KORREKTUR (Erschienen in Karl 3/15, S. 8)

ÜBERWINDUNG DER SPRACHBARRIEREN

Ein Nachtrag von Michael Negele

Alexander Dmitrijewitsch (von) Petrow und Carl Ferdinand (von) Jaenisch

Quelle: (Russische) Illustrierte Zeitung 1871, S. 307

Das selten verwendete Doppelporträt vereint Alexander Dmitrijewitsch (von) Petrow (* 2.Februar 1799 in Bisserowo, Oblast Pskow; † 10.April 1867 in Warschau) und Carl Ferdinand (von) Jaenisch (* 11.April 1813 in Wyborg; † 17.März 1872 in St. Petersburg). Hier beachte man den Sterbetag. Etliche Quellen nennen fehlerhaft den 7. März, leider auch der letzte KARL.

Es freut Autor und Redaktion, wenn ein eher sprödes Thema wie die Geschichte der Schachtheorie lobenden Zuspruch findet. Vor allem, wenn solches Lob auch Erkenntnis beisteuert. Wenige Tage nach Erscheinen von KARL 2/2015 ging eine freundliche E-Mail von Tomasz Lissowski (Warschau) ein, der mich auf eine Publikation des in den USA lebenden Schach­historikers David M. Nudelman in der hervorragenden russischen Schachzeitschrift 64 Schachmatnoje Obosrenije Nr. 1, 2014 aufmerksam machte. Nudelman führte dort den schlüssigen Beweis, dass der bislang in den einschlägigen Quellen überlieferte Geburtstag von Alexander Petrow falsch ist. Somit war Petrow erst 25 Jahre alt, als er 1824 sein Schachmatnaja igra herausgab.
Kaum schien diese Angelegenheit geklärt, übermittelte mir die Redaktion eine Rückmeldung von Dmitry Gorodin (Freiburg), der uns auf die Internet-Veröffentlichung des St. Petersburger Schachhistorikers Alexander Kentler aus dem Jahr 2008 aufmerksam machte. Kentler war auf eine in deutscher Sprache verfasste Urkunde gestoßen, in der am 3. April 1830 ein August Weil, damaliger Pastor des Doms St. Peter und Paul in Wyborg, die Richtigkeit einer Abschrift aus dem Kirchen­register bestätigt. Es wird Auskunft gegeben über die Geburt (am 11. April 1813) und die Taufe (neun Tage später) von Carl F. Jaenisch. Entscheidend ist die Richtigstellung des zweiten Taufnamens, und dies war eine peinliche Überraschung für ihren (zu gutgläubigen) Autor: Wikipedia (und damit die Erik Amburger-Datei für Deutschstämmige im zaristischen Russ­land) hat doch recht, denn F. firmiert eindeutig für Ferdinand! Meine Quelle für den offensichtlich falschen Friedrich war der Nachruf in der DSZ 1872 (Redaktion Johannes Minckwitz), der bei der Deutung des F. wohl „dichterische Freiheit“ walten ließ. Dies blieb auf „ewige Zeiten“ ohne Korrektur erhalten, sowohl von der Lasa als auch andere Weggefährten Jaenischs gingen darüber hinweg. Interessanterweise vermied Otto Koch 1908 im DWS tunlichst die Nennung des Zweitnamens und schachferne Quellen wie z. B. das Begräbnisregister des Wolkowo-Friedhofs in St. Petersburg wurden geflissentlich ignoriert. Wenige Tage (exakt am 16. August 2015) nach Herrn Gorodins Einspruch lieferte die Website Church of Finland in einer Auswertung der finnischen Taufregister 1657-1890 den endgültigen Beweis für die Richtigkeit der Abschrift von 1830. Ein kaum glaublicher Fall von Koinzidenz, meine Recherche im Juni 2015 hatte diese Quelle noch nicht ausgewiesen. Der im Beitrag erwähnte Onkel mütterlicherseits war übrigens der Mediziner Carl Iwanowitsch von Jaenisch (1774-1833), Sohn von Hans Erik Jaenisch. Somit ist auch geklärt, dass Carl F. eine recht berühmte Cousine hatte: Karolina Karlowna Pawlowa (* 1807 in Jaroslawl; † 1893 in Dresden), eine russische Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin. Bekannt wurde sie durch ihre Übersetzungen von Werken der russischen Literatur ins Deutsche und Französische.
Letztere Sprache bedeutet eine weitere Sprachbarriere, es sei mir deshalb nachgesehen, dass ich den zweiteiligen Artikel in Le Palaméde 1842 (zweite Serie, zweiter Band, S. 60 ff) und 1843 (dritter Band, S. 353 ff) über „Die Reise des Herrn Alexandre nach Deutschland“ unterschlagen habe, in dem er u. a. von seinem Treffen mit Bledow und von der Lasa berichtet. Hier stolperte ich über die Angabe, dass Aaron Alexandre diese Reise mit 69 Jahren antrat. Das hielt ich für einen Übersetzungs­fehler, aber ein Zufallsfund in Historical notes on some chess players des Staunton-Forschers John Townsend (Wokingham, 2014) bestätigt das Geburtsdatum von Alexandre mit 17. November 1773 anhand des Eintrages Nr. 7389 im Bulletin des lois de la République Française. Damit starb Alexandre genau einen Tag nach seinem 77. Geburtstag. Nicht zu ver­zeihen ist hingegen der fehlende Verweis auf den ausführlichen Nachruf in der Schachzeitung 1851 (S. 5 ff), im dem Otto von Oppen etliche interessante Details über das Schicksal von Père Alexandre kundtut.
Dieser Nachtrag wäre kaum zustande gekommen ohne die Aufmerksamkeit der genannten Schachfreunde, essentiell war jedoch die Unterstützung von Dr. Alexander Karpenko, meinem jungen russischen Kollegen.