190 JAHRE TRADITION

MICHAEL DOMBROWSKY über die wechselvolle Geschichte der Berliner Schachgesellschaft 1827 Eckbauer e.V., dem ältesten noch existierenden Schachverein Deutschlands

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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Ludwig Bledow
Führte zehn Jahre die BSG: Ludwig Bledow (1795 – 1846) (Quelle: DWS 1909)

Nehringstraße in Berlin-Charlottenburg. Die Querstraße verbindet den Kaiserdamm mit dem Spandauer Damm. Das Haus Nummer acht ist weder glanz- noch prunkvoll. Es ist ein moderner, unauffälliger Zweckbau. Dennoch atmet das Gebäude Geschichte, weil der älteste deutsche Schachklub dort sein Domizil gefunden hat. In den letzten Jahren der 190jährigen Vereinsgeschichte hat sich die „Berliner Schachgesellschaft 1827 Eckbauer e.V.“ der Unauffälligkeit des Spiellokals angepasst. In den 68 Jahren seit der Fusion der BSG 1827 und der SV Eckbauer 1925 gab es schon deutlich bessere Zeiten. Derzeit spielt die erste Mannschaft fünftklassig in der Berliner Stadtliga, die Mitgliederzahl pendelt um die 60. In der langen Geschichte des Vereins ein Wellental. Aber solche erlebten die Mitglieder immer wieder, wenn man den Berichten in der dicken Vereinschronik glauben darf …

Schon das Gründungsdatum der „Gesellschaft“ bleibt im Dunkel der Vergangenheit verborgen, da kein Dokument von der Gründung erhalten geblieben ist. Tassilo von der Heydebrand und der Lasa, selbst Mitglied und Ehrenmitglied der Gesellschaft, gibt in seinen Berliner Schach-Erinnerungen (erschienen 1859) 1828 als Gründungsjahr an. Findige Klubmitglieder mit dem Kombinationsvermögen eines Sherlock Holmes haben schon vor über 100 Jahren den Gründungs zeitraum stark eingegrenzt.

Der Schlüssel zur Lösung ist ein Rundbrief des Vorsitzenden Hermann Reinganum auf den 18. Januar 1828 datiert. Auf den ersten Blick geht es nur um die Bewilligung eines Trinkgeldes für einen Oberkellner. Auf den zweiten enthält der Text jede Menge Informationen: „Da der jetzige Marqueur (Oberkellner) des Herrn Ostermann die Schachgesellschaft zu ihrer besonderen Zufriedenheit bedient, so trage ich darauf an, daß demselben zwei Reichsthaler als Neujahrsgeschenk aus der Gesellschafts-Kasse verabreicht werden, und bitte um Zustimmung der Herren Mitglieder. Berlin, den 18ten Januar 1828.“

Wenn man weiß, dass es sich bei dem Datum des Briefes um einen Freitag handelt, hatten 1828 gerademal drei Spieltage stattgefunden. Wäre der Verein 1828 gegründet worden, hätte man keinen Gedanken an ein Neujahrsgeschenk für den Oberkellner verschwendet. Da in der Satzung halbjährliche Mitgliederversammlungen vorgesehen waren, davon nichts in dem Brief stand, kann man davon ausgehen, dass die Gründung der „Gesellschaft“ erst im zweiten Halbjahr 1827 erfolgt war. Weil in dem Brief von einem weniger freundlichen Vorgänger des netten Oberkellners die Rede ist, scheint der Klub schon längere Zeit in den Ostermannschen Räumen getagt zu haben. Auch die zwei Reichstaler, die für den Empfänger etwa ein halbes Monatsgehalt bedeuteten, weist darauf hin. Nach dieser Detektivarbeit einigte man sich auf den Oktober als Gründungsmonat. Doch die Mitglieder feierten nach dem Motto: „Die Feste feiern wie sie fallen“. Da störte sich niemand daran, dass ausgerechnet das Meisterturnier zum 100. Geburtstag erst im Februar 1928 ausgetragen wurde.

1829 hatte sich die Zahl der Mitglieder mehr als verdoppelt, man spielte im Sommer im „Blumengarten“ unter Kastanienbäumen oder bei Regen in Lauben; im Winter bei jedem Wetter im Kaffee Belvedere. Bei der Hauptversammlung im Juli 1829 beschloss die Mehrheit zusätzlich einen zweiten Spieltag am Montag einzurichten. Außerdem wurde der Vereins name in „Schachgesellschaft“ geändert.

Unter den neuen Mitgliedern war ein Glücksfall für den Klub – Ludwig Bledow (1795 – 1846). Der 34jährige war am Cöllnischen Gymnasium als Oberlehrer für Mathematik tätig. Aber nicht nur das, er war einer der stärksten Spieler in Berlin und forschte in allen Bereichen des Schachspiels. Um ihn scharten sich Mitte der 1830er Jahre starke Spieler, die sich vor allem der Untersuchung von Eröffnungen widmeten. Es waren die Maler Karl Schorn (1803 – 1850) und Bernhard (eigentlich Benjamin) Horwitz (1808 – 1885), die Juristen Carl Mayet (1810 – 1868) und Wilhelm Hanstein (1811 – 1850), der „Schachleutnant“ Paul Rudolph von Bilguer (1815 – 1840) und der Diplomat Tassilo von Heydebrand und der Lasa (1817 – 1899). Die Sieben gingen unter Begriffen „Plejaden“ und „Berliner Schachschule“ in die Geschichte ein.

Auch wenn die sieben Schachsterne nur kurze Zeit gemeinsam über der Berliner Schachszene funkelten, so haben sie im deutschen Schach Gewaltiges bewegt. Dank ihrer systematischen Arbeit, konnte der Abstand zu den stärksten Spielern in Paris und London aufgeholt werden. Adolf Anderssen war 1851 in London der beste Beweis.

Als erste verließen Schorn und Horwitz 1839 Berlin. Schorn ließ sich in München nieder; Horwitz reiste nach London. Dann starb Paul Rudolf von Bilguer 1840 im Alter von nur 25 Jahren. Sein Freund von der Lasa vollendete das Werk Bilguers und gab 1843 das Handbuch des Schachspiels heraus, das erste Schachlehrbuch in deutscher Sprache. Bilguer hatte es vorbereitet und zusammengestellt. Von der Lasa verließ Berlin 1845 wegen diplomatischer Aufgaben, zuvor hatte er noch die fünfte Auflage des „Bilguers“ betreut. Er vertrat Preußen in der ganzen Welt, hielt immer Kontakt zur Schachgesellschaft, half finanziell mit Spenden und starb mit 81 Jahren auf dem Familiensitz „Storchnest“ im Bezirk Posen.

Wilhelm Hanstein wurde 1848 nach Magdeburg berufen, wo er zwei Jahre später eine schwere Krankheit nicht besiegen konnte.

Auf fast zehn Jahre als Vorsitzender der Schachgesellschaft konnte Ludwig Bledow zufrieden zurückblicken, ehe 1846 seine schweren Leiden endeten. Nach dem Tode kamen sorgsam gehütete Schätze zutage. Die Witwe Bledow verkaufte über 700 Schachbücher an die königliche Bibliothek in Berlin und hatte mit dem Erlös ein ordentliches Auskommen.

Carl Mayet
Carl Mayet, Präsident der BSG von 1853-1860
(Quelle: DWS 1908)
 

Von den „Plejaden“ blieb nur Carl Mayet Berlin und der Schachgesellschaft treu. Kaum bemerkt war der Anwalt und Notar am Berliner Stadtgericht 1851 als zweiter deutscher Teilnehmer neben Adolf Anderssen zum großen Turnier nach London gereist. Dort schied er jedoch in der ersten Runde gegen Captain Kennedy aus. Als die Schachgesellschaft 1853 einen Vorsitzenden brauchte, stellte sich der 43jährige sofort zur Verfügung und führte den Verein bis 1860.

Mayet organisierte 1853 gleich die erste Klubmeisterschaft. Dieses Turnier wurde ein Triumph der Jugend. Als es Gleichstand zwischen Jean Dufresne, Max Lange und Carl Mayet gab, spielte man ein „Siegerturnier“ aus. Der 24jährige Dufresne gewann vor Lange (21) und Mayet. Dufresne und Lange gehörten zur ersten Generation, die von Bilguers Handbuch und den Begegnungen mit den Plejaden profitierten. Wenige Jahre nach Bledows Tod war durch Lehrbücher und Schachzeitschriften, die Partien veröffentlichten, kritisierten und analysierten, ein allgemeiner Spielstärkenzuwachs zu beobachten.

Schachzeitung der Berliner Schachgesellschaft (1851)
Schachzeitung der Berliner Schachgesellschaft (1851), die seit 1846 auf Anregung Ludwig Bledows von der BSG herausgegeben und später zur Deutschen Schachzeitung wurde
 

Bei der Schachgesellschaft hatte Ludwig Bledow die Herausgabe eines monatlichen Mitteilungsblattes angeregt. Das Projekt wurde nach seinem Tod umgesetzt und hieß schlicht Schachzeitung. Nach vier Jahren übernahm 1851 der Berlin-Leipziger Verlag Veit & Comp. das Blatt, das dann unter dem Titel Schachzeitung der Berliner Schachgesellschaft erschien. Mit dem Umzug der Redaktion nach Leipzig trug die Zeitschrift dann ab 1860 den Titel Schachzeitung – gegründet von der Berliner Schachgesellschaft . Ab 1872 trennte man sich von der Berliner Herkunft und änderte den Titel in Deutsche Schachzeitung – Organ für das gesamte Schachleben . In Leipzig führte Dr. Max Lange die Redaktion der Zeitschrift und strafte die Berliner Meister möglichst mit Nichtachtung. Die Berliner Niederlage gegen Dufresne hatte der ehrgeizige Magdeburger nicht verwunden.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
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