EDITORIAL

LIEBE KARL-LESER,

bei Schach und Mathematik fällt den meisten wohl zuerst die Weizenkornlegende ein, auf die auch unser Titelblatt abzielt. Sie ist ein verblüffendes Beispiel für eine einfache progressive Zahlenfolge, die von einer sehr kleinen Einheit durch exponentielle Zunahme innerhalb kurzer Zeit zu einem monströsen Etwas heranwächst, das sich unserer Vorstellung entzieht.

Unser vorliegendes Heft beschäftigt sich unter anderem damit, wie man mit dem Schach mathematische Zusammenhänge anschaulich machen kann. Die Künstlerin Rune Mields setzt sich in ihren Werken auf vielfältige Art mit der Mathematik auseinander. In einem ihrer Projekte verdeutlicht sie die Weizenkornlegende optisch so, dass sie jeder verstehen kann. Würde man die Gesamtmenge von etwa 730 Milliarden Tonnen Weizen als Fläche auslegen – ein Korn neben dem anderen – würde sie ein Gebiet bedecken, das vom Nordpol über Europa bis zur Sahara reicht.

Der Stochastiker Christian Hesse nimmt den Leser mit auf eine Reise, die von Pythagoras bis zur Entschlüsselungsmaschine Enigma führt. Dabei wählt er nicht den gewöhnlichen Weg, Fragestellungen, die mit Brett und Figuren zu tun haben, mathematisch zu lösen. Er zeigt stattdessen, wie man umgekehrt bestimmte mathematische Problemstellungen mit Hilfe von schachlichen Accessoires, also mit Schachbrett und Figuren lösen kann.

Der Mathematiker Ingo Althöfer, der durch seine Drei-Hirn-Schachexperimente bekannt geworden ist, blickt in seinem sehr persönlichen Beitrag darauf zurück, wie Schach über die Jahre hinweg immer wieder seine akademische Karriere tangiert hat. Der Artikel reicht von persönlichen Kontakten zu Schachspielern über die historische Bewertung Emanuel Laskers mathematischer Werke bis hin zu Teamaufstellungs- und Endspiel-Problemen. Zudem können sich die Leser an drei Aufgaben versuchen, für deren Lösung der Autor lukrative Preise ausgelobt hat.

Emanuel Lasker ist auch für Jörg Bewersdorff ein wichtiger Bezugspunkt. Sein Artikel über Schach und Spieltheorie verschafft dem Leser auch einen Einblick in die Programmierung von Schachengines.

Unser Schwerpunkt kann auch von einer anderen Seite betrachtet werden, wie Stefan Löffler zeigt. Er präsentiert schachmathematische Spiele, die das Training insbesondere mit Kindern sehr inspirierend gestalten können. Und wer noch nicht genug von Löfflers abwechslungsreichen Aufgaben hat, der versuche doch einmal fünf Damen so auf dem Brett zu platzieren, dass sie alle Felder beherrschen.

Apropos Kinder: Unsere KARL-Statistik untersucht, aus welchen Regionen die besten deutschen Jugendspieler der letzten zehn Jahre kamen und welche Bundesländer dabei besonders erfolgreich waren. Einige Ergebnisse dürften überraschen.

Harry Schaack