LUXEMBURGER GASTSPIEL
Robert Hübner und „de Sprenger Echternach“
VON GERD DENSING

Die Trierer IM Ludger Körholz und Dr. Michael Trauth kannten Robert Hübner gut. Trauth war bereits seit etlichen Jahren mit Hübner befreundet und teilte viele Interessen mit ihm. Insbesondere Geisteswissenschaften. Und natürlich Schach. Hübner übernachtete gelegentlich bei ihm in Trier. Körholz warb zunächst Trauth für den in Grenznähe gelegenen Schachclub in der Abteistadt in Echternach an. Weil Hübner eine Verstärkung für die erste Mannschaft war, die in der höchsten Spielklasse spielte, fasste Körholz wenige Jahre danach den Mut und sprach Hübner an. Hübner sagte zu und spielte zwischen 2008 und 2019 regelmäßig in der Luxemburger Nationaldivision zwei bis drei Partien jährlich für den Verein „de Sprenger Echternach“. Meistens wurde er an Brett eins eingesetzt und steuerte viele wichtige Brettpunkte bei. Insgesamt gewann er sieben Landesmeisterschaften mit Echternach, zuletzt im Frühjahr 2019. In der Schlussrunde am 28. April 2019 in Differdange trat das gegnerische Team leider nur mit fünf Spielern an, weil Echternach bereits vor der letzten Runde als Meister feststand. Die gegnerische Mannschaft ließ ausgerechnet das erste Brett frei, worüber der weit angereiste Kölner sichtlich unzufrieden war. Immerhin stand er noch für das Gruppenfoto in einem seiner Lieblingskleidungsstücke zur Verfügung – einem knallroten Pullover.
Die Freundschaft zwischen Hübner und Trauth, der 2022 ebenfalls an Krebs verstarb, sieht man an der Körperhaltung und dem Arm über der Schulter von Hübner. Nachdem Trauth erkrankte und nicht mehr für Echternach Schach spielen konnte, endete auch Hübners Aktivität für den Verein. In den letzten Jahren war er mit seinen Ergebnissen nicht mehr zufrieden und hatte gegen gute Spieler oft einen schweren Stand.
Der ehemalige Weltklassespieler reiste meist mit dem Zug an und verbrachte bereits die Samstage in Trier bei Trauth, um dann gemeinsam mit ihm sonntagnachmittags ab 15 Uhr in Luxemburg Schach zu spielen. Andere Club-Spieler aus der Nähe Kölns nahmen ihn wieder mit zurück nach Porz.
Vor einigen Jahren fragte mich der Vereinsvorsitzende Serge Brittner, ob ich Hübner am Bahnhof Bitburg-Erdorf abholen und bis Echternach mitnehmen könnte, da Trauth an dem betreffenden Wochenende verhindert war. So hatte ich als Autofahrer eine halbe Stunde, diese Schachlegende ein wenig persönlich kennenzulernen. Nachdem das Eis nach einigen Minuten gebrochen war, nahm ich ihn als sehr offen, freundlich und zuvorkommend wahr. Insbesondere bei Heimspielen konnte man leicht mit ihm ins Gespräch kommen.
Jahre zuvor war ich ihm gelegentlich bei Mannschaftskämpfen begegnet, erstmals zum Saisonabschluss im Jahr 2013 in der Coque in Luxemburg-Stadt, einem großen Veranstaltungszentrum. Dort unterzeichnete Hübner mein Autogrammbuch – als einer von inzwischen über 250 Großmeistern. Irgendwann hatte ich gehört, dass er nicht gerne Autogramme gibt, weshalb ich zögerlich und vorsichtig war. Aber er signierte, ohne zu murren in einer sehr gut lesbaren Handschrift. Seine Unterschrift erinnert fast an die Schönschrift eines Viertklässlers. Auf Fotos sieht man, wie gewissenhaft er seine Signatur vornahm.
In den letzten Jahren spielte Hübner ab und an kürzere Remispartien, auch gegen nominell deutlich schwächere Spieler. Ich vermisste ein wenig seinen Kampfgeist. Im Clubheim sah man ihn dann recht früh im Analyseraum und konnte mit ihm auch die eigenen Partien analysieren. Er zeigte sich bezüglich der Partien anderer – teils Spielern aus der 2. oder 3. Mannschaft – oft interessierter als an seiner eigenen. So durfte ich ihm auch einmal eine Partie von mir zeigen. Die Analyse unterschied von denen, die ich sonst bei deutlich stärkeren Spielern gewohnt war. Er zeigte nicht viele Varianten und taktische Kombinationen. Nach einem ruhigen langen Blick auf die Stellung verlief seine Besprechung eher in strategisch-positionellen Bahnen, die sein tiefes Schachverständnis für mich sehr gut nachvollziehbar machte. Es war stets ein Genuss, ihm bei Partieanalysen zuzuschauen.
Ich stellte mir oft die Frage, warum Hübner gerade in Luxemburg Schach spielte. Gab es nicht genug starke Vereine in Deutschland? Einer der Hauptgründe war natürlich seine Freundschaft zu Trauth, vermutlich aber nicht der einzige Grund. Das Finanzielle war für ihn wohl eher zweitrangig. Ich denke, er hat sich im Echternacher Verein sehr wohl gefühlt. Im „Ländchen“ Luxemburg geht alles viel lockerer zu als im „strengen“ und zuweilen hoch reglementierten Deutschland. Die Partien beginnen nicht zwingend um 15:00, sondern auch mal fünf oder zehn Minuten später. Es gibt keine Live-Übertragung von Partien, keine Zuschauer, keine lästigen Journalisten, keine DGT-Bretter – gelegentlich wird selbst in der Nationaldivision ganz schlicht mit Plastikfiguren gespielt, was Hübner nicht störte. Zudem landen die Partien dieser Liga nicht in einer Datenbank. Die Notationsformulare werden nach Unterschrift und Einsendung bei der luxemburgischen Föderation FLDE abgeheftet und verschwinden im Archiv. Auch der Ergebnisdruck ist in der Nationaldivision in Luxemburg deutlich geringer ausgeprägt als vielleicht in den beiden oberen deutschen Ligen.
Echternach nimmt als „Seriensieger“ seit vielen Jahren regelmäßig beim European Chess Club Cup teil. Zweimal war auch Hübner dabei, der einst mit seinem Verein Solingen den ECCC 1976 und 1990 gewinnen konnte. 2009 beim ECCC in Ohrid, Mazedonien, führte er die Echternacher an und spielte mit 4,5 aus 7 ein gutes Turnier. Höhepunkt war in der dritten Runde die Begegnung der „Underdogs“ aus Luxemburg gegen die Mannschaft aus Moskau, die damals mit Gelfand, Karjakin, Caruana, Rjasanzew, Nepomnjaschtschi und Gratschow wohl eines der stärksten Teams der Welt aufboten.
2011 beim ECCC in Rogaska Slatina, Slowenien, war Hübner an Brett 1 mit 3,5 aus 7 und einem Elo-Minus weniger erfolgreich. Gegen Sarkissjan, der damals nominell stärker war, hielt Hübner gut mit und spielte Remis. Danach gab er aber auch gegen schwächere Gegner halbe Punkte ab. Im Duell gegen Solingen kam er gegen Naumann nicht über ein Unentschieden hinaus.
Wie mir damalige ECCC-Mannschaftskollegen berichteten, war die sehr lange, mehrstündige Autofahrt von Luxemburg nach Slowenien auf der Rückbank mit Hübner überaus interessant. Da ging es weniger um schachliche Themen, sondern um „Allerweltsthemen“ sowie um die berufliche Profession des „Amateurschachspielers Hübner“. Leidenschaftlich sprach er über die Ilias, worin er ein Experte gewesen ist. Er zerpflückte veröffentlichte Übersetzungen genauso akribisch und mit Nachdruck, wie man es bei seinen Analysen von Schachpartien genießen und bestaunen konnte.
In Slowenien sei Hübner oft spazieren gegangen, immer sehr schnell, fast gelaufen. Es sei schwer gewesen, ihm zu folgen, und sich dabei mit ihm zu unterhalten. Während der Partien sei er aber fast immer die komplette Zeit sitzen geblieben. Es gab lediglich eine kleine Unterbrechung nach 30-40 Minuten, als er kurz aufgestanden ist und die Partien seiner Mannschaftskollegen mit einem kurzen 20-Sekunden-Blick rasch erfasst und abgeschätzt hat. Bei den abendlichen gemeinsamen Analysen des Teams hatte er dann alle Stellungen schnell und fehlerfrei aufbauen und deren Entstehungsweise und vorausgegangene Eröffnungszüge zeigen können. Auch seine Positionsbewertung sei bei der Analyse immer wieder beeindruckend und klar gewesen. Er verstand die Partien nach kurzem Blick besser als die Spieler, die sie gespielt hatten.
Mit vielen Spielern des Echternacher Schachvereins war Hübner per Du. Seine sehr höfliche und umgängliche Art hat ihm in Echternach viele Sympathien eingebracht. Alle, die ihn kennen und schätzen lernen durften, werden ihn sehr vermissen.