FÖRDERTÜRME!

Wenn man schon Schach spielen will –
warum nicht in Dortmund?

Von Ulrich Stock

Öl-Förderturm

Schachtage, das ist ein schönes Wort. Dauer, ja Muße schwingt darin mit. Nicht nur mal eben schnell was – sondern ausgiebig, in aller Ruhe, hingebungsvoll und immer wieder.

Dortmund ist auch ein schönes Wort: dort Mund. Welch sinnlicher Hinweis! Aber Dortmund ist – weiß jeder, der mal da gewesen – eine rauhe, grobe Stadt. Hier ist weder die Dichtkunst zu Hause noch der Feinsinn; hier wurden einst westfälische Äcker gepflügt, später dann durchstochen, des schwarzen Goldes wegen. In Dortmund ging es früh schon um die Kohle, inzwischen nur noch ums Geld, wie überall.

Dortmunder Schachtage – das ist ein Oxymoron, ein Begriff aus zwei gegensätzlichen, auseinanderstrebenden Teilen, ein Widerspruch in sich selbst. Im Schach geht es um das Gute, Schöne, Wahre, in Dortmund um die Güter, Scheine, Waren.

… jetzt, da ich das so flott hinschreibe, stutze ich doch und frage mich, ob’s nicht umgekehrt ebenso stimmte? Geht’s im Schach heute nicht vor allem um Kohle? Und ist Dortmund nicht froh über alle Rochaden (seien sie noch so klein), die diesem proletarischen Ruhrgebietsagglomerat von Stadt königliche Züge verleihen? Oder Tempozüge – das sind hier doch sonst nur Intercitys!

Gut, also, gewiß, es ist eine wechselseitige und wechselvolle Beziehung. Vielleicht könnte man sagen: In Dortmund hat die Kohle an Bedeutung verloren, im Schach hat sie an Bedeutung gewonnen. Dabei ist Geld ja auch nichts Schlechtes: ein Schmierstoff des Warenaustausches, ein merkantiles Fluidum zwischen Geben und Nehmen.

Was mich angeht, ich bin erst einmal wegen der Schachtage in Dortmund gewesen, das ist so lang her, ich weiß das Jahr gar nicht mehr. Mein Motiv war: endlich einmal ein paar der großen Meister aus der Nähe zu sehen, ich kannte sie ja nur aus Büchern und Schachzeitungen. Ich sah sie dann auch, allerdings nicht wirklich aus der Nähe. Es gab eine abgezäunte Arena und – damals schon! – Bildschirme mit Großaufnahmen der Stellungen und Gesichter. Es war also schon ein wenig so wie heute, wenn man ins Olympiastadion geht und ganz vorn wird eine Rolling-Stones-CD aufgelegt und dazu sieht man die faltigen Gesichter von Mick und Keith auf irgendeiner Riesenleinwand.

In Dortmund ohne Schach war ich öfter, einmal sogar im Bergbaumuseum, das liegt allerdings unter Bochum, na, ist quasi nebenan – wie ja auch Schach und Schacht orthographisch verblüffend benachbart sind!

Tiefschürfendes Spiel passt zu einer solchen Stadt, unterirdisches gelegentlich auch. Kraftvoll eindringen und alles herausholen, bevor es einen Einsturz gibt. Partien gewinnen wie fossile Energieträger! Erzrivalen treffen aufeinander und steht das Brett erst in Flammen, kocht bald der härteste Stahl – ach, man könnte schwärmen angesichts der semantischen Synergie von Schwerindustrie und Schwerfiguren.
Fördertürme!

Schachtage anderswo hätten einen ganz anderen Klang. In Köln-Wahn zum Beispiel schimmerte das Gefahrvolle unseres königlichen Spiels durch, in Fischerhude die große, weltmeisterliche Vergangenheit. Königswusterhausen betonte die Bedeutung Seiner Majestät, Darmstadt höbe – zugegeben rein phonetisch – das stärkste Geschlecht auf dem Brett hervor. Und welches bedenkliche Signal ginge von Schachtagen in Pattensen aus?

Schach, soviel steht fest, braucht nicht nur Zeit, sondern auch Raum. Wird noch mit richtigen Figuren gespielt und nicht virtuell am Computer, dann müssen die Bretter irgendwo stehen – warum nicht in Dortmund?

Scharbeutz fällt mir da noch ein. Das liegt malerisch an der Ostsee. Scharbeutzer Schachtage, das würde supergut klingen und an die Tradition der großen Bäderturniere anknüpfen. In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte Scharbeutz als Ausruf („Scharbeutz!“) in norddeutschen Schachkreisen eine steile Karriere, indem es das schwer auszusprechende „J’adoube!“ nahezu verdrängte. Es konnte sich dann aber doch nicht durchsetzen, was weltweit betrachtet so schlimm vielleicht gar nicht war, da selbst Engländer („Chaboots?“) mit dem französischen Wort besser zurechtkamen.

Theremouth – auch auf Englisch machte Dortmund eine gute Figur, erinnernd an das englische Seebad Bournemouth (1939!). Oder auf Italienisch Libocca, obwohl da, hm, Verwechselungen mit Lubecca nicht auszuschließen wären, jener Stadt harmlosen Marzipans und gefürchteter Dominatoren.

… ja, jetzt bin ich etwas ins Plaudern gekommen, aber dazu lädt Dortmund eben ein, es ist eine staubige Stadt, eine Stadt des Durstes und der zungelösenden Durstlöscher, die in großen Mengen an kleinen Buden ausgegeben werden, auch zu ungewöhnlichen Zeiten. Beinah wäre in Dortmund das Flaschenbier erfunden worden! Wie lästig war es auch für die aus Zechen strebenden Zecher gewesen, kühles Blondes in schwappenden Eimern nach Hause zu balancieren! Der Kronenkorken – er brachte dem Kumpel eine Ahnung von Adel. Und König Pilsener, das König der Biere, ist zwar in Duisburg beheimatet, aber getrunken wird es auch hier, wo man egal was reinlaufen lässt, wenn’s sein muß sogar Premium!

Das Königliche Spülen… ja, Leute, jetzt kommt hier am Hamburger Kolumnen-Schreibtisch doch noch Neid auf. Dortmunder Schachtage und -nächte! Möchte ich nicht doch dabeisein? Mir eine Woche lang oder so das ganze Herumgeziehe und Reingeziehe antun, am Brett und inne Kneipe und die kleinen Gläser leeren, die nach Landessitte so lange nachbefüllt werden, bis man mit letzter Koordinationskraft einen Deckel drauflegt? Zwischen knorrigen Westfalen versumpfen, die – hör ma ey – einen vom Pferd erzählen, bis Springer Urvater eingeschenkt wird?

Neulich geriet ich anläßlich einer Radtour am Nordrande des Ruhrgebietes in einen westfälischen Kegelclub, als ich in einem Gasthause, in dem ich Rast machte, die Tür zu den Toiletten verfehlte. Sieben Kegelbrüder, großes Hallo, boah, ey, willze nich mitmachen? Und schwupp umgriffen meine schlanken Schreibfinger schwitzige Kegelkugeln, und nach jedem Wurf hieß es erstmal: Hoch die Tassen! und eigentlich, sagten die Kegelbrüder Mal um Mal, wollten wir heute früh nach Haus, und dann gab’s noch ne Runde, Dortmunder Kronen trank nur ich, die anderen Bitburger oder Köstritzer, das Heimatpils stand nicht hoch im Kurs, was am Ende auch egal war. „Pumpe“ , haben sie immer gejohlt, wenn mir die Kugel in der Rille rollte statt zwischen die Kegel, und das gab Strafbiere.

Kleine Pumpe, große Pumpe, so könnten die Rochaden in Dortmund heißen, und wie schnell kann so ein Schacht absaufen. Ich bleib wohl doch besser hier.