EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

Robert Hübner, der am 5. Januar 2025 mit 76 Jahren an den Folgen einer Magenkrebs-Erkrankung verstarb, war der beste Spieler Deutschlands seit Emanuel Lasker. Nur seine Erfolge aufzuzählen, würde dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit nicht gerecht werden. Deshalb verzichten wir in dieser, ihm gewidmeten Ausgabe auf eine durchgängige Biographie. Stattdessen sprachen wir mit Weggefährten, die aus unterschiedlichen Perspektiven die vielfältigen Lebenswirklichkeiten Robert Hübners beleuchten.

Hübner wird nicht nur durch seine großen Schacherfolge im Gedächtnis bleiben. Er war ein eigenständiger Denker mit vielen Idiosynkrasien und einer Neigung zu Ungewöhnlichem. Ein Mensch, der einen verstellten Zugang zur Welt hatte. „Tastend versucht der Verfasser, sich in der verwirrenden Welt zurechtzufinden. Er müht sich, irgendwo Halt zu gewinnen – aber offenbar ohne großen Erfolg“, schreibt Hübner in Elemente einer Selbstbiographie. Als ich mich einmal einen Abend lang mit ihm über Literatur unterhielt, sprachen wir auch über Kafka. Er halte Kafkas Prosa nicht für wirklichkeitsfremd, sagte er. So fühle sich für ihn die Welt an.

Dazu mögen auch Hübners Erfahrungen als viermaliger WM-Kandidat passen. Seine Matches lesen sich wie die Chronologie eines surrealen Scheiterns. Für einen Menschen, der sich um einen rationalen Zugang zur Welt bemüht, müssen die Vorkommnisse, die sich außerhalb des Schachs ereigneten, höchst verstörend gewesenen sein. Frank Zeller gibt einen Überblick über merkwürdige Matchverläufe, die mit einer Roulettekugel in Velden einen unrühmlichen Höhepunkt fanden.

Aber natürlich war Hübners Karriere überaus erfolgreich: Er macht schon früh auf sein herausragendes Talent aufmerksam. Mit 14 Jahren gewinnt er mit vier Punkten Vorsprung die Westdeutsche U20-Jugendmeisterschaft. Zweimal wird er Deutscher Meister, 1967 und 1999. Als er 1980 bis ins Kandidatenfinale vorstößt, ist er Dritter der Weltrangliste. Zahlreiche Male wird er mit unterschiedlichen Mannschaften in der Bundesliga und in anderen Ligen Landesmeister. Und bei Olympiaden holt er 1972 die Goldmedaille am 1. Brett, 1990 die Goldmedaille für die beste Performance aller Teilnehmer und in Istanbul 2000 die Silbermedaille mit der Mannschaft.

Hübner war viele Jahre das Aushängeschild des Deutschen Schachbunds, doch sein Verhältnis zum Verband war nicht immer reibungslos, wie der langjährige DSB-­Geschäftsführer Horst Metzing zu berichten weiß.

Ein Grund dafür war auch, dass sich Hübner nicht gut für Werbezwecke verwenden ließ, was mit seinem schwierigen Verhältnis zur Presse zusammenhing. Der ehemalige Chef-Redakteur von New In Chess, Dirk Jan ten Geuzendam, erzählt, wie es ihm gelang, Hübner nach 16 Jahren wieder zu einem Interview zu bewegen und dessen tiefes Misstrauen gegenüber Journalisten zu überwinden.

Ein wichtiger Teil von Hübners Schaffen waren seine Schriften. Sein Verleger Arno Nickel spricht über teils sehr ungewöhnliche Buchprojekte, die nur selten eine große Leserschaft ansprechen wollten, aber stets originell waren.

Auch wir hätten gerne häufiger Hübners Texte in KARL veröffentlicht. Aber als ich vor mehr als zwanzig Jahren einmal eine Artikelanfrage an ihn richtete, antwortete er mir: „Ich dachte, man wüsste, wie ich arbeite: Keine Themenvorgabe, keinen Längen­vorgage, keine Zeitvorgabe.“ Eckpunkte, die es einer Zeitschrift schwer machen …

Harry Schaack