete er auf den britischen west­indischen Inseln in der Karibik. 1820 kam er nach England zurück, wohnte und arbeitete in London. In dieser Zeit begann er intensiv Schach zu spielen. Er hatte den Job eines Geschäftsführers der „Ver­einigung westindischer Händler“ angenommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit sprach er sich dafür aus, „die Sklaven­haltung aufrecht zu erhalten“. Sonst gab es manches Geheimnis um seine Person. So gibt es kein Bild, das ihm eindeutig zugeordnet werden konnte. Auch bei der richtigen Schreibweise seines Namens – ob M’Donnell, McDonnell oder MacDonnell – hatten die Schachhistoriker ein harte Nuss zu knacken. Edward Winter schildert in einer seiner Chess Notes den beschwerlichen Weg der Forscher zum Ergebnis. Am Ende gab das Testament den Ausschlag. Zwei Wochen vor seinem Tod hatte Alexander McDonnell das Dokument genau so unterschrieben.

Nun sollte es zum Showdown kommen. Der erst vor einem Jahr gegründete Westminster Schachklub in Covern Garden in der Bedford Street, also nur eine Querstraße vom Diwan entfernt, erklärte sich bereit, den Wettkampf zu veranstalten. Der schachbegeisterte Besitzer Huttmann hatte im ersten Stockwerk direkt über Huttmann’s Coffee Shop große Räume für den Klubbetrieb vermietet. Dort begann im Juni der Wettstreit mit dem ersten von insgesamt sechs Wettkämpfen, der über 21 Partien ging, wobei Remisen nicht mitgezählt wurden.

Zunächst gab es ein Abtasten, die ersten drei Partien endeten Remis, dann gewann La Bourdonnais erstmals. McDonnell konterte umgehend mit zwei Siegen. Nach diesen sechs Partien hatte der Franzose seinen Gegner ausreichend studiert und nahm Rache für Waterloo: Von dem nächsten Dutzend Spielen gewann er elf bei einem Remis. McDonnells Widerstand war gebrochen, das Match ging mit +16, -5 bei vier Remisen deutlich an La Bourdonnais.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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